Am Donnerstag, 20. November, hatte der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) eingeladen in die Alte Handelsbörse. Das war nicht ganz so geplant. Viel lieber wäre MDV-Geschäftsführer Steffen Lehmann erst einmal ein halbes Jahr mit dem von der ETC Transport Consultants GmbH erstellten Gutachten durch die Ausschüsse der Ratsversammlungen und Kreistage getingelt. Aber wie das so ist: Irgendeiner plappert immer.
In diesem Fall sickerte der Inhalt des Gutachtens – irgendwie ein bisschen verdreht – aus einem Ausschuss der Stadt Leipzig in die LVZ, die machte einen Artikel draus und polterte gleichmal zum Bürgerticket: “Zwangsabgabe!”
So wird in Leipzig Politik gemacht. Eigentlich wissen das alle Beteiligten. Aber man tut sich schwer mit dem Lernen, tut so, als könne man einfach wie im 19. Jahrhundert weiter Politik in kleinen geschlossenen Kreisen machen. Das Volk bekommt dann irgendwann die fertigen Kompromisse. Schau, wie fleißig wir waren.
Aber regelmäßig taucht das, was in den nichtöffentlichen Ausschüssen geplaudert wird, dann ziemlich verdreht in der Zeitung wieder auf. Denn der, der da plaudert, erzählt natürlich nur seine Sicht. Man macht ja Politik. Und wer zuerst kommt, gibt die Meinung vor. Bis Leipzig wirklich eine transparente Politik bekommt, das wird noch Jahre dauern.
Zumindest war der MDV jetzt im Zugzwang. Denn am Ende muss ein Weg gefunden werden, den Öffentlichen Nahverkehr in der Region so zu organisieren, dass er nicht nur bis zum letzten Euro finanziert ist, sondern auch die Akzeptanz der Bürger und Wähler findet. Nur dann hat er Erfolg. Ob er bis 2025 so teuer wird, wie ETC ausgerechnet hat, weiß niemand. Dass er schon jetzt Finanzierungsprobleme hat, das steht fest. Wenn man so weiter macht wie bisher, das sagte auch Steffen Lehmann am Donnerstagabend in der Alten Börse deutlich, wird es zwangsläufig zur Einschränkung des Angebots kommen.
Die Rahmendaten: Im Jahr 2013 kostete der Nahverkehr im MDV 525 Millionen Euro im Betrieb. Bei einer von ETC angenommenen Kostensteigerung von 3 Prozent jedes Jahr könnten es 2025 dann 749 Millionen Euro sein. Investiert wurden 119 Millionen Euro – davon 54 Millionen in neue Fahrzeuge, 12 Millionen in moderne Haltestellen, 53 Millionen in die Infrastruktur wie etwa die Gleiserneuerung. Das könnten 2025 dann bei entsprechender Kostensteigerung 170 Millionen Euro sein.
Das sind alles nur Hochrechnungen. Und es sei auch egal, ob man nun mit 2 oder 3 Prozent an die Sache herangehe, sagte denn auch Hinrich Brümmer, Bereichsleiter Mobilitätsberatung der ETC Transport Consultants GmbH. Denn das Problem taucht an anderer Stelle auf: der fehlenden Co-Finanzierung. Schon in den vergangenen Jahren haben Bund und Land ihre Förderung deutlich zurückgefahren. Das hat sich vor allem bei den Investitionen ausgewirkt. Und ab 2019 droht ein richtiges Loch, weil sich Bund und Länder noch nicht auf die künftige ÖPNV-Finanzierung verständigt haben. Sollte es zu keiner Anschlussregelung kommen, fällt der ÖPNV in ganz Deutschland in ein Loch. Dann geht nichts mehr.
Denn aus eigener Kraft können die Kommunen den ÖPNV nicht stemmen. Könnten sie schon, wenn die Kommunalfinanzierung in Deutschland anders geregelt wäre. Aber auch da bewegt sich auf Bundesebene nichts. Und man war so manches Mal an diesem Donnerstagabend daran erinnert, dass die ach so reiche Bundesrepublik jetzt so langsam mit aller Macht in das Chaos hineinrauscht, das man sich mit der jahrzehntelangen Steuersenkungspolitik selbst eingehandelt hat. Jetzt wird denen, die sowieso kein Geld haben, die Rechnung präsentiert. Und die Rechnung wird unbezahlbar.
Wie schnell den Verkehrsunternehmen die Spielräume für dringend nötige Investitionen wegbrechen, wenn der zuständige Verkehrsminister die Mittel streicht, haben die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) in den letzten fünf Jahren erlebt. Das Neubeschaffungsprogramm für Straßenbahnen fand ein abruptes Ende, nur ein Teil der notwendigen neuen Busse konnte geordert werden. Und den Neubau der Zentralwerkstatt Heiterblick konnten die LVB nur beginnen, weil sie praktisch nur noch den ersten Baustein umsetzen und den größten Teil aus eigener Tasche finanzieren, weil der Freistaat Sachsen nicht bereit war, so kräftig zu fördern wie etwa bei vergleichbaren Projekten in Dresden.
Der ÖPNV ist schon seit Jahren Spielball der Politik – und er wird nach wie vor als eine Unternehmung der öffentlichen Hand betrachtet, die von einigen Politikern lieber heute als morgen privatisiert würde. Dass nach einer Privatisierung die “unrentablen” Strecken alle wegfallen und die Preise trotzdem steigen, sagt man vorher lieber nicht. Ist ja dann privat. Und privat ist alles besser.
Dass die Verkehrsunternehmen in Deutschland längst hochwirtschaftlich arbeiten, wird dabei ignoriert. Auch das kam zur Sprache, denn wenn schon einmal offiziell über das Bürgerticket diskutiert wird, dann kommt schnell das Beispiel Tallinn auf den Tisch. Eine Insellösung – wie so viele, wie Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. (VDV), betont. Praktisch habe die Stadtverwaltung von Tallinn sogar unter Zugzwang gestanden und nur die Einführung des fahrscheinlosen ÖPNV habe das hoch defizitäre Verkehrsunternehmen überhaupt am Leben erhalten. Nur 30 Prozent seines Umsatzes hatte das Tallinner Verkehrsunternehmen erwirtschaften können.
Wenn ein Unternehmen wie die LVB aber über 70 Prozent schafft, stellt sich die Frage ganz anders. Und so recht zuversichtlich, dass es in einer deutschen Stadt überhaupt in nächster Zeit ein Bürgerticket geben wird, zeigten sich am Donnerstagabend weder Oliver Wolff noch Hinrich Brümmer. Nicht einmal in Stuttgart, wo die Verkehrsbetriebe sogar 90 Prozent Kostendeckungsgrad erreichen, sei das Thema derzeit durchsetzbar. Trotz eines grünen Oberbürgermeisters.Denn dem stehen nach wie vor die Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer entgegen, denen schwer zu vermitteln sei, den ÖPNV mitzufinanzieren, gerade wenn sie ihn nicht nutzen (wollen).
Auch wenn sie trotzdem von ihm profitieren. Jeder Verkehrsteilnehmer, der mit der Bahn fährt und nicht mit dem eigenen Auto, entlastet die Straße. Für den täglichen Stau sorgen nicht die Straßenbahnnutzer, sondern die Pkw-Fahrer. Gleichzeitig senkt ÖPNV die Umweltbelastung deutlich und schafft auch dann große Fahrgastzahlen, wenn selbst die größten Parkplätze verstopft sind.
Deswegen ist LVB-Geschäftsführer Ulf Middelberg zu recht stolz, dass er jetzt mit Porsche einen Vertrag über eine größere Zahl Jobtickets aushandeln konnte: Porsche braucht Platz, um die Produktion zu erweitern, der Parkplatz soll kleiner werden, aber mehr Leute sollen täglich ins Werk kommen. Und so deutet sich an, wohin die Diskussion in Leipzig in den nächsten ein, zwei Jahren laufen könnte. So lange werde die Diskussion schon dauern, betonte MDV-Geschäftsführer Steffen Lehmann. Und eines sei erst einmal sicher: Heute stehe ein Bürgerticket ganz bestimmt noch nicht auf der Tagesordnung.
Aber der Abend machte eben auch deutlich, in welches Dilemma die deutsche Politik den ÖPNV in ganz Deutschland geritten hat. Man hat drauflosgespart im Schweinsgalopp. Doch schon seit den 1990er Jahren haben alle Verkehrsunternehmen ihre Kostenstrukturen zwangsweise entschlacken müssen. Der politische Druck und insbesondere der der eh schon klammen Kommunen war längst da. Im Ergebnis wurde nicht nur massiv Personal abgebaut. Das verbliebene Personal hat auch – wie bei den LVB – jahrelang massiv auf Geld verzichtet. Nur konnte dieses Geld nicht in Investitionen umgemünzt werden, denn faktisch war es ja gar nicht vorhanden, denn im Gegenzug senkten die Kommunen ihre Zuschüsse an die Unternehmen – Leipzig allein von 63 auf 45 Millionen Euro.
Dass das Verhältnis durch den europaweiten Privatisierungsdruck sowieso schon kompliziert ist, deutete LVB-Geschäftsführer Ulf Middelberg an, als er noch einmal auf die Grundbedingung der Betrauung der LVB mit dem Leipziger Nahverkehr einging. Vor fünf Jahren sorgte diese Betrauung für massive Diskussionen in der Leipziger Politik und die Stimmen, die Verkehrsleistung einem privaten Bewerber zu geben, waren laut, sehr laut. Und die Stadt ließ sich lieber juristisch ausführlich beraten, bevor sie dem eigenen Kommunalunternehmen den Betrauungsvertrag gab. Unter anderem auch mit der Auflage, die Kosten zu reduzieren.
Und so wird Ulf Middelberg der Letzte sein, der beim Leipziger Stadtrat anfragt, ob der jährliche Zuschuss von 45 Millionen erhöht werden kann.
Was er kann – und was er auch regelmäßig tut, wenn die Stadt besondere Beförderungsleistungen bestellt (wie die Leipzig-Pass-Mobil-Card oder einen 10-Minuten-Takt am Wochenende): Er rechnet die zusätzlich für die LVB entstehenden Kosten vor. Denn hier gilt – Vertrag ist nun einmal Vertrag: Wer bestellt, der bezahlt auch.
Was das Dilemma der dauerhaften Unterfinanzierung der LVB nicht löst. Denn man kann zwar per Vertrag den Zuschuss deckeln. Aber die Gehälter der Beschäftigten steigen ja trotzdem – in den nächsten Jahren noch etwas stärker als in den letzten, weil nun auch die Fahrer der 2002 ausgegliederten Tochter LSVB wieder tarifüblichere Gehälter bekommen.Aber auch die in den vergangenen Jahren drastisch gestiegenen Preise für Diesel und Strom konnten nicht wirklich kompensiert werden. Aufgefangen wurden die Preissteigerungen vor allem durch Erhöhung der Fahrpreise, die sich mittlerweile für viele Leipziger Geringverdiener in utopischen Höhen bewegen. Doch wenn Bund und Länder pokern und die Kommunen nicht mehr Geld zur Verfügung haben: Was bleibt?
Für Steffen Lehmann die schlichte Erkenntnis: Die Fahrpreissteigerungen im MDV werden in den nächsten Jahren weiter gehen müssen. “Sonst müssen tatsächlich Leistungen eingeschränkt werden”, sagt er. “Wir haben gar keine andere Wahl.”
Über mögliche alternative Finanzierungen werde jetzt in allen Landkreisen und Städten des MDV diskutiert. Wobei völlig offen sei, zu welcher Lösung jedes einzelne MDV-Mitglied käme. Es könnte durchaus passieren, dass es am Ende einen Flickenteppich unterschiedlicher Lösungen gebe. Es könnte auch sein, dass da und dort einer anfängt, Verkehr tatsächlich vernetzter zu denken. Das Thema Taxi kam auf am Donnerstagabend, auch das Thema gemeinsame Beschaffung von Fahrzeugen. “Bei Bussen machen wir das schon zusammen mit Halle”, sagte Ulf Middelberg. Doch das scheitere trotzdem oft, weil die Finanzierungshorizonte nicht passen. Denn in Halle ist man auf Fördergelder aus Magdeburg genauso angewiesen wie in Leipzig auf Förderung aus Dresden. Wenn die Verkehrsminister nicht mitspielen, kann von gemeinsamer Planung keine Rede mehr sein.
Irgendwie war es dann am Donnerstagabend doch so ähnlich wie bei einem Spiel zwischen Zaunwänden, wo die Bälle immer wieder abprallten und die große Frage bleibt: Was geschieht in den nächsten Jahren auf Ebene von Bund und Ländern? Fahren sie die Finanzierung des ÖPNV in den Keller? Dann wird es ganz haarig. Machen sie so weiter wie bisher? Dann bleiben Kommunen und Verkehrsunternehmen auf den steigenden Kosten sitzen und müssen irgendwann die Angebote drastisch reduzieren. Oder die Regierenden in Bund und Ländern schaffen wirklich endlich einen tragenden Kostenrahmen für einen zukunftsfähigen ÖPNV. Was schon mit den vom Bund aufgemalten Klimaschutzzielen eigentlich notwendig wäre. Aber Politik kann sich auch unglaubwürdig machen, wenn sie das Blaue vom Himmel verspricht und dann das Gegenteil tut.
In Sachsen hat man zwar ein bisschen Hoffnung, dass in die Verkehrspolitik wieder Vernunft einzieht. Aber noch gibt es dafür kein belastbares Signal.
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Also wird sich die Diskussion im MDV in den nächsten Monaten darauf konzentrieren, welche Wege möglich sind, die Finanzierung des ÖPNV zu verbessern – möglich und auch gangbar. Wie die Ausweitung vom Jobticket- und Kombi-Modellen etwa. Ansonsten wird es auch dieses Jahr und nächstes Jahr und übernächstes Jahr die üblichen Preiserhöhungen geben. Nicht nur in Leipzig. Irgendwie ist der Preisauftrieb deutschlandweit in Gang. Die Verkehrsverbünde haben überall dasselbe Problem.
Die Diskussion am Donnerstag in der Alten Börse, die Moderator Helge-Heinz Heinker als Moderator geschickt dirigierte, war sehr sachlich, brachte auch weitere Vorschläge von Bürgern und Initiativen. Aber sie machte auch deutlich, dass das Finanzierungsproblem jetzt auf dem Tisch liegt, nicht erst 2025.
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