Manche Leute warten ja ganz närrisch auf 100-Tage-Bilanzen. Aber bei einem technischen Großprojekt wie dem City-Tunnel Leipzig macht es schon ein wenig Sinn zu schauen, wie das Ganze im Tagesbetrieb funktioniert. Das taten dann auch einige Akteure von der Deutschen Bahn bis zum Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC) am 25. März. Euphorisch die einen, etwas ergrimmt die anderen.
“Das war ein gelungener Start in ein komplexes neues Verkehrssystem, welches sich nun auch unter Alltagsbedingungen bewährt”, erklärte Frank Klingenhöfer, Vorsitzender der Regionalleitung bei DB Regio Südost. “Ohne das zuverlässige Zusammenwirken von Infrastruktur, Servicedienstleistern und Vertrieb würde es nicht so gut funktionieren.”
“Die technischen Anlagen der Verkehrsstationen im City-Tunnel arbeiten bis auf wenige Ausnahmen zu unserer Zufriedenheit. Bei den Fahrgastinformationsanzeigen, Rolltreppen, Aufzügen und den komplexen Systemen der technischen Gebäudeausrüstung gab es bisher kaum gravierende Störungen oder Ausfälle. Allerdings mussten bei den Prozessen zur schnellen Störungsbeseitigung erst praktische Erfahrungen gewonnen werden”, erläuterte Michael Müer, Leiter des Regionalbereichs Südost bei der Station&Service AG, seinen Part.
Denn da und dort zeigte sich eben doch, dass man da ein technisches Großprojekt installiert hat, bei dem Funktionsstörungen sehr schnell zu Unmut bei den Fahrgästen führen können. Man denke nur an die Ausfälle der Rolltreppen in der 20 Meter tief gelegenen Station “Markt”.
In Betrieb genommen wurde Leipzigs City-Tunnel am 15. Dezember, seitdem haben die S-Bahn Mitteldeutschland und der Tunnel ihren ersten “Stresstest” bestanden. Seit Anfang Januar gab es rund 600 Zugfahrten auf sechs S-Bahn-Linien im 430 Kilometer langen Streckennetz im täglichen Praxiseinsatz. Eine durchschnittliche Fünf-Minuten-Pünktlichkeit von 97 Prozent zeuge von einem stabilen Betrieb, betont die Bahn. Das sei ein Spitzenwert in deutschen S-Bahnnetzen. Die Tunnelstationen hätten sich zu einem touristischen Hingucker entwickelt.
Sven Morlok, Sächsischer Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr: “Der Freistaat und die Deutsche Bahn AG haben Anfang 2010 erfolgreich die Weichen neu gestellt und das Großprojekt City-Tunnel auf Erfolgskurs gebracht. Nachdem Kosten und Termin zuletzt wie versprochen eingehalten werden konnten, setzt sich der Erfolgskurs nach der gelungenen Inbetriebnahme im letzten Dezember nun mit einer positiven 100-Tage-Bilanz fort. Die Vision für die Neuordnung des Mitteldeutschen Schienennahverkehrs ist Wirklichkeit und gelebter Alltag geworden.”
Aber da und dort fehlt tatsächlich noch was. Und auch die Bahn sieht noch einige Stellen, an denen es eben nicht ganz rund läuft, und betont, ein wenig getrübt werde die positive Bilanz auch durch einzeln auftretende Fahrzeugstörungen und Vandalismusschäden, wobei sich die Stillstandszeiten der Fahrzeuge bis zur Beseitigung der Gewährleistungsmängel durch den Hersteller nachteilig auf die Fahrzeugverfügbarkeit auswirken.
Ebenso habe sich im Praxisbetrieb herausgestellt, dass es insbesondere auf den S-Bahnlinien S 3/S 5X im Abschnitt Leipzig Hbf. tief – Halle (Saale) Hbf. bei einzelnen Zügen zu Überbesetzungen kommt. Heißt im Klartext: Die wichtigste Verbindung Leipzig – Halle ist stärker nachgefragt, als von den Planern bedacht. Und das ist deutlich – vor allem im Berufsverkehr – zu spüren.
Auch an der Wegeleitung und an den elektronischen Anzeigetafeln der Stationen seien noch Verbesserungen notwendig.
“Als Aufgabenträger freuen wir uns über den gelungenen Start. Allerdings sind wir mit den Verantwortlichen der Bahn im intensiven Kontakt, um die erforderlichen Nachjustierungen sowohl hinsichtlich des Betriebsablaufs als auch der Anlagenverfügbarkeit so schnell wie möglich umzusetzen”, meint Oliver Mietzsch, Geschäftsführer des Zweckverbandes für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL).Ausgeblendet haben die offiziellen Akteure dabei alles, was eben noch nicht fertig ist. Der SPD-Landtagsabgeordnete Mario Pecher hatte nach all den Debatten um die Barrierefreiheit auf der Leipziger Verteilerebene und an den Haltestellen Gaschwitz und Großstädteln beim Sächsischen Verkehrsminister angefragt. Aber das sei nicht sein Thema, ließ ihn Verkehrsminister Sven Morlok am 6. März wissen und verwies ihn an die DB Station&Service AG.
Auf der Website der Mitteldeutschen S-Bahn steht der wenig aussagekräftige Spruch: “Die neuen, vier unterirdischen Stationen des City-Tunnel Leipzig, die gleichzeitig mit der S-Bahn Mitteldeutschland in Betrieb gehen werden, verfügen ebenfalls über Aufzüge und Blindenleitsysteme. So kommen Sie auch unter der Erde barrierefrei an Ihr Ziel.”
Aber nicht nur Behindertenverbände haben so ihre Probleme mit der Informationspolitik der Bahn. Auch für den ADFC sind viele Lösungen nicht durchdacht.
Die Fahrradfreundlichkeit der S-Bahn-Stationen zeige sich an zwei Faktoren: der Erreichbarkeit der Bahnsteige und der Ausstattung mit geeigneten und gut platzierten Rad-Abstellanlagen, betont der Verband der Radfahrer. Aber an den neuen S-Bahn-Stationen erfolge die Zuwegung oft über lange steile Treppen oder einen zum Fahrradtransport vergleichsweise kleinen Fahrstuhl.
“Vor allem an den Innenstadt-Haltepunkten ist das problematisch, da Radfahrende nur eine Nutzergruppe sind, und es dadurch zu Wartezeiten und unschönem Gedränge kommen kann”, erläutert Leipzigs ADFC-Vorsitzender Dr. Christoph Waack das Problem. Aus Sicherheitsgründen können Fahrräder nicht über die Rolltreppen transportiert werden, erst recht nicht mit Gepäck zum Wochenendausflug oder vom Einkauf. Rampen seien in dieser Hinsicht besser und komfortabler, wie es zum Beispiel an der Station Leipzig MDR der Fall sei.
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“Leider wurden nicht an mehr Stationen solche Rampen eingeplant, sei es aus technischen oder finanziellen Erwägungen heraus”, kritisiert Waack.
Positiv fielen ihm die überdachten Fahrradabstellanlagen am MDR auf. Auch die zusätzlich aufgestellten Fahrradbügel würden bereits sehr gut angenommen. Es gebe jedoch auch S-Bahn-Stationen, an denen man sein Rad mangels Abstellanlage irregulär abstellen müsse, zum Beispiel an der Station Leipzig-Stötteritz. “Die gute Belegung der Fahrradbügel lässt bereits jetzt erkennen, dass die S-Bahn als sinnvolle Ergänzung des Umweltverbundes von Leipzigs Radfahrenden angenommen wird. Eine an der Nachfrage orientierte Nachrüstung mit sicheren Abstellanlagen in unmittelbarer Nähe zu den Zugängen verhindert das ‘Wildparken’ von Fahrrädern an Geländern und Aufgängen”, resümiert Dr. Christoph Waack.
Und wo die Bahn von großzügigen Wagen schwärmt, sieht er durchaus Engpässe: “Es zeigt sich auch, dass das Angebot an Fahrradstellplätzen in den S-Bahn-Zügen zu begrenzt ist. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt, wenn die Leipziger die S-Bahn zum Erreichen attraktiver Startpunkte für sonntägliche Radtouren im Umland von Leipzig entdeckt haben.”
www.s-bahn-mitteldeutschland.de/s_mitteldeutschland/view/index.shtml
www.citytunnelleipzig.de/de/das-neue-netz/mitteldeutsches-s-bahn-netz.html
Die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion als PDF zum Download.
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