Ob der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) 2025 ein finanzielles Defizit von 130 Millionen Euro hat oder auch gar keins, das kann man nicht wirklich mit Hochrechnungen aktueller Kosten herausfinden. Das wird zu einem einzigen Stochern im Nebel: Nimmt man 1 Prozent Kostensteigerung, 3 Prozent oder 4? Die Ergebnisse gehen deutlich auseinander. Nur die Problemanalyse fehlt. Die muss in der Gegenwart ansetzen.
Freilich auch nicht so, wie es der Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) im August in seinem Politikbrief tat, wo er kurz und knapp zur Entwicklung der Regionalisierunsmittel Stellung nahm. Diese Mittel gibt der Bund seit 1996 an die Bundesländer weiter, um an Stelle der Bahn die Regionalisierung der Schienenverkehre in eigener Regie zu finanzieren. Der Bund hat die Summe mit einem Inflationsfaktor von 1,5 Prozent versehen. Flossen 2003 noch 6,85 Milliarden Euro in die Bundesländer, waren es zehn Jahre später 7,19 Milliarden Euro und 2014 sind es 7,3 Milliarden. Die Bundesländer fordern mit dem neuen Abkommen ab 2015 eine Aufstockung auf 8,5 Milliarden. Ein Grund dafür sind einige Kosten, die gerade in den letzten zehn Jahren deutlich stärker gestiegen sind als nur um 1,5 Prozent.
Der VDV dazu: “Allerdings endet die gesetzliche Regelung zum Jahresende 2014. Bund und Länder verhandeln momentan über eine Anschlussregelung. Auf der Sonder-Verkehrsministerkonferenz am 11. Juli 2014 haben sich die Länder bereits für eine Erhöhung des Sockelbetrags auf 8,5 Mrd. Euro ab dem Jahr 2015 und für eine höhere Dynamisierung von mindestens 2,8 % ausgesprochen. Von Seiten des Bundes liegen noch keine Vorschläge vor. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) unterstützt die Forderungen der Länder ausdrücklich, da die derzeitige Höhe und Dynamisierung für das Aufrechterhalten eines leistungsfähigen SPNV-Betriebs unzureichend sind. Das zeigt die durchschnittliche reale Kostenentwicklung von Trassenpreisen sowie von Energie- und Personalkosten, die im Regelungszeitraum 2008 bis 2014 deutlich über der Dynamisierungrate von 1,5 % liegen. Ferner sind mit der Kürzung der Regionalisierungsmittel im Jahr 2007 bereits erhebliche Defizite bei der Finanzierung des Nahverkehrs entstanden. Hinzu kommen Mehrbelastungen der Branche in Milliardenhöhe durch die Energiewende und den vollständigen barrierefreien Umbau von Fahrzeugen und Verkehrsanlagen, die sich Bund und Länder bis 2022 mit dem novellierten Personenbeförderungsgesetz zum Ziel gesetzt haben.”
Von 2006 zu 2007 hat die Bundesregierung die Regionalisierungsmittel kurzerhand von 7,05 auf 6,71 Milliarden Euro gekürzt. Erst seit 2009 steigen die Zuweisungen wieder. In dieser Zeit stiegen aber – im Zusammenhang mit der Ölpreisentwicklung vor der Finanzkrise und mit der ausgebremsten Energiewende in Deutschland – besonders die Preise für Dieselkraftstoff um durchschnittlich 4,1 Prozent im Jahr und für Strom um 3,4 Prozent im Jahr. Das Problem an der Rechnung: Die Zahlen beziehen sich nur auf die besonders volatilen Jahre 2008 bis 2013. Die heftigsten Sprünge bei Diesel fanden vor allem 2008 und 2009 statt, beim Strom ab 2011. Wer die Zahlen eines kompletten 10-Jahres-Durchgangs zugrunde legt, kommt in beiden Fällen auf Steigerungsraten um die 2 Prozent. Das klingt nicht ganz so heftig wie 3,4 oder 4,1 Prozent. Aber auch der VDV stärkt seine Position in der Diskussion nicht wirklich, wenn er einen so besonders auffälligen Zeitabschnitt wählt, der sich deutlich von den längeren zeitlichen Kurvenverläufen unterscheidet.
Bei den Monatsverdiensten hat er ein ebenso problematisches Raster gewählt. Der Lohnkostensteigerung von 2,6 Prozent liegen nicht nur die Tarifentwicklungen im Nahverkehr zugrunde, für 2008 und 2009 hat man auch die Tarifentwicklung im Lkw-Verkehr mit eingerechnet. Auch hier wäre eine reine Darstellung der Tarifentwicklung im ÖPNV sachdienlicher gewesen.
Wahrscheinlich würde auch dann die Finanzierungslücke deutlich werden, auch wenn es dann wohl nicht um eine Spanne zwischen 1,5 und 4 Prozent geht, sondern eher um eine zwischen 1,5 und 2 Prozent. Diese Finanzierungslücke mussten die Nahverkehrsunternehmen durch Sparmaßnahmen im eigenen Betrieb, Investitionsverzicht und/oder Fahrpreiserhöhungen ausgleichen.
Die Wahrheit ist: Auch diese 0,5-Prozent-Lücke wirkt sich heftig aus.
Erst recht, wenn parallel alle drei Geldgeber ihre Zuschüsse auch noch senken. Ein Punkt, den der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) schon seit einigen Jahren immer wieder thematisiert und der dann 2012 dazu führte, dass er von den politischen Gremien beauftragt wurde, ein alternatives Finanzierungskonzept vorzulegen. Das ist das vom Büro ETC jetzt vorgelegte Gutachten nicht wirklich. Die dortigen Finanzprognosen haben wir an dieser Stelle schon sehr ausführlich diskutiert. Und auch den dann medial so schnell popularisierten Vorschlag, das Finanzierungsdilemma jetzt vielleicht gar mit einem Bürgerticket (alias fahrscheinloser ÖPNV) lösen zu wollen. Allein das macht schon misstrauisch: So lange die Finanzierung noch einigermaßen stimmte, wurde der fahrscheinlose ÖPNV von den politisch Verantwortlichen in Leipzig mit aller Wortgewalt abgelehnt. Aber jetzt, wo die Krise sichtbar wird, soll er das Allheilmittel sein?
Eher klingt es nach einem Versuch, das Finanzierungsdilemma einfach mal zu vergesellschaften – und ansonsten politisch weiterzumachen wie bisher.Eine Grafik des MDV zeigt im Grunde sehr deutlich, wo es klemmt. Sie stellt übrigens etwas fest, was das ETC-Gutachten einfach ignoriert: Die Inflationsrate lag von 2001 bis 2011 jährlich nur bei 1,6 Prozent. 2012 bis 2014 lag sie ebenfalls in diesem Bereich. Der Wert würde also in etwa dem Wert entsprechen, mit dem der Bund die Regionalisierungsmittel dynamisiert hat: 1,5 Prozent. Die 50 Millionen Euro Mehraufwand durch die Inflation hätten sich also ausgeglichen.
Wobei für den MDV zutrifft, dass nicht alle Mitgliedsunternehmen von Regionalisierungsmitteln profitieren. Nicht jedes unterhält Schienenfahrzeuge. Und die beiden zuständigen Landesregierungen haben die Regionalisierungsmittel ja auch nicht 1:1 an die Verkehrsunternehmen weitergereicht.
Das wird insbesondere in der Säule “Kürzung Länder-Investitions-Förderung” deutlich: Im Jahr 2011 hatten die Verkehrsunternehmen im MDV jährlich 15 Millionen Euro weniger für Investitionen zur Verfügung als noch 2001. Den Betrag haben sie nirgendwo ausgleichen können. Auch nicht über die Fahrpreiserhöhungen, die in der ganzen Zeit jedes Jahr mit breiter Brust verkündet wurden. 2011 nahmen die Verkehrsunternehmen im MDV 50 Millionen Euro mehr ein über Tickets als noch 2001. Es hat aber nichts geholfen. Es hat nur die inflationären Kostensteigerungen ausgeglichen.
Gleichzeitig kürzte der Bund seine Zuschüsse für besondere Fahrgastgruppen – was im MDV ein Minus von 5,5 Millionen Euro im Jahr bedeutete.
Aber die heftigsten Einschnitte kamen durch die Zuschusskürzung der Aufgabenträger – also der Kommunen. 2011 hatten die Verkehrsunternehmen 40 Millionen Euro weniger an Zuschuss als 2001. Und Leipzig war bei dieser Kürzungspolitik ganz vorn mit dabei. 2001 unterstützte es seine Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) noch mit 63 Millionen Euro im Jahr. Die Summe schmolz über all die Jahre ab. Heute sind es noch 45 Millionen Euro.
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2011 hatten die MDV-Mitglieder also satte 75,5 Millionen Euro weniger zur Verfügung als 2001. Die Fahrpreiserhöhungen hatten lediglich die Inflation ausgeglichen.
Wo die Kosten “eingespart” wurden, wissen die Fahrgäste eigentlich: Der Fuhrpark ist in großen Teilen veraltet, viele Anlagen sind verschlissen, weil den Unternehmen schlicht die nötigen Gelder für Investitionen fehlen. Takte wurden ausgedünnt – insbesondere in den ländlichen Räumen, und viele Fahrer sind mittlerweile mit Gehältern unterwegs, die weit unter üblichen Branchentarifen liegen.
All das wird eher kaschiert, wenn man Kostenentwicklungen pauschal mit fiktiven Steigerungsraten rechnet. Wirklich konkret wird die Diskussion erst, wenn die Verursacher der Finanzierungslücken mit Ross und Reiter genannt werden. Denn auch das ist Fakt: Allein können die Kommunen das Problem bei der derzeitigen Steueraufteilung in der Bundesrepublik nicht lösen. Dazu ist ihre Einnahmebasis viel zu dünn. Und ein Abwälzen der Kosten auf “alle Einwohner” würde nur dafür sorgen, dass die Allgemeinheit noch tiefer in die Tasche greifen muss für einen funktionierenden ÖPNV, während auf Landes- und Bundesebene die Fehlsteuerung der Fiskalpolitik einfach weiter geht.
Jede Menge Stoff zum Diskutieren also beim heutigen Forum Nahverkehr.
Der Politikbrief des VDV als PDF zum Download.
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