Seit ein paar Tagen kocht in Leipzigs großer Tageszeitung die Debatte um den "Fahrscheinlosen ÖPNV", gern von einigen Leuten auch "Zwangsabgabe" genannt. Man kocht so fröhlich Emotionen und würgt genüsslich eine Debatte ab, die überfällig ist. Das ist nicht die Debatte um "fahrscheinlos" oder nicht, sondern die um die richtige und ausreichende Finanzierung des ÖPNV. Aber darf man dazu eigentlich den scheidenden Verkehrsminister fragen? - Das ist der falsche Mann, stellt der Ökolöwe fest.
Sven Morlok (FDP), der das Amt des sächsischen Verkehrsministers noch versieht, bis CDU und SPD mit ihren Koalitionsvorhandlungen und der Ämterneuverteilung so weit sind, hat das Schlagwort “Maut” indirekt in die Debatte geworfen. Im Hinblick auf neue beitragsfinanzierte Modelle zur Finanzierung des ÖPNV, wie dem Bürgerticket hat der Minister seine Ablehnung damit begründet, dass von Nicht-Autofahrern auch keine Beiträge für die Förderung des Kfz-Verkehrs erhoben würden.
“Das ist falsch”, stellt Tino Supplies, verkehrspolitischer Sprecher des Ökolöwen, fest. “Die Maut für Nicht-Autofahrer gibt es schon längst. Sie wird zum Beispiel in Form von Straßenausbaubeiträgen erhoben, die Hauseigentümer zu entrichten haben und auch auf ihre Mieter umlegen, die gar kein Auto besitzen. Von diesen Beiträgen sieht die Straßenbahn keinen Cent.” Zudem seien Investoren in Sachsen verpflichtet, Parkplätze für Autos zu bauen, wenn sie ein Gebäude errichten. Hinzu kommen noch Erschließungsbeiträge, die Grundstückseigentümer für die Neuanlage von Straßen für den Autoverkehr zahlen müssen.
Die Maut für Nicht-Autofahrer gibt es also. Auch wenn sie anders heißt.
Aber beim Ökolöwen hat Sven Morlok damit eine ganz wunde Stelle erwischt. Denn während Leipzig versucht, seinen ÖPNV fit für die Zukunft zu machen – immerhin sollen die Fahrzeuge der LVB einmal 25 Prozent des Stadtverkehrs abwickeln (2008 waren es 18 Prozent), wurden in den letzten Jahren die dringend gebrauchten Zuschüsse für den ÖPNV gekürzt. Ziemlich stolz verkündete Sven Morlok am Dienstag, 21. Oktober, bei einer Förderbescheidübergabe auf der Karl-Liebknecht-Straße, in seiner Amtszeit seien 100 Millionen Euro an Fördergeldern in den Leipziger ÖPNV geflossen. Das klingt viel, ist es aber nicht.
2013 hatten sich auch die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) an einer bundesweiten Aktion der ÖPNV-Unternehmen beteiligt, die auf das Ergebnis der Kürzungspolitik in Bund, Ländern und Kommunen aufmerksam machten, die dem Nahverkehr dringend benötigte Mittel von 3 Milliarden Euro im Jahr entzog. In der Bundesrepublik gibt es – auf politischer Ebene – schön längst kein realistisches Bild mehr davon, was der Erhalt von Infrastrukturen in einem modernen Land eigentlich kostet. Man hat sich geradezu närrisch geredet in dem Traum, dass man die Kosten auf Dritte abwälzen oder gar in einem befeuerten Wettbewerb mit Privaten wieder einspielen würde. Genau das ist nicht geschehen.Ulf Middelberg, Geschäftsführer der LVB, bezifferte damals den Investitionsbedarf der LVB auf 60 Millionen Euro im Jahr. 60 Millionen Euro, die jährlich in Gleiserneuerung, Wartungstechnik und neue Fahrzeuge investiert werden müssten. Tatsächlich kam das Unternehmen – auch mit den Fördermitteln, die das Verkehrsministerium ausreichte, auf nur 40 Millionen Euro. Da stecken dann die 20 Millionen, die Sven Morloks Ministerium pro Jahr bereitstellte, mit drin. Und der größte Batzen ging in den letzten Jahren für die lange aufgeschobenen Großprojekte Heiterblick und Dölitz drauf. Für den Kauf neuer Straßenbahnen oder gar die Ablösung der alten Tatra-Fahrzeuge war der Spielraum denkbar gering. Die Investitionslücke bezifferte Middelberg auf rund 20 Millionen Euro.
Geld, das eigentlich hätte da sein müssen, wie Supplies feststellt.
Morlok betreibe Augenwischerei, um Kürzungen des Freistaates bei der ÖPNV-Finanzierung zu verschleiern, kritisiert Supplies. Die LVB hätten derzeit rund 300 Trieb- und Beiwagen im aktiven Bestand. Morlok habe am Dienstag, 21. Oktober, bekanntgegeben, dass der Freistaat in den nächsten zwei Jahren die Anschaffung von lediglich fünf neuen Straßenbahnen finanziell unterstützen werde und das auch nur mit der Hälfte der Investitionssumme. Oder in die amtliche Begrifflichkeit übersetzt: Die Fördersumme beträgt 50 Prozent, die andere Hälfte der Summe müssen die LVB aus Eigenmitteln aufbringen.
“Bei der Neuanschaffung von Bussen sieht die Unterstützungsleistung des Freistaates noch schlechter aus. Die Flotten sind sachsenweit überaltert und verursachen so unnötig laufende Kosten”, stellt Tino Supplies fest. “Dazu muss man wissen, dass die Staatsregierung praktisch kein sächsisches Geld für Investitionen in den Öffentlichen Personennahverkehr einsetzt. Schlimmer noch – sie gibt sogar die Zuweisungen von Regionalisierungsmitteln des Bundes für den Öffentlichen Verkehr nicht vollständig an die Aufgabenträger weiter, sondern behält rund 30 Prozent der Mittel ein!”
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In den Jahren 2011 bis 2014 kürzte die Staatsregierung beim ÖPNV so mehr als 130 Millionen Euro.
Seit 2007 erhalten die Länder Kompensationszahlungen nach dem Entflechtungsgesetz vom Bund. Sachsen bekommt aus diesem Topf jährlich knapp 88 Millionen Euro für Verkehrsinvestitionen überwiesen. Der Freistaat setzte in der Vergangenheit nur etwa 15 Prozent dieser Infrastrukturgelder für den ÖPNV ein. 85 Prozent werden in Straßeninvestitionen umgeleitet, kritisiert Supplies. Zum Vergleich: Nordrhein-Westfalen verwendet 50 Prozent dieser Mittel für die Förderung des ÖPNV.
“Sachsen ist mit dieser miserablen Förderquote bundesweit Schlusslicht. Der künftige Verkehrsminister muss jetzt die Scherben aufkehren, die Herr Morlok hinterlassen hat und die Bundesmittel in vollem Umfang an die Aufgabenträger weiterleiten sowie endlich auch sächsische Steuergelder einsetzen, um das ÖPNV-Angebot insbesondere in den wachsenden Ballungsräumen weiter auszubauen”, fordert Supplies.
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