Man hat ja so seine Déjavu-Erlebnisse in Leipzig. Einige Diskussionen kommen immer wieder. Und einige Vorwürfe auch. Etwa wenn es um Ordnung und Sicherheit in Leipzig geht. Vor zwei Jahren tobte da zum Beispiel die große Debatte um die Drogenpolitik in Leipzig, bei der die schon damals völlig überforderte Polizei gegen die Drogenpolitik der Stadt ausgespielt wurde. Jetzt geht das altbekannte Spiel beim Thema Radfahrer in der Innenstadt weiter.
Oder von vorn los. Denn die Debatte gab es ja auch schon mindestens zwei Mal. Seit über fünf Jahren begleitet das Thema die Stadtgesellschaft. Der Ausbau der innerstädtischen Radanlagen kommt nur schleppend voran, weil das Geld dafür fehlt. Der gute Wille meist auch. Ein übergreifendes Radverkehrskonzept für Leipzig? – Fehlanzeige. Auch wenn ganz bestimmt 80 Leute in Leipzig der festen Überzeugung sind, Leipzig hätte so etwas mit dem 2012 verabschiedeten “Radverkehrsentwicklungsplan”. Witz komm raus. Es ist einer dieser typischen Leipziger Verwaltungspläne, die mit einem riesigen Seitenaufwand (72 Seiten) beweisen wollen, wie ungemein zielstrebig die Verwaltung arbeitet – und das eigentlich alles paletti ist.
Doch die Hälfte des Papiers ist eine verkappte politische Diskussion darüber, wo man den Radverkehr ins Leipziger Verkehrsgeschehen gern einordnen möchte. Einordnen soll er sich – und alle anderen Verkehrsarten sind bitteschön genauso zu beachten. Wenn man bei einem Spezialplan Radverkehr gleich wieder so global vorgeht, kommt das hier dabei heraus: “Der Anspruch der Radverkehrsförderung wird hierbei als ein Disziplinen übergreifendes ‘System Radverkehr’ verstanden, das elementarer Bestandteil der integrierten Verkehrsplanung der Stadt Leipzig ist. Einer Verkehrsplanung also, die ihrem Wesen nach alle Anforderungen der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer mit ihren spezifischen Mobilitätsbedürfnissen erfüllen möchte, die jeweiligen Vorteile der einzelnen Verkehrsarten nutzbar macht, die jeweiligen Nachteile kompensiert und allen vom und durch Verkehr Betroffenen heute und in zukünftigen Generationen gerecht werden soll.”
In Sachen Verkehr gilt also die Maxime: Die Leipziger Verkehrsplanung spielt Gott und bestimmt, was gut für die Bürger ist. Veränderungen im Mobilitätsverhalten, die geradezu nach einer Änderung schreien, spielen keine Rolle.
Lieber hat man ein halbes Jahr darauf verschwendet zu bestimmen, wieviel Anteil am Modal Split der Radverkehr künftig haben soll. Zwei Zahlen findet man im Papier: 20 Prozent und 18 Prozent. Bis 2020 also lieber nur 18 Prozent, obwohl Leipzig eine Stadt ist, in der 50 Prozent möglich wären.
Und als wenn man Radfahrer so dirigieren könnte, dass sie die Norm einhalten.
In gewisser Weise tut man es auch: Indem man die Radfahrbedingungen nicht verbessert. Und auch nicht entschärft. Seit 2009 ist in der Innenstadt alles beim alten. Keine einzige Radverbindung durch die City hat sich verbessert. Eine hat man versucht zu reglementieren: Absteigen in den Fußgängerzonen. Man hat Schilder aufgestellt und Faltblätter verteilt. Auch der damalige Polizeipräsident Horst Wawrzynski war da und hat Präsenz gezeigt. Auch Helmut Loris, der Ordnungsamtschef, war da. Musste aber zugeben, dass das Ordnungsamt eigentlich nur Flyer verteilen darf. Denn Eingriffe in den fließenden Verkehr erlaubt die Gesetzgebung den Ordnungsämtern nicht.
Und was sagte Polizeipräsident Horst Warzynski zur logischen Frage, ob dann die Polizei öfter Kontrollen durchführen würde in den nun tagsüber fürs Radfahren gesperrten Fußgängerzonen? Hat er dafür Extra-Polizeieinheiten? – Nicht wirklich, sagte er. Versprach zwar, dass man ab und zu vorbeigucken werde. Aber erlebt hat man das in den letzten Jahren nicht.
Warum auch?
Die meisten Radfahrer haben auch vorher schon die dicht begangenen Fußgängerzonen Petersstraße und Grimmaische Straße gemieden. Sie weichen ganz von selbst aus, wenn es auch nur einigermaßen bessere Bedingungen gibt. Gibt es aber nicht wirklich. Der 2009 versprochene innere Radring ist ein einziger Hindernisparcous mit Bordsteinen, seltsamen Brunnen, Sperrpollern, ungeregelten Kreuzungen, Baustellen und dem Üblichen: abgestellten Blechkolonnen von Autos, die selbst auf den ausgewiesenen Radstraßen die Radfahrer mit PKW, Lieferfahrzeugen und Bussen auf eine Fahrspur drängen. Das ist kein Erfolg. Das ist ein Provisorium.
Man sieht auch Radlerinnen und Radler durch die Fußgängerzonen fahren. Vorsichtig in der Regel. Diverse Anfragen über die Jahre haben ergeben: Von erhöhten Unfallzahlen kann keine Rede sein.
Dass sich auch hier die ungelösten Radverkehrsthemen auswirken, ist unübersehbar: Am Universitäts-Campus ist bis heute das Problem der Radabstellplätze nicht befriedigend gelöst. Man hat das Ding gebaut in der wilden Hoffnung, ausgerechnet Studierende, die es nun wirklich nicht dicke haben mit dem Geld, würden nicht mit dem Fahrrad zur Vorlesung kommen. Kommen sie aber doch. Und kommen natürlich – ach wie blöd – vom Augustusplatz nur durch die Grimmaische Straße zur Universitätsstraße. Dass die neuen Studentenquartiere aktuell im Leipziger Osten liegen, darüber hat die L-IZ schon berichtet.Trotzdem startete Konrad Riedel, Stadtrat der CDU, Anfang Juli wieder eine Rad-Rüpel-Diskussion. Auf die ihm Grünen-Vorsitzender Jürgen Kasek dann mit reiner Statistik antwortete. Es gibt unter Radfahrern nicht mehr Rüpel als unter Autofahrern oder Fußgängern.
Aber Konrad Riedel startet so eine Debatte ja nicht, wenn seine Fraktion nicht parallel dazu wieder einen passenden Antrag hätte. Eingereicht am 16. Juli. Man spricht zwar nicht gleich direkt von der City, meint sie aber mit dem Antrag: “Mehr Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer: Zusammenarbeit der Stadt mit der Polizei zur effektiveren Kontrolle des Radverkehrs und Trennung beider Verkehrsarten”.
Und dann kommt wieder die ganze Naivität der CDU zum Tragen, die glaubt, die Stadt Leipzig könnte irgendwie die Radfahrer zur Raison bringen.
“Der Stadtrat beauftragt die Stadtverwaltung, zur Herstellung von Ordnung und Sicherheit auf Fußwegen und in Fußgängerzonen die Zusammenarbeit mit der Polizei zu aktivieren. Ziel ist die höchste Effektivität bei der Verfolgung von Gesetzesverstößen durch Radfahrer auf für sie gesperrten Verkehrsflächen bzw. zu für sie gesperrten Nutzungszeiten”, heißt der erste Beschlusspunkt des Antrags. Besonders hübsch ist das Wort “Effektivität”. Und das bei einer Polizei, von der auch Polizeipräsident Bernd Merbitz mittlerweile sagt, dass sie deutlich zu wenig Personal hat.
Die Begründung ist auch nicht neu: “Über die Gefährdung in den Fußgängerzonen gibt es einschlägige Beschwerden. Besonders Senioren und Eltern mit Kindern fühlen sich in ihrer Sicherheit bedroht. Dies wurde auch bei der Veranstaltung ‘Zu Fuß in Leipzig unterwegs’ am 19.06.2014 im Leipziger Rathaus deutlich thematisiert. Darüber hinaus wird auch der Städtetourismus negativ beeinflusst.”
Und dann packt man auch die alten Thesen wieder aus: “Die von der Stadtverwaltung postulierte Zusammenarbeit mit der Polizei wird nicht aktiv genug seitens der Stadt mitgetragen. Das ständige Argument der ‘Nicht-Zuständigkeit des Amtes’ verstößt gegen die Fürsorge- und Verkehrssicherungspflicht der Kommune gegenüber ihren Bürgern und Gästen, vor allem wenn – wie bezüglich der Rüpelradfahrer – Gefahr im Verzug ist. Der bloße Verweis auf die Zuständigkeit der Polizei für die Kontrolle des fließenden Verkehrs ist nicht länger hinnehmbar.”
Da sind sie wieder: die Rüpelradfahrer.
Schön gesagt. Aber etwas anderes wird die CDU auch 2014 von der Stadt nicht zu hören bekommen, die sich an die gesetzlichen Vorgaben halten muss. Wenn sie in den fließenden Verkehr eingreift, macht sich die Stadt strafbar. Immer noch.
“Ziel der Prüfung ist nicht das Ob der diesbezüglichen Zusammenarbeit, sondern das konkrete Wie. Das fordert allein schon der Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber allen Verkehrsteilnehmern, die gegen Gesetze verstoßen”, schreibt die CDU-Fraktion in ihrer Begründung. Und wird dann ganz forsch: “Als praktische Konsequenz der Prüfung erwarten wir die Übertragung zusätzlicher Kontrollbefugnisse an die Vollzugsbediensteten des Ordnungsamtes. Die Forderung nach Trennung von Fußgänger- und Radverkehr wurde einmal mehr auf der letzten Seniorensicherheitskonferenz erhoben. Die Lebenserfahrung zeigt: Mischverkehr verunsichert gerade die schwächsten Verkehrsteilnehmer, d.h. vor allem zu Fuß gehende Senioren, Behinderte und Kinder.”
Da wird selbst der sächsische Innenminister, der ja sonst für harte Kurse gern zu haben ist, nicht mitspielen (können). Polizeibefugnisse bleiben Polizeibefugnisse, auch wenn Stadträte ihren Gesprächspartnern etwas Anderes erzählen.
Der zweite Vorschlag aus dem CDU-Antrag ist realitätsnäher und berührt zumindest das eigentliche Problem: Das Fehlen sicherer, separater und eindeutiger Radwege durch die Leipziger City.
“Die Stadtverwaltung prüft die gegenwärtig gemeinsam durch Radfahrer und Fußgänger genutzten Wege, inwieweit beide Verkehrsarten trennbar sind, z.B. auch durch Verlagerung des Radverkehrs auf die Fahrbahn.”
Ein für die CDU sogar sehr mutiger Vorstoß, denn mit der “Verlagerung des Radverkehrs auf die Fahrbahn” würden einige der heiligen Fahrbahnen in und um die City umgewidmet werden müssen. Das dürfte einige Autofahrer durchaus stören.
Aber dass es endlich sinnvolle Radtrassen durch die Innenstadt gibt, das ist tatsächlich überfällig.
Jetzt kann man gespannt sein, was die Verwaltung dazu sagt und ob der Antrag so auch in der Ratsversammlung am 17. September abgestimmt wird.
Der CDU-Antrag: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/5E041294DDE2D7D2C1257D17003AA7A9/$FILE/V-a-574.pdf
Der Radverkehrsentwicklungsplan: www.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/02.6_Dez6_Stadtentwicklung_Bau/66_Verkehrs_und_Tiefbauamt/radverkehrsentwicklungsplan_2010_2020_text.pdf?L=0
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