Auch einen Monat vor Eröffnung des City-Tunnels ist nicht geklärt, ob die Verteilerebene jemals barrierefrei wird. Und zwar nicht im bürokratischen Sinn, der eine Barrierefreiheit auch dann erklärt, wenn man auf anderen Wegen ohne Barriere an einen Ort kommt. Sondern ganz menschlich: Da wo eine Barriere ist, muss eine Lösung her. Am 14. November reichte deshalb die CDU-Fraktion einen Antrag ein, der einen Antrag der Linksfraktion aus dem August ergänzt.

Die CDU-Fraktion fordert in ihrem Antrag die “Herstellung der vollen Barrierefreiheit im Fußgängertunnel unter dem Hauptbahnhofsvorplatz”. – “Zur Herstellung der vollen vorschriftsgemäßen Barrierefreiheit wird im neuen Fußgängertunnel unter dem Hauptbahnhofsvorplatz durch die Stadt Leipzig in Absprache mit der DEGES Berlin als Auftraggeber City-Tunnel sowie der Deutschen Bahn und des Promenadenbetreibers ECE bis zur Inbetriebnahme des City-Tunnels im Dezember diesen Jahres eine technische Lösung geplant und gebaut”, fordert die CDU-Fraktion. “Dazu werden seitens der Stadt Leipzig kurzfristig Verhandlungen mit der DEGES Berlin sowie zur Deutschen Bahn und dem ECE-Centermanagement Leipzig aufgenommen. Zur Finanzierung des Baus sind insbesondere die Vorteilsnehmer aus einer barrierefreien Anbindung des Hauptbahnhofs an die Innenstadt heranzuziehen, das ECE-Centermanagement. Entsprechende Verhandlungen sind seitens der Stadt Leipzig aufzunehmen.”

Aktiv geworden war die CDU-Fraktion, nachdem verhaltene Meldungen zu dem Thema andeuteten, es solle wohl doch keine barrierefreie Lösung auf der Verteilerebene geben. Das Thema bewegt Stadt und Politik seit Eröffnung der Verteilerebene im August. Es geht nicht um eine komplett fehlende Barrierefreiheit, sondern um die unübersichtlich ungelöste Übergangssituation von der Verteilerebene in die Promenaden Hauptbahnhof.

Dass die Stadt jetzt wieder mauert, will sich auch die Linksfraktion, die im August den Ausgangsantrag eingebracht hatte, nicht bieten lasen.

“Die Linke wird den ablehnenden Standpunkt der Stadtverwaltung aus Kostengründen zum Antrag 448 ‘Herstellung der vollen Barrierefreiheit im Fußgängertunnel unter dem Hauptbahnhofsvorplatz’ nicht hinnehmen”, erklärt der Sprecher für Stadtentwicklung der Linksfraktion Siegfried Schlegel. “Nach positivem Votum im Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau und dem einstimmigen Votum des Behindertenbeirates steht der Antrag nunmehr zur Abstimmung in der Ratsversammlung am 11. Dezember an.”

Für ihn geht es um das, was der Bürger in der Regel zu recht als simple Wegebeziehung begreift – Wege ohne Hindernisse und – das wird auf Planerebene gern vergessen: kurze Wege. Da können Fahrstühle noch so oft eine “Barrierefreiheit” herstellen – wenn Menschen mit Mobilitätseinschränkung trotzdem Umwege nehmen müssen, um voranzukommen, ist das nur eine fiktive Barrierefreiheit.Siegfried Schlegel: “Anfang August wurde ein Fußgängertunnel unter dem Hauptbahnhofsvorplatz neu eröffnet. Durch diesen werden in südlicher Richtung der Bahnsteig des Citytunnels sowie der kleine Willi-Brandt-Platz mit den darüber liegenden LVB-Bahnsteigen und der nördlichen unteren Ebene der ECE-Promenaden im Hauptbahnhof mit Treppen, Rolltreppen und Aufzügen für Behinderte und Kinderwagen angebunden. Wegen des Höhenunterschieds zwischen dem Fußboden im neuen Fußgängertunnel und der Ebene der ECE-Promenaden von ca. 1,7 Metern entstand ein neunstufiger Treppenlauf in voller Tunnelbreite. Die Notwendigkeit der technischen Lösung als Rampe bzw. Aufzug ergibt sich auch aus den Fußwegebeziehungen auf dem Hauptbahnhofsvorplatz. Deshalb ist der neue Fußgängertunnel insbesondere in Verkehrsspitzenzeiten unverzichtbar und barrierefrei zu gestalten, da der bisherige geschlossen wurde.”

Der war zwar auch nicht barrierefrei. Aber darum wirkt es umso eher wie ein Streich aus Schilda, wenn auch die neue Lösung wieder nicht ohne eine diskriminierende Treppenlösung auskommt.

Die Neufassung des Antrags der Linksfraktion fordert deshalb die vorschriftsmäßige Herstellung seiner vollen Barrierefreiheit. “Wir erwarten die Planung, den Bau und die Finanzierung einer technischen Lösung als Rampe oder Aufzug. Dazu sollen seitens der Stadt kurzfristig Verhandlungen mit der DEGES sowie mit der Deutschen Bahn und dem Centermanagement aufgenommen werden, um eine Vereinbarung zu einer technischer Lösung, dem Ausführungszeitraum und der Kostenteilung zu erreichen”, so Schlegel. “Wer ein solches Milliardenprojekt auf Steuerzahlerkosten durchzieht, muss dies bis zum Ende durchhalten und kann Behinderte und Familien mit Kinderwagen nicht am wichtigsten Verkehrsknoten der Stadt auf der sprichwörtlichen Strecke bleiben lassen. Untauglich sind dabei Versuche, dem Behindertenbeirat und dem Fachausschuss Stadtentwicklung den Schwarzen Peter zuzuschieben, weil vor Jahren Lagepläne in den Gremien vorlagen, aus denen die Höhenunterschiede nicht erkennbar waren. Für die Einhaltung des Artikel 3 ff. der UN-Behindertenkonvention, der DIN-Vorschriften oder der Sächsischen Bauordnung sind zuallererst die Planer, Bauämter und Kontrollbehörden zuständig. Es gab auch keinen Beschluss der Gremien im Wissen um das Hindernis, auf die Herstellung der Barrierefreiheit zu verzichten.”

Die Linke lasse auch das Argument nicht gelten, dass es funktionierende Umwege gebe. “Kein vernünftig denkender Mensch käme auf die Idee, auf dem Weg zum Flughafen Frankfurt a. M. erst nach Dresden zu fliegen”, sagt Schlegel. “Bei weiter ablehnender Haltung stünde die von Stadträten im August geforderte Sperrung des Fußgängertunnels im Bereich der Treppe auf der Tagesordnung, da auch die nichtbehinderten Fußgänger die Promenaden im Hauptbahnhof auf anderem Weg oberirdisch erreichen können. Dies wollen wir jedoch mit unserem Antrag verhindern.”

Welche Stellung die Stadtverwaltung derzeit tatsächlich bezieht, ist offen. Auf Nachfrage heißt es aus dem Rathaus: “Die Verwaltung erarbeitet derzeit einen Verwaltungsstandpunkt zu diesem Antrag, der für die nächste Dienstberatung des Oberbürgermeisters angemeldet worden ist. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns vor der Befassung der OB-Dienstberatung mit diesem Verwaltungsstandpunkt zu Inhalten nicht äußern können.”

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