Politik ist nicht einfach. Aber nicht nur der Wähler hätte es gern immer ganz einfach. Auch Leipzigs Verkehrsverbünde, die sich vor der Wahl mal als "forum urban mobil" ins Geschehen eingemischt und die Parteien befragt haben: Wie halten Sie es mit dem umweltfreundlichen Verkehr? - Da fühlte sich die Linkspartei doch missverstanden. War ihre Antwort zu komplex?
“Im Bereich des ÖPNV hat sich einzig Bündnis 90/Die Grünen der Forderung der Verkehrsverbünde nach einem Fahrpreismoratorium angeschlossen. Die Linke, die bisher am stärksten gegen weitere Tarifsteigerungen eingetreten ist, scheint von dieser festen Haltung abgerückt, betont allerdings die ernsthafte Prüfung alternativer Finanzierungskonzepte”, wertete das “forum urban mobil” die Antwort der Linken.
Entsprechend grimmig äußert sich jetzt Jens Herrmann-Kambach, verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion: “Gegenwärtig werden die Parteien und Wählervereinigungen zu den unterschiedlichsten Themen mit Wahlbausteinen geprüft. Dies hat den Vorteil, dass der Wähler sich von den Kandidaten zu konkreten Fragen ein Bild machen kann, um seine Wahlentscheidung zu treffen. Schwierig ist jedoch, dass oftmals für die Beantwortung der Fragen nur ein minimaler Raum zur Verfügung steht und mit den Verkürzungen auch Missverständnisse transportiert werden, wie bei den Positionen zur Finanzierung des ÖPNV geschehen.”
Die Linke hatte auf die entsprechende These des “forum urban mobil” “voll zugestimmt”. In der Erläuterung aber erklärt, dass der Weg nicht ganz einfach ist: “Auch wir wollen den ÖPNV stärken. Wir setzen uns für bessere Taktzeiten, z.B. samstags, und eine bessere Erschließung der Randgebiete ein. U.a. ist der 60-Minuten-Takt auf der Linie 87 in Wiederitzsch völlig unzureichend. Weiteren Tariferhöhungen ohne ernsthafte Prüfung alternativer Finanzierungskonzepte werden wir nicht zustimmen. Leipzig hat, verglichen mit anderen europäischen Verkehrsbetrieben, relativ hohe Fahrpreise. Es wird Zeit, dass sich die öffentliche Hand stärker zu ihrer Verantwortung für den öffentlichen Nahverkehr bekennt und dass sich alle Nutznießer des ÖPNV an dessen Finanzierung beteiligen.”
Das wertete dann das forum als “nicht ganz voll”.Ärgerlich fand das nun wieder Jens Herrmann-Kambach: “Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Die Linke steht ohne Wenn und Aber zum Fahrpreismoratorium und favorisiert langfristig den sogenannten ‘fahrscheinlosen ÖPNV’. Das ist das Ziel. Doch damit lösen sich kurz- und mittelfristig nicht die Finanzierungsprobleme des Nahverkehrs. Da sich in den letzten zehn Jahren einzig die Finanzierung über die Fahrpreise erhöht hat, während die Zuschüsse der öffentlichen Hand gesunken sind, brauchen wir dringend alternative Finanzierungsmodelle. Mobilität ist Daseinsvorsorge, und öffentlicher Nahverkehr braucht öffentliches Geld. Und so lange es dafür keine Konzepte gibt, die alle Nutznießer des ÖPNV in die Pflicht nehmen, müssen die Fahrpreiserhöhungen gestoppt werden. Denn der Fahrgast allein kann die Finanzierung des Nahverkehrs nicht schultern. Auf diese Untersuchungs- und Arbeitsergebnisse, die zugesagt wurden, aber bis heute nicht vorliegen, warten wir. Und bis dahin werden wir keiner weiteren Fahrpreiserhöhung zustimmen.”
Ein sehr interessantes Statement zum Thema findet sich in einer Kritik justement der FDP-Fraktion zum aktuell diskutierten Stadtentwicklungsplan (STEP) Verkehr, den FDP-Stadträtin Isabel Siebert gleich mal betitelt hat mit “Alte Feindbilder, wenig Neues, schwache Erkenntnislage”. Sie liest aus dem Papier eine Benachteiligung des motorisierten Individualverkehrs heraus.
Aber das Erstaunliche an der FDP ist: Eigentlich trägt sie auch das Ausbauziel für den ÖPNV, “schließlich sei das die beste Möglichkeit für Autofahrer, häufiger mal das Auto stehen zu lassen.”
Die im STEP angekündigte Prüfung einer allgemeinen ÖPNV-Abgabe lehne die FDP-Fraktion allerdings strikt ab, so Siebert.
“Über den Stadt- bzw. LVV-Haushalt leisten alle Leipziger Gebühren- und Steuerzahler bereits heute einen stattlichen Beitrag dafür, dass Tram, Bus und S-Bahn attraktive Preise und Verkehrsleistungen erbringen können”, sagt sie.
Und bringt dann eine erstaunliche Zahl, die auch Leipzigs Autofahrer aufhorchen lassen dürfte: Die FDP schätzt nämlich, dass jeder Leipziger etwa 250 Euro jährlich berappen müsste, damit das Ticketkaufen entfallen könnte, vorausgesetzt, es gebe weder Ausnahmen noch Sozialrabatte.
250 Euro im Jahr? – Das ist weniger als das aktuelle 25-Euro-Monatsticket für Leipzig-Pass-Inhaber. Es ist nicht einmal die Hälfte dessen, was Abo-Nutzer bei den LVB im Jahr bezahlen. Und Autofahrer, die fast nur im Leipziger Stadtgebiet unterwegs sind, dürften an dieser Stelle wirklich ins Rechnen kommen, ob 250 Euro für dauerhaft fahrscheinloses Straßenbahnfahren in Leipzig nicht wesentlich preiswerter sind als all die Kosten fürs Auto.
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Aber die FDP wäre nicht die FDP, wenn sie nicht schon vor der Diskussion eines solchen Themas den Missbrauch wittern würde. Diesmal nicht durch Schwarzfahrer (die es ja dann nicht mehr gibt), sondern – durch die LVB selbst.
“Ja, es ist richtig, den ÖPNV aus verkehrlichen und Umweltgründen besonders zu unterstützen. Aber die Grenze ist erreicht. Wenn es keinen Kostendruck mehr gibt, zieht der Schlendrian ein, das ist eine allzeit gültige Weisheit. Und das nutzt keinem Fahrgast, und noch weniger denen, die dennoch auf ihr Auto angewiesen sind,” begründet Isabel Siebert das aus ihrer Sicht klare Nein zur ÖPNV-Abgabe.
Außerdem sei das auch eine ganz grundsätzliche Gerechtigkeitsfrage, dass man für Leistungen bezahlt, die man nutzt, insbesondere bei einem so hohen Gut wie der Mobilität.
Auch das ein sehr schönes Argument, denn wenn der ÖPNV “die beste Möglichkeit für Autofahrer, häufiger mal das Auto stehen zu lassen” ist, dann würden sie ja mit läppischen 250 Euro auch für eine Leistung zahlen, die sie ebenfalls nutzen.
Also die besten Argumente, den fahrscheinlosen ÖPNV in Leipzig auf die Tagesordnung zu setzen.
Direkt zu den Wahlthesen des “forum urban mobil”
Nachtrag 25. Mai: Natürlich hat der Leserkommentar recht, der uns darauf hinweist, dass die Leipzig-Pass-Mobilcard mittlerweile 29,50 Euro kostet. Wir lassen es mal im Text so stehen, sonst wird der Kommentar unverständlich.
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