Am heutigen Montag, 27. Oktober, beginnt die euregia, Fachmesse und Kongress für Kommunal- und Regionalentwicklung in Europa. Für drei Tage werde damit das Congress Center Leipzig zum neunten Mal zur "Vordenkerwerkstatt für Regionalentwickler, Verkehrsplaner, Kommunalpolitiker, Projektfinanzierer und Umweltexperten", teilt die Messe-Pressestelle dazu mit. Bestimmt kommt auch irgendwo der aktive Bürger und seine Teilhabe an allen relevanten Planungsprozessen ins Bild. Aber das ist ja bekanntlich ein Leidensthema. Wie so Manches in Sachen nachhaltige Stadt.
Die euregia versucht es von Anfang an ganz groß, auch diesmal wieder – im Fachsprech der Messe-Presseabteilung: es ginge um “das nachhaltige Zusammenwachsen von Europas Regionen sowie die Mobilität in all ihren Facetten, von der Vision über Konzepte bis hin zu Lösungen für Stadt und Land. Damit schlägt die euregia auch einen Bogen zur parallel stattfindenden new mobility – Fachmesse und Kongress rund um den zeitgemäßen Anspruch, Mobilität neu zu denken.”
Kraftprotzerei in schönen Worten nennt man das wohl. Das Ziel ist edel. Aber schon das zur Eröffnung stattfindende politische Forum zeigt etwas, was die großen Innovatoren gern vergessen: dass unsere Altvorderen schon genauso innovativ waren und längst größer und vernetzter gedacht haben, als es den heutigen Politikern oft fachlich möglich ist.
Das Forum steht diesmal unter eben jener Aufforderung “Mobilität neu denken – intelligent mobil?!”, teilt die Messe mit. Ein gewisser Friedrich List hätte sich wohl nur an den Kopf gefasst: Seid ihr immer noch nicht weiter? – Das war der Mann, der vor 170 Jahren für ganz Deutschland ein sinnvolles Eisenbahnnetz wollte und die Leipzig-Dresdner Ferneisenbahn initiiert hatte. Er ist damals am kleinstaatlichen Denken gescheitert. Und heute würde es ihm nicht besser gehen. Mit all den “hochkarätigen Experten aus Wirtschaft und Forschung”, die sich “zu streitbaren Gesprächen mit Entscheidern der europäischen und deutschen Politik” zusammenfinden in Leipzig (in Gänsefüßchen das Messe-Kauderwelsch). “Im Zentrum stehen akute Fragen zur Gestaltung, zu den Rahmenbedingungen und zum Ausbau künftiger Mobilität.”
Das Anliegen ist ein großes und wichtiges. Es kommt nicht viel dabei heraus. Die Entscheider entscheiden nichts. Und die Experten kehren in ihre Lehrstühle zurück. Man hat sich nachher schön ausgetauscht. Geändert hat sich nichts.
Aber bestätigt fühlen dürfte sich Friedrich List just durch das Impulsreferat. Das hält nämlich Dr. Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG.
“Die Besucher können gespannt sein, wie die anschließende Podiumsrunde auf seine Forderungen zum Abbau von Wettbewerbsverzerrungen zu Ungunsten des Schienenverkehrs sowie zur Senkung technischer, administrativer und rechtlicher Hürden für ein europaweites Eisenbahnnetz reagiert”, raunt die Messe.
Mit den Achseln zucken werden sie. Die Hälfte der Entscheider hat in der letzten Zeit diesen “Wettbewerbsverzerrungen” nämlich zugestimmt – allen voran der “Liberalisierung” des Busfernverkehrs, frei nach dem Motto: Billig ist besser. Dass der eigentlich 2002 gewollte Wettbewerb im Schienennetz damit demoliert wird – vielleicht wird es Grube den Entscheidern erklären. Nicht erklären wird er ihnen mit Gewissheit, wie sein eigenes Unternehmen mit politisch gewollten Prestigeprojekten (Stichwort: Stuttgart 21) den Wettbewerb verzerrt – nämlich den um ein preiswertes, nachhaltiges und möglichst wartungsarmes Schienennetz und sinnvolle Takte und Verbindungen wenigstens im ganzen Bundesgebiet.
Dann wird erst der nächste Schritt greifbar, den die Messe-Presseabteilung so beschreibt: “Breiten Raum nimmt diesmal zur new mobility auch die Frage ein, wie verkehrstüchtig deutsche und europäische Kommunen für die Zukunft aufgestellt sind.”
“Stadt der Zukunft! Mobilität der Zukunft?!” lautet “bewusst zugespitzt das Leitmotto eines Symposiums, das das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gemeinsam mit dem Deutschen Verkehrsforum am 28. Oktober in Leipzig veranstaltet. Hierbei werden sehr differenziert die momentanen Mobilitätskonzepte für den urbanen Raum hinterfragt.”
Was ist daran zugespitzt? Es sitzt schlicht der falsche Mann in der Diskussionsrunde: “Unter dem Titel ‘Mobilität neu denken – intelligent mobil?!’ werden am 27. Oktober im Politischen Forum hochkarätige Gesprächsteilnehmer wie Sven Morlok, stellvertretender Ministerpräsident und sächsischer Staatsminister für Wirtschaft, Dr. Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG und der DB Mobility Logistics AG sowie Prof. Dr.-Ing. Klaus. J. Beckmann, Präsident der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, miteinander diskutieren.”
Zwar weiß – wohl außer der CDU – noch niemand, wer der neue Verkehrsminister in Sachsen wird, Sven Morlok wird es auf keinen Fall mehr sein. Möglich ist natürlich, dass sein Nachfolger genauso technisch denkt. Das Koalitionspapier von CDU und SPD hat aber zumindest ein Umdenken angekündigt: “Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Sachsen muss mit dem Ziel der wirksamen Anbindung des ländlichen Raums an die Ballungszentren weiterentwickelt werden. Die Erschließung einer Region ist Aufgabe der Daseinsvorsorge und darf nicht allein aus wirtschaftlicher Perspektive bewertet werden.”
Oder etwas ausführlicher (im Koalitionsvertrag auf Seite 46 zu lesen): “Unser Ziel ist es, den Schienengebundenen Personennahverkehr (SPNV) durch eine bessere Koordination und Bündelung bei der Ausschreibung von Verkehrsleistungen, durch die Einführung eines integralen Taktfahrplanes und eines landesweit gültigen Sachsen-Tarifs zu stärken. Vor diesem Hintergrund und angesichts der demografischen Herausforderungen sowie der sich verändernden Finanzierungsgrundlagen werden wir eine Strategiekommission für den sächsischen ÖPNV/SPNV ins Leben rufen, die eine Gesamtstrategie für einen weiterhin leistungsfähigen öffentlichen Verkehr im Freistaat entwickeln soll. Die Strategiekommission soll insbesondere den Mittelbedarf für die Grundversorgung mit ÖPNV-Leistungen und den korrespondierenden Investitionsbedarf ermitteln. Sie soll darüber hinaus Lösungsansätze zur Sicherstellung der ÖPNV-Erreichbarkeiten erarbeiten, Optimierungsmöglichkeiten der Organisationsstrukturen im sächsischen ÖPNV/SPNV aufzeigen und Lösungsvorschläge zur Harmonisierung der Tarif- und Beförderungsbestimmungen im Freistaat Sachsen unterbreiten.”
Und was soll im Forum nun besprochen werden? – “In der moderierten Gesprächsrunde soll herausgearbeitet werden, welche Zielstellungen zur Intermodalität verfolgt und wie Lösungen konkret aussehen können. Dabei geht es nicht nur um die technisch effiziente Beförderung mit verschiedenen Verkehrsträgern, sondern auch um die geeigneten politischen Rahmenbedingungen. Gerade hier stellt sich die Frage nach Konfliktpotentialen, die analysiert und gelöst werden müssen. Auch die frühzeitige Einbindung von Nutzern wird Bestandteil der Diskussion sein.”
Die “Nutzer” werden sich veralbert fühlen. Sie sollen wieder “frühzeitig eingebunden werden”. Das nennt man Alibi-Politik. Seit Jahrzehnten arbeiten der Deutsche Bahnkunden-Verband oder der Verkehrsclub Deutschland, um nur zwei zu nennen, an alternativen Konzepten zum Prestige-Programm der Bahn. Aber im Podium sitzen Herr Grube, Herr Morlok und ein Akademiker. Man redet also wieder im Herrenclub und merkt gar nicht, wie sehr schon die politischen Entscheiderrunden dafür sorgen, dass die tatsächlich Betroffenen wieder nur Zuschauer sind.
Aber gerade der Bahn-Chef als Impuls-Redner – das bedeutet zumindest, dass man weiß, dass es ohne Schienenverkehr und eine barrierefreie und sinnvolle Vernetzung nicht geht. Die Zukunft ist heuer 175 Jahre alt. Und so ganz nebenbei: Elektromobilität ist auf der Schiene mittlerweile das Normale, nicht – wie auf der Straße – die Luxus-Ausnahme.
Fachforen zur Elektromobilität
Ein Problem der euregia und der new mobility ist ihr oft rein deklamatorischer Charakter. Das ist ganz ähnlich wie beim Internationalen Transportforum: Statt ganz pragmatisch die technischen Bausteine bereitzustellen, versucht man sich im Dialog mit Entscheidern und verfasst Proklamationen. So auch wieder “in punkto Elektromobilität”
Dazu werden in Leipzig “zentrale Empfehlungen der EU an ihre Mitgliedsstaaten erwartet”, teilt die Messe mit. “Denn Europas Regionen und Großstädte stehen verkehrstechnisch vor großen Herausforderungen: Platzmangel, steigende Energiekosten, Lärm und Schadstoffbelastung erzwingen immer höhere Ansprüche an das Verkehrssystem, wie sie deshalb am 27. Oktober im internationalen Fachforum ‘Elektromobilität im Kontext der Regionen’ diskutiert werden.”
Und welche Botschaft wird da von der EU kommen? Gar keine neue. Denn Auftaktredner in diesem Forum ist Kemal Önel, Policy Officer-END der Europäischen Kommission, Generaldirektion Mobilität und Verkehr. – Thema seines Vortrags: “Europäische Rahmenbedingungen für Elektromobilität”. Mehr nicht. Nix da mit “zentralen Empfehlungen”. Woher auch? Dazu müsste die EU-Kommission schon mal so etwas wie einen Arbeitsstab haben, der Verkehr auf europäischer Ebene vernetzt denkt und entwickelt. Hat sie aber nicht.
Jetzt gemeinsam für Mitteldeutschland: Logistiknetzwerke aus Sachsen und Thüringen tun sich zusammen
Wie hübsch jubelte doch der …
Wie nachhaltig ist der neue STEP Verkehr? – Teil 2: Wohin entwickelt sich Leipzigs Verkehr in den nächsten 10 Jahren?
Der neue STEP-Entwurf geht erstmals …
Leipziger Studie zur Akzeptanzforschung: Beim Netzentwicklungsplan wird das Dilemma der Partizipation in Deutschland deutlich
Knapp ein Drittel (31 Prozent) der Deutschen …
Und auch im Forum geht es eher regional zu: Paris, New York, Québec, Niederlande, Dänemark, Norwegen. Jeder hat sein eigenes Modell und am heftigsten grübeln die Ingenieure derzeit über “Grenzüberschreitende E-Mobility Services”.
Im Fachforum “new mobility 2014”, in dem sich alles um Konzepte, Produkte und Dienstleistungen zur künftigen Mobilität in vernetzten Infrastrukturen von Städten und Regionen dreht, öffnen sich regionale “Schaufenster der Elektromobilität”, wirbt die Messe für diesen Teil des Programms: “Dass hierbei technische Aspekte nahtlos mit infrastrukturellen Voraussetzungen und verkehrsplanerischer Weitsicht einher gehen müssen, wird Gegenstand des Forums ‘Elektromobilität – eine Herausforderung für die Stadt- und Verkehrsplanung’ am 28. Oktober sein.”
Und dann wird’s ganz erstaunlich: Man will tatsächlich auch “Aspekte der Bürgerbeteiligung und Fachkräftesicherung” in den Fokus nehmen.
Ein den Leipzigern gut Bekannter will im Symposium “Beteiligung in Zeiten des Wutbürgers” Elemente einer kommunalen Beteiligungspraxis beleuchten: der ehemalige Leipziger Planungsdezernent und “führende Stadtforscher” Prof. Dipl.-Ing. Martin zur Nedden, Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) in Berlin. Das Forum findet im Rahmenprogramm der euregia am 27. Oktober statt. Zur Nedden will dabei die gegenwärtig entstehende “Nationale Plattform Zukunftsstadt” vorstellen. – “Auf Basis dieser Plattform soll eine übergreifende strategische Forschungsagenda entwickelt werden, die die Städte bei ihrer nachhaltigen Entwicklung in Bezug auf zentrale Zukunftsthemen unterstützt. Gerade auch Themen, die ambitionierte Bürger auf den Plan rufen, werden hierbei berücksichtigt – so etwa die Gentrifizierung, also die Verdrängung von Menschen aus historisch gewachsenen Wohn- und Szenevierteln durch den Zuzug von Besserverdienern”, heißt es im Programm der Messe.
“Mitreden, Mitmachen, Mittragen”, die drei Säulen der aktiven Bürgergesellschaft sollen sich auch in den weiteren Beiträgen widerspiegeln. Und dabei ist dann auch der Leipziger Akzeptanz-Forscher und Unternehmensberater Uwe Hitschfeld. Er reflektiert den aktuellen Stand der Debatte um Akzeptanz, Transparenz und Partizipation sowie deren strategische Konsequenzen für Politik, Unternehmen und öffentliche Verwaltungen. Konsultative Bürgerbeteiligungsmethoden bei der Verknüpfung von partizipativer und direkter Demokratie stellt dann Prof. Dr. Hans-Liudger Dienel, Geschäftsführer des Berliner nexus Instituts für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung, vor.
Behörden und Verwaltungen machen sich schon so ein bisschen einen Kopf darüber, wie man Bürger einbinden kann in Entwicklungsprozesse. Meistens bieten sie dann technische Lösungen an und nennen das dann Partizipation. Wichtige Anforderungen, die aus der Praxis für die E-Partizipation erwachsen, analysiert zum Beispiel der Raumplaner Prof. Dr. Siegmar Brandt, Dekan an der Hochschule Anhalt, zur Konferenz “Partizipation und Kommunikation – aktive Bürgerbeteiligung 2.0”.
Aber auch hier unübersehbar: der regionale, kleinteilige Versuch von Lösungsansätzen.
Das liegt natürlich an den geladenen Experten. Man kann sich Bundes- und Landesregierungen anschauen – nirgendwo gibt es auch nur ansatzweise Ministerien, die tatsächlich schon übergreifende Arbeits- und Vernetzungsstrukturen darstellen. Ressort steht neben Ressort. Und so ist es auch auf new mobility und euregia. Alles, was eigentlich dynamisch zusammengehört, steht fein säuberlich nebeneinander. Im Messe-Ton: “Als Vorreiter im europaweiten Disput um das sich gegenseitige Bedingen von Standort-, Wirtschafts- und Familienpolitik erweist sich die euregia am 28. Oktober mit der Konferenz ‘Familienorientierte Wirtschaftsregion – Potentiale jenseits der Fachkräftesicherung’. Die Besucher lernen hierzu konzeptionelle Überlegungen, aktuelle Studien und regionale Best Practice-Beispiele kennen. Denn Gründerzeiten erleben Unternehmerinnen und Unternehmer ‘oftmals stressig und nicht immer spannungsfrei für die dahinterstehende und tragende Familienstruktur’, weiß der Unternehmensberater Dr. Jan Schröder, der auf diesen Problemkreis spezialisiert ist.”
Nur ganz sachte schimmert in dieser Veranstaltungswerbung durch, dass Wirtschafts-, Familien- und Verkehrspolitik eigentlich vernetzt gedacht werden müssen. Der Stress entsteht, weil nichts miteinander verknüpft, vertaktet, gedacht ist. “Regionale Best Practice-Beispiele” stehen als Solitäre für dieses im Kleinklein gedachte Unvermögen, selbst für eine Region nur simple Normal-Standards zu entwickeln. Es gibt sie aber nicht – nicht für eine familiengerechte Wirtschaftsorganisation, nicht für eine bedarfsgerechte Gründerförderung, nicht für einen intelligenten Normalverkehr, um nur drei Ansätze zu nennen.
Und warum das nun gerade beim Thema euregia und new mobility so scharf klingt: Die Messen finden nun in schöner Regelmäßigkeit statt, aber man werkelt noch immer an den selben kleinen Ansätzen und Symptomen, beschwatzt Entscheider, die nichts entscheiden, und redet über technische Spielzeuge, die das Grundproblem nachhaltiger Infrastrukturen nicht klären.
Wen das trotzdem interessiert – hier die Adressen:
Keine Kommentare bisher