So macht man PR. Das weiß man auch in Leipzigs Stadtverwaltung: Wenn man unter Blinden als Einäugiger auffällt, sollte man das schon erwähnen. Etwa so: "Leipzig ist die fahrradfreundlichste sächsische Großstadt". So betitelt Leipzigs Verwaltung ihre Meldung zum jetzt veröffentlichten "ADFC-Fahrradklima-Test 2014". Aber Sachsen fällt in dem Test nicht wirklich als fahrradfreundliches Bundesland auf.

In fünf der 27 Kategorien des Fahrradklimatests nehmen sächsische Städte den bundesweit letzten Platz ein. Dabei handelt es sich um die Kategorie Fahrraddiebstahl (Görlitz), das Fahren im Mischverkehr mit Kfz (Ebersbach), die Radwegweisung (Limbach-Oberfrohna), die Freigabe von Einbahnstraßen sowie die Förderung des Radverkehrs in jüngster Zeit (beides Zschopau).

Zwickau erreichte mit der Note 4,4 nur Platz 97 der 100 Städte zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern. Auf den zehn letzten Plätzen in der Stadtkategorie unter 50.000 Einwohner (292 Städte) befinden sich vier sächsische Kommunen: Olbernhau (Note 4,4; Platz 283), Ebersbach (Note 4,5; Platz 286), Freital (Note 4,5; Platz 287) sowie Zschopau (Note 4,7; Platz 290).

“Die schlechten sächsischen Platzierungen müssen ein Ansporn für die Staatsregierung sein, dem Radverkehr mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Radfahrfreundliche Kommunen werden bisher weitgehend allein gelassen; damit muss Schluss sein”, fordert Eva Jähnigen, die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag. “Die CDU/SPD-Koalition muss mehr Fördergelder für eine bessere Radverkehrsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen. Wir brauchen eine ambitionierte Qualitätsoffensive für den Radverkehr, die sich zum Ziel setzt, den Radverkehrsanteil in allen sächsischen Kommunen auf 20 Prozent zu erhöhen. Hierfür braucht es breitere Radwege, mehr Verkehrssicherheit im Schülerradverkehr, bessere Abstellmöglichkeiten und eine bessere Vermarktung des touristischen Radwegenetzes.”

So betrachtet ist der Stolz Leipzigs auf die Nr. 1 unter den drei sächsischen Großstädten verständlich: Mit der Note 3,61 landete die Messestadt vor Chemnitz (3,75) und Dresden (3,92). Und das ist vor allem auf die eigene, spürbar etwas fahrradfreundlicher gewordene Politik zurückzuführen.

Unter den deutschen Großstädten reichte es immerhin zu Rang 9 (unter 38). Unter den ostdeutschen Großstädten war es auch der erste Platz – knapp vor Rostock (3,63). Leipzig hat sich damit leicht von Platz 10 auf Platz 9 verbessert, punktgleich mit Frankfurt am Main auf Rang 8. Dabei hat es Rostock seit dem letzten Test im Jahr 2012 überholt.

Nur eine 4+ vom ADFC Leipzig

Der ADFC Leipzig gibt sich dennoch unzufrieden. “In Schulnoten ausgedrückt, hat sich die Gesamtbewertung allerdings nur bei einer 4+ stabilisiert.”

Auch er sieht eine Reihe von Schwächen, die so nicht sein müssten: “Leipzigs größte Schwächen liegen aus Sicht der Befragten im Bereich Fahrraddiebstahl (5,1), beim mangelnden Vorgehen gegen Falschparker auf Radwegen (4,9), beim weitestgehend fehlenden Winterdienst (4,9) und bei der Führung des Radverkehrs an Baustellen (4,5).”

Die Stärken beim Radverkehr liegen eher in der Erreichbarkeit des Stadtzentrums (2,0), der Möglichkeit, zügig mit dem Rad voranzukommen (2,3) und der Öffnung der Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung (2,5).

Immer mehr Menschen nutzen in Leipzig im Alltag und in der Freizeit das Rad als zeitgemäßes Verkehrsmittel. Immerhin 1.689 Leipziger haben 2014 am Fahrrad-Klimatest teilgenommen – das ist die dritthöchste Teilnehmerzahl bundesweit – hinter Berlin und Hamburg, denen die rege Teilnahme aber deutlich schlechtere Bewertungen gebracht hat. Dort gibt es augenscheinlich noch eine Menge mehr zu tun, Berlin kam auf eine 4,07, Hamburg auf eine 4,28.

Die Gründe, dass es überall hapert – auch 3,61 ist ja noch kein blendender Wert – ähneln sich: Da prallen – auch öffentlich – noch immer die Interessen des motorisierten und des unmotorisierten Verkehrs aufeinander – und nicht nur in Leipzig haben sich ganze Zeitungen zum Sprecher der unbedingten Automobilität gemacht. Und das wieder findet sich im politischen Streit um Investitionen wieder und in dem heiß diskutierten Problem, ob Autofahrer nun zum Umsatteln “gezwungen” werden sollen.

„In Leipzig hat trotz vieler positiver Einzelmaßnahmen seit dem letzten Fahrradklima-Test 2012 der Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur nicht ganz mit der Nachfrage mithalten können“, bewertet Dr. Christoph Waack, Vorsitzender des ADFC Leipzig, das Ergebnis der Befragung für Leipzig. „Die Ergebnisse des Fahrradklima-Tests zeigen den dringenden Handlungsbedarf an, um ein zentrales Ziel des vom Stadtrat beschlossenen Radverkehrsentwicklungsplans, die Attraktivität des Radfahrens weiter zu erhöhen, zu erreichen. Der ADFC wird sich auch weiterhin aktiv für die Verbesserung der Radfahrbedingungen in Leipzig einsetzen und bietet seine Unterstützung bei der Beseitigung der noch bestehenden Schwächen an.“

Aber auch beim ADFC Leipzig hat man gemerkt, dass sich das politische Klima noch nicht wirklich gewandelt hat. Das sollte allen Akteuren in Politik und Verwaltung zu denken geben, meint der ADFC. „Der Themenkomplex Sicherheit des Radverkehrs in Leipzig wird im Mittel mit der Schulnote 4,0 bewertet, was gegenüber 2012 keine Verbesserung darstellt und daher noch nicht befriedigen kann,“ gibt Christoph Waack zu bedenken. In der Auswertung wurden dabei Konflikte mit dem Kfz-Verkehr und Fußgängern, das Fahren im Mischverkehr und das allgemeine Sicherheitsgefühl zusammengefasst.

Übrigens ein Thema, das auch in jeder Bürgerumfrage zum Thema aufleuchtet: Die meisten Leipziger bevorzugen zum Radfahren Wege, die möglichst nicht mit den motorisierten Verkehrsströmen in Berührung kommen – und bewerten gerade diese Infrastruktur als recht desolat. Den gedanklichen Sprung, wirklich von den Hauptstraßen unabhängige Verkehrstrassen für den Radverkehr auszubauen, hat die Verwaltung nur punktuell getan.

Bei den Planungen für den Clara-Zetkin-Park ist das nicht mal ein Randthema. Die Vision für den Parkbogen Südost ist erst einmal nur eine Vision. Ein ähnlicher Parkbogen in Gohlis wurde zwar vom Ökolöwen vorgeschlagen, ist aber bei den Planern noch nicht auf fruchtbaren Boden gefallen.

Eine gute lokale Verkehrspolitik müsse nach geltendem Recht dazu beitragen, die Sicherheit aller, insbesondere der schwächeren Verkehrsteilnehmer, zu erhöhen, kommentiert der ADFC Leipzig dieses Thema.  Das sei immer abzuwägen mit dem für alle Bürger geltenden Anspruch auf die freie Verkehrsmittelwahl. Ein Recht des Stärkeren oder einer zahlenmäßigen Mehrheit gebe es hierbei nicht, so der ADFC. Oder sollte es zumindest nicht geben.

“Es freut uns sehr, dass die Teilnehmenden am Fahrradklima-Test 2014 sehr positiv eingeschätzt haben, dass in Leipzig das Fahrrad von allen Bevölkerungsgruppen genutzt wird”, stellt Christoph Waack dann noch fest. “Auch wenn die aktuellen von wirtschaftsnahen Lobbygruppen gesteuerten Diskussionen um den Stadtverkehr etwas anderes suggerieren wollen: Politik und Verwaltung können für die konsequente und strategische Entwicklung des Radverkehrs auf einen zunehmend starken Rückhalt in der Leipziger Bevölkerung setzen.”

Manchmal aber scheitert’s schlicht am Geld. Im Freistaat Sachsen war der Radverkehr – wenn er nicht als touristische Radroute auf einmal zum “Wirtschaftsfaktor” wurde – in den vergangenen Jahren eher das Aschenbrödel.

“Lokale Initiativen, engagierte Bürgermeister und Vereine müssen viel aktiver als bisher bei ihren Bemühungen für eine nachhaltige Fahrrad-Mobilität durch den Freistaat unterstützt werden. Denn Sachsen braucht weniger Autoverkehr und mehr gesunde Fahrradmobilität”, erklärt dazu Eva Jähnigen.

Die Leipziger Ergebnisse im Einzelnen als pdf zum Download.

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