Den einen ist es schon viel zu viel, was Leipzig seit gut fünf Jahren für den Radverkehr tut. Den anderen ist es viel zu wenig. Aber wer in Leipzig mit dem Fahrrad unterwegs ist, der weiß, wie sehr das Transportmittel in den letzten 25 Jahren immer im Hintertreffen war. Spätestens, als sich OBM Burkhard Jung 2007 klar zu einer nachhaltigen Stadt bekannte, musste es einen Richtungswechsel geben. Aber der ist schwer, wie das BYPAD-Verfahren 2009 zeigte.

Gerade einmal 2,2 Pünktchen auf einer Skala von 0 bis 4 bekam die eigentlich für den Radverkehr ideal gelegene Stadt. Am Freitag, 23. Mai, gab es nun die Folge-Urkunde. Die Stadt hat sich für die Jahre 2013/2014 erneut prüfen lassen. Und es wurde tatsächlich ein bisschen mehr. Aus dem “ad hoc”-Ansatz wurde beinah so etwas wie ein system-orientierter Ansatz, der im BYPAD-Verfahren ab 3,0 zu sehen ist. Ab da kann von einer systematischen Radverkehrspolitik gesprochen werden.

Noch ist Leipzig nicht da, aber auf einem gutem Weg wie das so schön heißt – irgendwann einmal auch hin zu einer integrierten Radverkehrspolitik. Aber davon trennen Leipzig noch Welten. Das tritt erst ein, wenn im BYPAD-Verfahren volle 4 Punkte vergeben werden.Aber auf 2,7 Punkte kommt Leipzig jetzt schon. Und Edeltraut Höfer, die scheidende Leiterin des Verkehrs- und Tiefbauamtes, weiß, was das für Kopfstände und zähes Ringen mit festgefahrenen Positionen auch in der Verwaltung bedeutet hat. Denn auch wenn die FDP jetzt ein bisschen zu viel Revolution in Sachen Radverkehr in Leipzig sieht. Für die jüngere Vergangenheit gilt auch und gerade im Verwaltungsdenken das absolute Primat des Kfz-Verkehrs. Jeder Antrag für ein bisschen mehr Geld für den Radverkehr war auch im Stadtrat jedesmal ein Kampf. Es war ein bisschen so wie bei “Hochkultur” gegen “freie Szene”. Auch da kann Leipzig noch lange nicht von einer integrierten Politik sprechen.

Aber dass sich auch die Verwaltung bemüht, beim Radverkehr hin zu kommen zu Stufe 3, dem “system-orientierten Ansatz”, das bescheinigt das von der TU Dresden durchgeführte Bicycle Policy Audit (BYPAD) 2014 nun mit einer Urkunde, die Oberbürgermeister Burkhard Jung am 23. Mai auf dem Augustusplatz von Prof. Gerd Axel Ahrens von der TU Dresden entgegen nahm. Die Überreichung fand zum Auftakt der Radtour statt, die Burkhard Jung mit Teilnehmern des International Transport Forum unternimmt, das vom 21. bis 23. Mai im Leipzig Congress Center sein Jahrestreffen veranstaltete. Danach schwangen sich die Kongressteilnehmer aufs Rad und fuhren über den Richard-Wagner-Platz, das Sportforum, die Pferderennbahn und das Bundesverwaltungsgericht eine Schleife.BYPAD ist ein EU-zertifiziertes Verfahren zur Bewertung der Radverkehrsförderung aus Sicht der Stadtratsfraktionen, von Verbänden und eines externen Auditors unter Beteiligung der Stadtverwaltung. Es wurde im Rahmen des EU-Projektes Central MeetBike durchgeführt. Das erste BYPAD-Verfahren hatte es 2009 gegeben mit dem oben genannten Ergebnis von 2,2 (von 4 möglichen) Punkten. Leipzig konnte sich nun auf einer von 1 bis 4 reichenden Skala von 2,2 auf 2,7 verbessern. Und dabei spielt die Öffnung der Verwaltung gegenüber den Außenstehenden eine wichtige Rolle: Vor allem die Kommunikation mit Entscheidungsträgern, die Vernetzung mit anderen Kommunen und die Einbeziehung des Radverkehrs in die Stadtentwicklung wurden von den Auditoren lobend hervorgehoben.

Ein nicht unwichtiger Schritt. Denn lange Jahre galt auch ein Verein wie der ADFC Leipzig in der Verwaltung eher als Störenfried. Da plante man so schöne schnelle Straßen für flotten Verkehr – und dieser nervende Radfahrerverein mahnte ständig eine Gleichberechtigung für die Radfahrer an? Wo kommt man da hin? – Burkhard Jung weiß es inzwischen. Denn mit seiner auf breite, schnelle Straßen fokussierten Verkehrspolitik hatte Leipzig den Anteil des Radverkehrs in der Stadt drastisch gesenkt – von 14 Prozent Anfang der 1990er Jahre auf 6 Prozent zum Ende des Jahrzehnts. Mittlerweile, da klingt auch Burkhard Jung stolz, sind es wieder zwischen 15 und 16 Prozent.

Und der Druck kommt tatsächlich von der Straße. Und dafür bedankte sich Burkhard Jung am Freitag auch besonders bei Ulrich Patzer, dem langjährigen Vorsitzenden des ADFC, der mit Beharrlichkeit die Interessen der Radfahrer auch im Rathaus anmeldete. Nicht ganz so kämpferisch wie seine Nachfolger. Aber beharrlich. Und das ist das, was sich in Stadtpolitik am Ende tatsächlich in Folgen umsetzt. Auf einmal tauchte das Radwegenetz auf der Arbeitsagenda des Stadtrates auf, die Einbindung ins überörtliche Radwegenetz, der Radring in der Innenstadt wurden Thema und das Schaffen von ersten Radstraßen. Auf einmal wurde der “Leipziger Bügel” zu einer Normalität im Straßennetz. Und die Zahlen sprechen für den Wechsel: 2012 wurde das Fahrrad in einer Kategorie erstmals das Verkehrsmittel Nr. 1 bei den Leipzigern: bei den Fahrten in die Freizeit.

Noch gibt es zu tun. Der jetzt diskutierte Stadtentwicklungsplan (STEP) Verkehr ist ein Schritt hin zu einer systematischen Radverkehrspolitik. 2,7 Punkte bedeuten eben: Da fehlt noch was. Wenn das Thema Radverkehr nicht systematisch eingebaut ist in so etwas wie den STEP Verkehr, werden sich immer wieder Spieler finden, die andere Prioritäten setzen wollen, Geld lieber anders verteilen, Projekte ablehnen oder die Sache mit dem Radfahren einfach ausblenden, weil es sie nicht interessiert.

Bis zur Stufe 4 wird es dann richtig spannend: Das ist dann ein integrierter Ansatz in der Verkehrspolitik, “der in allen Belangen immer auch den Aspekt der Radverkehrs berücksichtigt.” Die jetzige Urkunde bescheinigt OBM Burkhard Jung also, dass man auf dem richtigen Weg ist, zeigt aber auch, dass er da noch lange nicht ist. Das dicke Auswertungspaket drückte er dann gleich mal Edeltraut Höfer in die Hand.

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