Der neue STEP-Entwurf geht erstmals deutlich über das Schubladen-Denken von 2003 hinaus, auch wenn man die Aufteilung in die einzelnen Verkehrsarten nicht ganz vermeiden kann. Aber durch alle Kapitel zieht sich erstmals der Versuch, Verkehr tatsächlich vernetzt zu denken. Weil man auch das in den zehn Jahren gelernt hat: Der Verkehrsteilnehmer ist niemals immer nur eines - Autofahrer oder Radfahrer oder Fußgänger ... In der Regel ist er alles nach- und nebeneinander und zugleich, nutzt die Verkehrsmittel, wie sie ihm am gängigsten erscheinen.

Und am unkompliziertesten. Denn die Logistik-Aufgaben, die gerade jüngere Leipziger lösen müssen, sind höchst komplex. Deswegen sind die Fragebögen zu den Bürgerumfragen meist viel zu primitiv. Denn das Auto dominiert zwar bei der Fahrt zur Arbeit. Aber das hängt oft nicht einmal nur davon ab, ob die Firma nun mit Auto, Straßenbahn oder Rad zu erreichen ist, sondern auch, welche Transportaufgaben noch zusätzlich mit begrenztem Zeitbudget zu lösen sind: Müssen noch Kinder in die Krippe, den Kindergarten, die Schule gebracht werden? Fahren die Eltern vom Stadtrand in die City oder müssen sie gar in entgegengesetzte Richtungen pendeln? Ist noch ein Termin auf einem Amt, beim Arzt oder beim Optiker unterzubringen? Muss der Supermarkt extra angesteuert werden? Sind die Kinder in der selben Einrichtung oder müssen sie gar in verschiedene Schulen in verschiedenen Stadtteilen?

Erstmals beleuchtet wurde in den vergangenen Jahren auch das Thema “Konflikte zwischen Verkehrsarten”. Da merkten dann die Stadtplaner auch zum ersten Mal, dass sie mit dem Abdrängen von Fußgängern und Radfahrern aus vielen Straßenräumen neue Konflikte geschaffen haben – nämlich auf den Fußwegen, wo nun an vielen Stellen Radfahrer und Fußgänger in Kollision geraten. Für ältere Leipziger ein Riesenproblem. Ein von Kfz frei gehaltenes Radwegenetz ist überfällig. Und damit steht eigentlich erstmals für Leipzigs Autofahrer die Frage: Verzichten sie auf Straßenraum?

Oder verzichten sie an immer mehr Stellen gar auf ihr Primat im Verkehrsraum? Die Diskussionen um Verkehrsberuhigung und Tempo-30-Zonen erzeugten ja bekanntlich jedes Mal einen empörten Aufschrei all derer, die der felsenfesten Überzeugung sind, ohne Auto ginge in Leipzig gar nichts. Ist natürlich Käse. Als Leipzig erstmals zur Halbmillionenstadt heranwuchs, besaß so gut wie niemand ein Auto. Und die meisten Kraftfahrzeuge, die sich mit Droschken, Fuhrwerken, Straßenbahnen, Radfahrern und Fußgängern die Straßen teilten, waren Wirtschaftsfahrzeuge. Jeder kann sich dazu die alten Filmclips der LVB aus den 1920er Jahren anschauen.

Das Automobil in der heutigen Form ist nicht das Transportmittel der Zukunft. Schon gar nicht in dicht gebauten Großstädten wie Leipzig. Auch das wurde in den Diskussionen der letzten Jahre deutlich: Wenn man Verkehr denkt in so einer Stadt, dann muss man Verkehr als ein System der Übergänge denken. Übergänge vom Radwegenetz ins ÖPNV-Netz. Aus einem ÖPNV-Netz ins andere.

Übergänge aber heißt auch: Barrierefreiheit für alle Verkehrsteilnehmer, nicht nur für die Reichen und Sportlichen.

Deswegen bekommt der Radverkehr diesmal auch einen Raum, den er bislang nicht hatte. Auch und gerade als übergreifendes Element. Denn für 90 Prozent aller Wege in Leipzig wäre das Fahrrad das ideale Verkehrsmittel. Wenn die Wege denn vorhanden oder frei wären. Deswegen wird seit einigen Jahren ja eben nicht nur über Radwege an Hauptstraßen nachgedacht – wo einige der eher vorsichtigen Leipziger auch gar nicht fahren wollen, weil sie dort immer wieder in Konflikte vor allem mit dem Motorisierten Individualverkehr geraten. Das haben jetzt schon mehrere Bürgerumfragen belegt: Viele Leipziger bevorzugen Radwege abseits der motorisierten Routen. Ein paar gibt es schon, stückweise. Als eine neuere Idee hat die Vision des Parkbogens Ost es jetzt in den STEP-Entwurf geschafft: Auf einem ehemaligen Bahnhochgleis über den Dächern Anger-Crottendorfs soll im Osten eine neue Verbindung geschaffen werden.

Mobilitätsstationen sind schon Element der Stadtpolitik. Auch wenn die Planer nur immer wieder entsetzt sind, wie viele Leipziger tatsächlich mit dem Rad kommen, wenn erst mal der Radweg da ist. Dann fehlt es auf einmal an Abstellanlagen.Und was wird nun aus dem Kfz-Verkehr? – Natürlich wird er noch lange das Stadtbild bestimmen. Veränderungen im Verkehrsverhalten setzen sich nur langsam durch. Aber es gibt im Entwurf – auf Seite 63 – eine Karte, die zeigt, was die Leipziger Verkehrsplaner für 2025 erwarten. Es ist eine Karte mit Aha-Effekt. Denn sie zeigt, dass auch für Leipzig gilt: Wer breitere Straßen baut, wird Verkehr ernten. Breitere Straßen können den Durchfluss an sowieso stark belasteten Abschnitten verbessern. Wenn sie aber neue Trassen erschließen, erzeugen sie mehr Verkehr. Wie das beim so genannten Mittleren Ring im Nordwesten der Fall ist.

Wer aber im Jahr 2015 den “Mittleren Ring” im Osten, Süden oder Westen sucht, findet ihn nicht. Die Karte besagt im Grunde: Der gesamte Mittlere Ring, wie er jetzt noch in den Schubladen steckt, ist überflüssig. Er wird nicht gebraucht. Die bestehenden Verkehrsprobleme etwa im Osten brauchen andere, stadtteilverträgliche Lösungen. Das Thema wird im STEP-Entwurf noch einmal eingehend behandelt. Wenn dieser Teil auch jetzt schon zusehends veraltet. Man will zwar unbedingt zwei Trassenvarianten im Südosten frei halten, weiß aber ganz genau, dass in den nächsten zehn Jahren kein Geld für irgendeine Bauvariante zur Verfügung steht. Schon aus wirtschaftlichen Gründen gehören diese Pläne also jetzt schon in die Tonne. Und es steht tatsächlich noch drin: “Im Südwesten und Westen können bei Entfall des südlichen Ringschlusses die vorhandenen Straßen das Verkehrsaufkommen im Wesentlichen noch aufnehmen. Jedoch wird weiterhin die Möglichkeit kurzer Lückenschlüsse im Zuge der S 46 zwischen Brückenstraße und Gerhard-Ellrodt-Straße sowie zwischen Lützner und Lyoner Straße zur Entlastung der dörflichen Ortskerne von Großzschocher und Schönau offen gehalten.”

Gerade hat die Verwaltung den Stadtrat darüber informiert, dass dieser “Lückenschluss” gestrichen ist.

Deutlich breiter ausgebaut als im alten STEP ist das Kapitel “Verkehrssparsame Stadtstrukturen”. Denn wirklich nachhaltig wird eine Stadt erst, wenn ein Großteil der Verkehre gar nicht erst nötig wird. Dazu gehört, dass “wichtige Ziele des täglichen Lebens wie Einkaufsgelegenheiten, Schulen und Kindertagesstätten in einer kompakten, dichten und durchmischten ‘Stadt der kurzen Wege’ für die meisten Bewohner in geringer Entfernung erreichbar sind …” Was übrigens nicht nur für Großstädte gilt. Es wäre ein wichtiger Ansatz auch zur Stabilisierung der ländlichen Räume in Sachsen. Aber wer erzählt das einer Landesregierung, die immer noch im Zeitalter der Kohleöfen lebt?

Aber wenn Landesregierungen nicht auf den Trichter kommen, müssen die Städte ran. Es ist wie bei der Metropolregion Mitteldeutschland – auf Landesebene ein rotes Tuch, weil unbequem und zum Handeln zwingend. Für die Städte, die sich immer mehr als Knotenpunkte in einem dichten Beziehungsnetz begreifen, eine Lebensnotwendigkeit. Und allen Leipzigern greifbar vor Augen geführt am 15. Dezember 2013, als das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz in Betrieb ging, ausgeheckt nun schon vor Urzeiten von drei Politikern, die noch in der Lage waren, vernetzt zu denken – Biedenkopf, Schommer und Tiefensee. Gefeiert haben sich andere.

Aber das S-Bahn-Netz macht auch erlebbar, dass die Region vielfältig in sich vernetzt ist und voneinander abhängt. Das spiegelt sich auch im Entwurf zum STEP Verkehr: “Mobilitätsplattform Mitteldeutschland” heißt da ein Stichwort. Da geht es um Parkleitsysteme, Fahrplanauskunft, Elektromobilität, Umstiegsmöglichkeiten.

Eigentlich müsste es längst schon um mehr gehen: ein einheitliches Fahrpreissystem für die ganze Region.

Der Entwurf zum neuen STEP Verkehr hat fast 100 Seiten. Und er ist deutlich nachhaltiger als sein Vorgänger. Er thematisiert auch deutlicher, dass Verkehrspolitik auch Ressourcen-Politik ist. Man kann nicht immer mehr neue Straßen für immer mehr Autos bauen, die man hinterher nicht mehr instand halten kann. Eine Stadt wie Leipzig braucht vor allem ein Verkehrsnetz, das sie ohne große Probleme auch in den nächsten Jahrzehnten in Ordnung halten kann. Das aber auch das Wohnen in der Stadt nicht belastet, Aufenthaltsqualitäten auch im öffentlichen Raum erhält und den Bürgern vor allem leichte Möglichkeiten schafft umzusteigen. “Eine optimale Nutzung der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur und die Ausschöpfung ihrer Kapazitäten ist daher unabdingbar, Maßnahmen des Verkehrs- und Mobilitätsmanagements werden weiter an Bedeutung zunehmen”, heißt es gleich zu Anfang unter “Planungsgrundsätze”.

Da steckt der Nukleus schon für den nächsten Schritt: der Übergang zu einer Verkehrspolitik, der den Fluss wie selbstverständlich lenkt zu einer möglichst ressourcensparenden und umweltfreundlichen Verkehrsgestaltung. Das beeinflusst auch andere Stadtentwicklungspläne, wie man derzeit in Probstheida gut verfolgen kann. Es kann nicht sein, dass man öffentliche Einrichtungen mit erwartbar hohem Publikumsverkehr wie die dort gebauten Kliniken überhaupt an Stellen baut, wo es keinen natürlichen ÖPNV-Zugang gibt.

Alle Leipzigerinnen und Leipziger sind nun eingeladen, den Entwurf des neuen STEP “unter die Lupe” zu nehmen und sich dazu zu äußern. Dazu nimmt das Verkehrs- und Tiefbauamt Anregungen bis zum 7. März 2014 entgegen unter E-Mail step-verkehr@leipzig.de oder per Post an: Stadt Leipzig, Verkehrs- und Tiefbauamt, 04092 Leipzig.

Der Entwurf zum neuen STEP Verkehr: www.leipzig.de/umwelt-und-verkehr/verkehrsplanung

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar