Da werde einer schlau, sagte sich die Linksfraktion, als sie den "Bericht zur Umsetzung des Konzepts zur Finanzierung des ÖPNV und Betrauung der LVB incl. Gesamtbericht nach VO (EG) 1370/2007 für 2012" auf den Tisch bekam. Im Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau war er schon im März vorgelegt worden. Aber wer keinen Doktortitel in Transporttechnologie hat, schaut hinein wie ein Schwein ins Uhrwerk. Und was man sucht, findet man nicht.

Es kann gut sein, dass in der Planungsetage der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) so technisch gedacht wird. Da muss man die Transportkosten pro Fahrzeug und gefahrenen Kilometer im Griff haben. Was bei den LVB augenscheinlich der Fall ist. Schon ein Gutachten von 2012 ergab, dass man in den Jahren bei den Kosten “kumuliert im unteren Drittel der Bandbreiten der Kosten eines vergleichbaren, durchschnittlich, gut geführten Unternehmens” lag. Man hatte also noch Spielraum nach oben.

Aber welchen? – Wahrscheinlich hat das Dezernat Stadtentwicklung und Bau in den Ausschusssitzungen einen Dolmetscher mitgebracht, der den Stadträten erklärt hat, was die Zahlen im Papier bedeuten. In Anlage 1 gibt es zumindest eine Auswahl von Zahlen für die Jahre 2009 bis 2014 – die Planzahlen neben den wirklich gefahrenen Zahlen. So sind die Straßenbahnen der LVB 2012 stolze 12,5 Millionen “Nutzzugkilometer” gefahren, die Busse weitere 9,4 Millionen.

Fahrgäste werden im Technikerdeutsch zu “Linienbeförderungsfällen”. 109,3 Millionen wurden auf der Straßenbahn gezählt, 24,6 Millionen in den Bussen. Für 2013 planten die LVB wieder mit 109 Millionen auf der Tram und rund 24 Millionen in den Bussen. Und wurden am Jahresende heftig überrascht, weil die Prognosen deutlich übertroffen wurden: 114,7 Millionen Fahrgäste wurden in den Straßenbahnen gezählt, 27,5 Millionen in den Bussen.

Das sind die Punkte, an denen Stadträte zu recht stutzig werden: Was passiert eigentlich, wenn das vorhandene Fahrmaterial nicht mehr ausreicht, um den Bedarf zu decken? – Den Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag (VLFV) mit den LVB hat man doch geschlossen, um den reibungslosen Betrieb des ÖPNV zu sichern. Da ist es zwar schön zu wissen, dass die LVB die Kosten für den Betrieb von Straßenbahnen und Bussen in den vergangenen Jahren immer schön im Zaum gehalten haben. Aber wie wirkt sich das tatsächlich auf Qualität und Quantität des Angebotes aus?

Immerhin hatten die LVB 2012 den Betrieb der Straßenbahnen von 2009 bis 2012 immer sauber um die 49 Millionen Euro gedeckelt. Aber für 2013 und 2014 hatten sie zumindest im Plan schon mal Steigerungen auf 52 und 53 Millionen Euro geplant. Das ist in der jetzigen Vorlage noch nicht analysiert. Das Analysejahr ist 2012. Aber natürlich wollen auch Stadträte wissen, wohin sich das entwickeln soll. Auch Busbetrieb wird nicht billiger. Nach 17,7 Millionen Euro im Jahr 2011 wurden 2012 schon 18,4 Millionen Euro verbucht. Für 2013 standen 19 Millionen im Plan.Dass ein wesentlicher Faktor die “Vorhaltung der Infrastruktur” ist, versteht man ja. Sprit ist teurer geworden, die neuen Fahrzeuge sind kleine Wunder der Technik – und ebenfalls teurer, Gleise müssen saniert und ersetzt werden. Der einzige Posten, an dem man sparen konnte in den letzten Jahren, war eher das Fahrpersonal. Oder was steckt hinter dem seltsamen Begriff “sozialpolitische Verpflichtungen (Köpfe)”? Mittlerweile suchen die LVB ja wieder Fahrpersonal, wenn auch eher nur für die Stoßzeiten. Im Fahrbetrieb selbst hat man alles so sauber rationalisiert, dass man mit knappem Personal gerade so zu Rande kommt. Oder käme. Oder kommen müsste.

Aber genau das bezweifelt die Linksfraktion. “In der Antwort auf die Anfrage F 982 vom 18.10.2013 wurde ein Bericht zur Umsetzung des Nahverkehrsplanes angekündigt. Die vorliegende Drucksache enthält diesen aber nur sehr unzureichend. So gibt es nur Aussagen, welche Fahrplanleistungen theoretisch erbracht wurden. Eine Aussage über tatsächlich erbrachte Leistungen (z. B. abzüglich fahrgastwirksamer Ausfälle, Pünktlichkeitsgrad, tatsächliche Anschlusswahrung) fehlen gänzlich. Dazu bedarf es dringend einer Ergänzung, welche in künftige Berichte eingehen sollte.”

So fragt ein professioneller Fahrgast, der jeden Tag erlebt, wie das ist, wenn Straßenbahnen um Minuten hinter ihrem Fahrplan hinterher bummeln. Manchmal schon, weil sie an jeder Kreuzung von Linksabbiegern ausgebremst werden, manchmal wegen eines Verkehrsunfalls, der ganze Hauptstrecken lahm legt, manchmal auch wegen schlecht organisierter Fahrerwechsel.

Wieviel Verspätung steckt im Leipziger Liniennetz? Man ahnt es nur, wenn man an manchen Haltestellen die wilden Eiertänze der Fahrgastanzeiger beobachtet. Wenn dann eine Linie gleich mit drei, vier Fahrzeugen und gleicher Fahrzeit eingeblendet wird, weiß man: Auf der Strecke hat’s mal wieder gescheppert. Jetzt staut sich dort alles.

Viel geändert haben will die Linksfraktion in diesem sehr technischen Bericht erst mal nicht. Sie hat nur einen kleinen Änderungsvorschlag: “Die Drucksache wird wie folgt um einen Punkt 3 ergänzt: 3. Zukünftige Berichte beinhalten eine Analyse der Erfüllung der Mindest- und Qualitätsstandards des Nahverkehrsplanes der Stadt Leipzig.”

Aber genau da steckt es ja, was der Fahrgast erlebt. Das, worüber er sich ärgert. Was aber auch genau der Punkt ist, an dem Qualität künftig gemessen werden muss. Unausgesprochen steckt im Linke-Antrag auch der Frust über die verweigerte Debatte um die jährlichen Fahrpreisanstiege. Wer Fahrpreise jedes Jahr erhöht, der muss sich der Qualitätsdebatte stellen. Und zur Qualität gehören eben auch verlässliche Takte, zuverlässige Anschlüsse und ein ausreichender Fuhrpark. Wenn die Fahrgastzahlen weiter so deutlich steigen – stärker als von den LVB selbst eingeplant -, dann verdichtet sich das Problem. Und dann taucht auch das Thema wieder auf, mit dem die Grünen in der Haushaltsdiskussion abgeblitzt sind: Mehr Geld für neue Fahrzeuge.

Am 16. April stimmte der Stadtrat der gewünschten Ergänzung “Zukünftige Berichte beinhalten eine Analyse der Erfüllung der Mindest- und Qualitätsstandards des Nahverkehrsplanes der Stadt Leipzig” zu. Jetzt kann man gespannt sein, wie es umgesetzt wird. Und wann.

Die Zahlen aus der Vorlage: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/0CE94733EE776B04C1257C82004FFC27/$FILE/V-ds-3627-anlage-1.pdf

Die Kurzeinführung in das Papier: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/0CE94733EE776B04C1257C82004FFC27/$FILE/V-ds-3627-anlage-3.pdf

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