Wer am 25. Mai seinen gefalteten Wahlzettel in die Urne warf, wird selten bis gar nicht daran gedacht haben, was für einen Fachmann er da eigentlich gerade in den Leipziger Stadtrat gewählt hat. Oder Fachfrau. Oder ob es überhaupt jemand ist, dessen Qualifikation im 70-köpfigen Gremium Sinn macht. Denn eines haben die vergangenen Jahre gezeigt: Nur Fachleute können einer von Experten strotzenden Verwaltung überhaupt Paroli bieten. Einer wie Jens Herrmann-Kambach.

Der Linke-Stadtrat, der im nächsten Stadtparlament nicht mehr vertreten sein wird, ist ein Fachmann. Auch ohne Doktortitel. Er war jahrelang Straßenbahnfahrer, kennt seine Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) als Insider bestens und hat immer dann seine quälend genauen Fragen gestellt, wenn es in Verwaltung und Ausschüssen mal wieder um die LVB ging. Mit seiner “Strategie 25” hat das Kommunalunternehmen sogar wichtige Zielmarken gesetzt, die integraler Bestandteil der Verkehrsstrategie der Stadt sind. Von 17,7 Prozent Anteil an allen Wegen (2008) sollen Straßenbahn und Bus bis 2020 mindestens auf 22 Prozent kommen, perspektivisch auf 25 Prozent. Das klingt nicht viel, bedeutet aber – gemessen am Transportvolumen von 2008 – eine Steigerung um 23 bzw. 29 Prozent. Das stopft man nicht einfach mal so in den existierenden Fahrzeugpark. Das braucht dichtere Taktzeiten, größere Bahnen und auch punktuell die Erweiterung des Streckennetzes.

2013 schafften die LVB gegenüber 2008 schon eine Steigerung der Fahrgastzahlen um 11 Prozent. Ein bisschen spielte da auch das neue Testprojekt hinein, das 2012 auf den Linien 3, 4 und 12 gestartet wurde: der 10-Minuten-Takt am Samstag.

Am 27. Mai bekam Jens Herrmann-Kambach auf seine neugierige Nachfrage zum Effekt des Projekts eine ausführliche Antwort. Aber ihm ging es wie etlichen L-IZ-Lesern: Das fühlte sich irgendwie sehr wattig an, so nach “Nix genaues weiß man nicht” und “Warten wir erst mal ab”. Irgendwie aber glaubt er nicht daran, dass man so ein Projekt, das man ausdrücklich als Test deklariert hat, nicht von Anfang an auch ausführlich dokumentiert hat. Und auch nicht, dass die Linienplaner der LVB nicht wissen, wie sich so ein verdichteter Takt auswirkt. Sonst geben sie sich doch auch so überzeugt davon, dass sie Fahrgastaufkommen kalkulieren und Streckenrentabilität errechnen können.

Also hat er sich gleich wieder hingesetzt und Fragen formuliert, mit denen er das Wattige in der Antwort des Dezernats Stadtentwicklung und Bau versucht zu entwirren.

Sein neues Fragepaket:

“1. Inwieweit wurde bei der Berechnung des 17 % Fahrgastzuwachses auf den Linien 3, 4 und 12 berücksichtigt, dass vor der Umstellung dieser Linien auf den 10-Minuten-Takt die Linien 4 und 12 (als 4 E) auf dem Streckenabschnitt Hauptbahnhof – Stötteritz zumindest zeitweilig und lastrichtungsabhängig schon mehrere Jahre ein dichteres Angebot (2 Fahrten innerhalb von 15 Minuten) für die Fahrgäste darstellten als der aktuelle 10-Minuten-Takt der jetzt allein verkehrenden Linie 4?”

2. Inwieweit bestätigt das Testergebnis auf den 3 Linien, dass die Akzeptanz beim Fahrgast z. B. aufgrund nicht angepasster Umsteigebeziehungen nicht so hoch ist wie die generelle Einführung eines 10-Minuten-Taktes?
3. Inwieweit erfordert die Einführung des 10-Minuten-Taktes keine (!) zusätzlichen Investitionen in den Fahrzeugpark und die Infrastruktur der LVB?

4. Wieso müssten bzw. müssen die LVB davon ausgehen, dass die Einführung eines flächendeckenden 10-Minuten-Taktes finanziell durch die Stadt nicht unterstützt wird? Wer hat wann welche diesbezüglichen Aussagen als Vertreter der Stadt Leipzig getroffen?

5. Gibt es eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung des 10-Minuten-Taktes gegenüber dem 15-Minuten-Takt für das Stadtgebiet? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum eigentlich nicht?

6. Inwieweit wird der Stadtrat in die angekündigte interne Entscheidungsfindung zur Einführung eines 10-Minuten-Taktes im Herbst 2014 eingebunden werden?”

Ganz so eindeutig hatte das Planungsdezernat zwar nicht behauptet, ein genereller 10-Minuten-Takt würde nicht mehr Geld kosten. Aber die Antwort war vielsagend genug gewesen: “Die Stadt Leipzig beabsichtigt nicht, die Taktverdichtung an Sonnabenden bzw. an Adventswochenenden finanziell zu unterlegen, da diese wahrscheinlich ohne Mehraufwendungen vorgenommen werden kann und der gültige Nahverkehrsplan andererseits lediglich einen 15-Minuten-Takt am Wochenende vorsieht. Ein Mindeststandard im Sinne eines 10-Minuten-Taktes an Sonnabenden bzw. Adventswochenenden wird darin nicht beschrieben, insofern stellt dies eine freiwillige Zusatzleistung der LVB ohne finanzielle Zuwendungen seitens der Stadt Leipzig dar.”

Was ja dann genau das bedeutet, was Jans Herrmann-Kambach die ganze Zeit versucht herauszufinden: Der “gültige Nahverkehrsplan” bildet einen alten Zustand ab, der möglicherweise nicht mehr den Bedürfnissen der Gegenwart entsprecht. Es gibt aber weit und breit kein sichtbares Instrument für die Stadträte, herauszufinden, ob es nicht längst an der Zeit ist, die Takte im gesamten Stadtgebiet nach und nach zu verdichten. Denn vollgestopfte Straßenbahnen sind natürlich abschreckend. Erst recht am Wochenende, wenn viele Leipziger und Leipzig-Besucher unterwegs sind, die wochentags eher mit dem Auto zur Arbeit fahren.

Zur Stadtratssitzung am 18. Juni möchte Herrmann-Kambach ein paar ausführlichere Antworten haben. Schriftlich, fügt er noch an. Damit die anderen mitlesen können.
Die Anfrage 1165 als PDF zum download.

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