Irgendwie ist deutsche Politik in der letzten Zeit ins Obskure abgedreht. Wahlen werden gewonnen mit Themen, die so unsinnig sind, dass man sich eigentlich nur fragen kann: Haben Wähler mittlerweile Spaß daran, die größten Schnapsideen mit ihrer Stimme zu honorieren? - Das trifft ganz obenan für die Idee des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) zu, der mit einer "Pkw-Maut für Ausländer" auch im Bundestagswahlkampf Stimmung machte.

Das brachte der CSU am 22. September saftige Stimmengewinne, obwohl selbst Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) gegen diese offensichtlich diskriminierende Maut war. Kurzzeitig aber schien da eine Stimmung zu kippen. Also fragte der grüne Europaabgeordnete Michael Cramer sicherheitshalber die EU-Kommission an und bekam auch eine klare Antwort, die unterstrich, “eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit” sei nach EU-Recht grundsätzlich verboten. Eine Maut nur für Pkw aus anderen Staaten verstößt gegen das Prinzip.

Auch eine andere Variante der debattierten Maut verstößt gegen diesen Grundsatz der Diskriminierungsfreiheit: die Erhebung einer Maut für alle Pkw – und im Gegenzug eine Absenkung der deutschen Kfz-Steuer. Auch hier werden die Nutzer aus anderen Ländern benachteiligt.

Aber als wäre die Antwort nicht deutlich genug gewesen, schmetterten deutsche Medien in dieser Woche wieder unisono – wie “Spiegel Online”: “Bestätigung für Seehofer: Pkw-Maut ist mit europäischem Recht vereinbar”. EU-Verkehrskommissar Siim Kallas habe sich wohl irgendwie so ausgedrückt. Tatsächlich aber ist die Quelle für diese Meldung wieder einmal mehr die CSU-Zentrale. Am 31. Oktober lancierte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt noch einmal die Behauptung: “Die Pkw-Maut für Ausländer kommt”.

Doch noch am 31. Oktober ruderten dann die meisten Medien wieder zurück.

Und nicht nur Ausländer würden mit so einer Maut diskriminiert. Auch umweltbewusste Autofahrer würden draufzahlen, stellt Stephan Kühn, Bundestagsabgeordneter der sächsischen Grünen, fest: “Nach widersprüchlichen Informationen in den Medien hat die EU-Kommission jetzt klargestellt: Die von der CSU befürwortete Pkw-Vignette ist mit EU-Recht unvereinbar. Das CSU-Modell, das eine Verrechnung von Straßenbenutzungsgebühren mit der Kfz-Steuer vorsieht, muss demnach als rechtswidrige Umgehung des Diskriminierungsverbots gewertet werden. So hat der Europäische Gerichtshof bereits 1992 die Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr für schwere Lkw in Deutschland bei gleichzeitiger Absenkung der deutschen Kraftfahrzeugsteuer als unzulässige Diskriminierung ausländischer Transportunternehmen bewertet. Grundlage für die Erhebung einer Pkw-Maut muss nach EU-Recht die tatsächliche Straßennutzung – also die gefahrenen Kilometer – sein.”

So entpuppt sich der Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten auch als ein Spiel mit EU-feindlichen Ressentiments, mit dem Gefühl, die anderen würden die schönen teuren deutschen Autobahnen benutzen und damit die Spendabilität der ach so honorigen Deutschen ausnutzen. Solche Ressentiments zu bedienen, scheint bei einigen deutschen Politikern wieder im Schwang. Sie zeigen damit aber auch, wie weit sie sich überhaupt von einem europäischen und partnerschaftlichen Denken entfernt haben.Aber in dem Vorstoß steckt auch ein gutes Stück Lobbyarbeit für die großen deutschen Spritschlucker. Stephan Kühn: “Außerdem ist es ein unhaltbares Wahlversprechen, die Einführung der Autobahnvignette sei für deutsche Autofahrer aufkommensneutral. Autofahrer, die sich für spritsparende Fahrzeuge entschieden haben und gerade noch 50 Euro Kfz-Steuer jährlich zahlen, würden bei einer Autobahnvignette à la Seehofer für mindestens 150 Euro draufzahlen. Ganz zu schweigen von den steuerbefreiten Elektroautos.”

Sein Fazit: “Horst Seehofer und die CSU versuchen mit Halbwahrheiten Stimmung für die laufenden Koalitionsverhandlungen zu machen. Tatsächlich bereitet die CSU unter dem Deckmantel einer Autobahnvignette die Einführung der Pkw-Maut durch die Hintertür vor. Wir Grüne sind weiterhin gegen eine Autobahnvignette wie sie von der CSU gefordert wird. Eine solche Vignette, die nicht zwischen Wenig- und Vielfahrern unterscheidet, bleibt ökologisch kontraproduktiv und sozial ungerecht.”

Genauso sieht es auch Volker Lange, Präsident des Verbands der Internationalen Kraftfahrzeughersteller e.V.: “Es zeigt sich aufgrund der diffusen Stellungnahme der EU-Kommission und der völlig unberechtigten Belastung der Fahrer kleiner und emissionsarmer Fahrzeuge, dass die Pläne völlig unausgegoren sind. Die PKW-Maut muss endlich vom Tisch. Im Übrigen tragen die Autofahrer in Deutschland bereits jetzt ein Mehrfaches dessen, was für das Straßennetz ausgegeben wird, zum allgemeinen Bundeshaushalt bei. Es kann nicht sein, dass die Autofahrer den aufgestauten Nachholbedarf bei der Erhaltung der Straßenverkehrsinfrastruktur mit weiteren Mitteln zusätzlich finanzieren sollen. Bezahlbare Mobilität in Deutschland muss gesichert werden; das Autofahren darf sich nicht weiter verteuern!”

Die Website des Grünen-Bundestagsabgeordneten: www.stephankuehn.com

Die Dobrindt-Meldung zur Maut: www.csu.de/aktuell/meldungen/oktober-2013/dobrindt-pkw-maut-fuer-auslaender-kommt/

“Spiegel Online” am 30. Oktober: www.spiegel.de/politik/deutschland/eu-kommissar-pkw-maut-ist-mit-europaeischem-recht-vereinbar-a-930927.html

Die Anfrage des grünen Europa-Abgeordneten Michael Cramer samt Antwort: www.michael-cramer.eu/eu-verkehrspolitik/strasse/single-view/article/diskriminierung-von-ni/

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