Die Nutzer der Leipziger Straßenbahnen merken es immer wieder: Auf einmal bremst die Bahn ab und beginnt im Schneckentempo durch eine Straße zu schleichen, obwohl kein Fahrzeug die Gleise versperrt und auch keine Demonstration den Verkehr staut. Man ist mal wieder auf einer Langsamfahrstrecke gelandet, von denen es gefühlsmäßig immer mehr gibt im Leipziger Gleisnetz. Die bekannteste ist wohl die in der Karl-Liebknecht-Sraße.
Mit dem Großprojekt “Karli” wird sie 2014/2015 verschwinden. Aber nicht nur hier zeigt sich für den Fahrgast, wie sehr das Gleisnetz leidet, wenn über Jahre nicht genug Geld für Erneuerung und Bestandserhalt zur Verfügung stehen.
Und so bestätigen die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) denn auch auf Nachfrage, dass es derzeit im Leipziger Liniennetz, das eine Gesamtlänge von 319,1 km hat, auf einer Länge von 16,9 km Langsamfahrstrecken (LFS) gibt. Das sind etwa 5,3 Prozent der Gesamtlänge.
Es gäbe durchaus unterschiedliche Gründe für solche Langsamfahrstrecken. Dabei wird zum Beispiel nach verkehrsorganisatorischen (auf insgesamt 1,1 km Strecke) oder trassierungsbedingten Stellen (auf 3,4 km) unterschieden. Aber auf 2,6 Kilometer sorgen auch Anrainer dafür, dass die Straßenbahn langsam fahren muss – etwa in der Georg-Schwarz-Straße, wo ein einsturzgefährdetes Haus zum Bremsen zwingt. Oder in der Richard-Lehmann-Straße. Da ist zwar die ursprünglich hier fahrende Linie 22 eingestellt worden, aber ab und zu fahren doch Ersatzbahnen oder Sightseeing-Touren hier lang. Und fahren dann schön langsam über die Schlachthofbrücke am MDR, die zu den baulich prekären Brücken in Leipzig gehört.
Aber der häufigste Grund für Langsamfahrten der Straßenbahn ist eindeutig der Gleiszustand. Der sorgt auf aktuell 9,8 km für ein Zuckeltempo. Und die nicht ganz so gute Nachricht ist: Es kommen immer neue Langsamfahrstrecken (LFS) hinzu. 2013 waren es allein 3,8 km, die aus unterschiedlichsten Gründen eine Fahrtempo-Einschränkung verpasst bekamen. Nicht immer wird ganz so langsam gefahren wie in der “Karli”, betonen die LVB. Die erlaubten Höchstgeschwindigkeit für den ausgewiesenen Streckenabschnitt können von 10, 15, 20 bis zu 30 km/h reichen. Zum Vergleich: Strecken ohne ausgewiesener LFS dürfen generell mit maximal 50 km/h bzw. der angegebenen Höchstgeschwindigkeit gemäß StVO befahren werden.
Die aktuelle Ballung von LVB-Baustellen zeigt natürlich auch, was passiert, wenn das Kommunalunternehmen daran geht, die desolaten Stellen im Netz zu reparieren oder auszuwechseln. Marc Backhaus, Pressereferent der LVB: “Wie unsere Fahrgäste leider derzeit besonders spüren müssen, sind die LVB dabei, in das Netz an vielen Stellen zu investieren. Unter dem Motto ‘Bauen für Leipzig’ arbeiten die LVB konsequent an der Zukunftsfähigkeit des Netzes. Dabei wird versucht, einen stabilen Investitionszyklus beizubehalten.”
Oder erst mal wieder hinzubekommen. Denn etliche dieser Langsamfahrstellen sind auch Ergebnis des Investitionsstaus bei den LVB, den Geschäftsführer Ulf Middelberg aktuell auf rund 120 Millionen Euro beziffert. Jedes Jahr fehlen 20 Millionen Euro, um wirklich einen kompletten Erneuerungszyklus zu schaffen.
Das ist so ein bisschen wie in der alten griechischen Aufgabe mit dem Läufer und der Schildkröte. Nur dass dieser Läufer hier ein Handicap hat: Er darf drei Schritte laufen und muss dann wieder vier zurück. Er bekommt die Lücke zur Schildkröte, also der Komplettsanierung des ganzen Gleisnetzes, einfach nicht geschlossen.In diesem Jahr, so Backhaus, konnten durch Baumaßnahmen bereits 1,3 km Langsamfahrstrecke beseitigt werden. Weitere 300 Meter werden bis Ende 2013 verschwunden sein. Das betrifft die völlig abgefahrene Gleiskurve am Rossplatz, die vom 21. Oktober bis 1. November vor allem in den Nachtstunden erneuert werden soll.
Auch 2014 wollen die LVB in die Erhaltung des Gleisnetzes investieren. Geplant sei dabei im nächsten Jahr auch, weitere 4,8 km Langsamfahrstrecke zu beseitigen.
Marc Backhaus: “Selbstverständlich sind wir bestrebt, Langsamfahrstrecken zu beseitigen, nicht nur um den Leipziger Nahverkehr schneller und attraktiver zu machen, sondern letztlich auch unsere Fahrzeuge und Ressourcen zu schonen. Derzeit können wir jedoch nicht beziffern, wie hoch der Investitionsbedarf insgesamt ist, um die Ursachen für die Langsamfahrstrecken zu beseitigen.”
Langsamfahrstrecken entstehen durch Verschleiß und die oben genannten Faktoren immer wieder. “Die LVB sind bestrebt, ihre Investitionen so zu planen, dass die vorhandenen Mittel möglichst dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Wann und ob es den LVB gelingt, die gleiszustandsbedingten Langsamfahrstrecken zu beseitigen, hängt auch maßgeblich von bewilligten Fördermitteln ab”, betont Backhaus. Denn das Geld wird ja nicht nur für Gleisinstandsetzungen gebraucht. “Darüber hinaus besteht bei den LVB weiterer Investitionsbedarf in die Modernisierung der Infrastruktur sowie in Fahrzeuge und Betriebshöfe.”
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Und zu Recht betont Backhaus: “Mit dem hohen Investitionsbedarf in Infrastruktur und Fahrzeuge stehen die LVB deutschlandweit nicht alleine da. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hat das Investitionsvolumen zusammen mit 13 Bundesländern und dem Deutschen Städtetag in einer großen Finanzierungsstudie ausrechnen lassen: Zur Zeit brauchen die Verkehrsbetriebe bundesweit über 3 Milliarden Euro, nur um den aktuellen Sanierungsstau bei der Infrastruktur zu beseitigen. Damit ist kein Neu- oder Ausbau gemeint, sondern nur die Instandhaltung bzw. Erneuerung von Tunnelanlagen, Gleisen, Bahnhöfen, Technik und Fahrzeugen.”
Backhaus betont: “Die Behebung des Sanierungsstaus bei der Infrastruktur ist somit eine bundesdeutsche und gesamtgesellschaftliche Herausforderung, nach dem Motto ‘Verkehr finanziert Verkehr’.”
Wo nun im LVB-Gleisnetz neue Langsamfahrstrecken neu entstehen könnten, lasse sich schwer voraussagen. “Manchmal genügen schon starke Regengüsse (wie zum Beispiel am 20. Juni), die Gleise unterspülen können”, erläutert Backhaus. “Auch hohe Temperaturen belasten die Gleise, da durch Ausdehnung urplötzlich Veränderungen der Gleisanlage hervorgerufen werden können. Auch die Verkehrsbelastung einiger Strecken spielt eine maßgebliche Rolle. Hier sei beispielhaft die Jahnallee oder die Karl-Liebknecht-Straße genannt.”
Information zur Infrastrukturinitiative des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV): www.damit-deutschland-vorne-bleibt.de
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