Am 15. Dezember ist es soweit. Dann soll der Leipziger City-Tunnel mit dem Mitteldeutschen S-Bahn-Netz in Betrieb gehen. Dann tritt das "größte und spektakulärste Verkehrsinfrastrukturprojekt auf Leipziger Stadtgebiet" in Funktion, rauschen die neuen Talent-Züge im 5-Minuten-Takt unter Leipzigs Mitte hindurch, verkürzen die Fahrzeiten in alle Richtungen. Aber was bedeutet das eigentlich für die Tourismusregion, war die Fragestellung am Mittwoch, 25. September, beim Tourismusfrühstück.

Der Andrang um 9 Uhr in der Moritzbastei war stark. Fragen gab’s genug. Einige schickte der LTM gleich in der Einladung mit. “Was ändert sich ab 15. Dezember durch die Inbetriebnahme des City-Tunnels? Welches Einzugsgebiet wird mit dem Mitteldeutschen S-Bahn-Netz erreicht? Wächst die Wirtschaftsregion rund um Leipzig durch die neuen Verbindungen weiter zusammen? Entstehen neue Arbeitsplätze? Welche wirtschaftlichen und touristischen Effekte werden erwartet? Haben die Kommunen in der Region Leipzig durch den City-Tunnel Vorteile? Profitieren touristische Projekte wie ‘Lutherweg Sachsen’ davon? Welchen Einfluss hat die Eröffnung des City-Tunnels auf das Kongress- und Tagungsgeschäft in der Region Leipzig/Halle? Kommen die Gäste schneller und bequemer zur Leipziger Messe, zum Congress Center Leipzig (CCL) oder zum Flughafen Leipzig/Halle?”

Irgendwie wurden sie auch alle beantwortet. So weit das eben geht, wenn man zwar weiß, es könnte funktionieren, aber noch nicht weiß, wie es wirklich ausgeht, dieses Projekt, das so einzig nicht ist, wie es den Leipziger oft verkauft wird.

Darauf wies auch Sachsens Verkehrsminister Sven Morlok hin – ähnliche Strukturprojekte zur Verbesserung des Schienen-Nahverkehrs würden auch gleichzeitig in Chemnitz und Dresden laufen. Nur muss dort niemand die Stadt untertunneln, denn beide Großstädte haben Durchgangsbahnhöfe. In Chemnitz wird eher mit dem Chemnitzer Modell probiert, wie man die Straßenbahn auch auf Eisenbahngleisen ins Umland fahren lassen kann. Und in Dresden lautet das Problem: Elbtal. “Fernverkehr und ÖPNV fahren auf den selben Schienen”, sagt Morlok. “Mit den unterschiedlichen Geschwindigkeiten behindert einer den anderen.” Das muss also künftig entflochten werden. Fernverkehr und Nahverkehr auf getrennten Gleisen.

Und auch die Entwicklung eines neuen S-Bahn-Knotens für eine ganze Region ist nichts Neues. Das merkte dann Frank Klingenhöfer an, Vorsitzender der Regionalleitung von DB Regio AG Südost, die ab Dezember das neue mitteldeutsche S-Bahn-Netz betreibt. Er hat schon die Inbetriebnahme der “S-Bahn RheinNeckar” miterlebt, deren erste Ausbaustufe pünktlich zur Fußball-WM 2006 in Betrieb ging. Das neue S-Bahn-Netz verbindet die Städte Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen. Und es hat, so Klingenhöfer, spürbare Effekte für den ÖPNV und dessen Fahrgastzahlen gebracht. Und sogar für die kleinen Weinbauern an Rhein und Neckar, denn sie bewerben jetzt ihre Weinverkostungen gleich mit den Fahrzeiten der S-Bahn.

So ein wenig war also spürbar, was die neuen S-Bahn-Linien ab 15. Dezember auch für die Tourismus-Region um Leipzig bedeuten könnten. Auch wenn erst einmal der Name Torgau am häufigsten fiel als attraktives Nah-Reiseziel. Am besten gleich mit Fahrrad, um dann auch mal den Elberadweg zu erkunden.

Andersrum geht’s auch: Denn der City-Tunnel wird ja mitten im Leipziger Weihnachtsmarkt eröffnet. Das malte dann Sven Morlok schön plastisch aus: “Das muss man sich mal vorstellen: Man steigt in Leipzig direkt auf dem Weihnachtsmarkt aus.”
“Vor dem Eröffnungstermin haben wir ganz großen Respekt”, betonte Klingenhöfer. Dass der Termin in der Weihnachtszeit liegt, hat ja mit dem Fahrplanwechsel der Deutschen Bahn zu tun. Der ist immer Mitte Dezember – in diesem Jahr gilt der neue Fahrplan ab 15. Dezember.

Am 14. wird noch einmal geworben für den Tunnel und das neue Netz. Dann sollen die neuen Talent-Züge sternförmig von allen Endstationen nach Leipzig fahren. An diesem Tag ist die Mitfahrt kostenlos. Artur Stempel, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn AG für den Freistaat Sachsen, fügte an der Stelle vorsichtshalber noch ein: “Aber am 15. möchten wir gern bezahlt bekommen für die Fahrt.”

Denn rechnen soll sich das Ganze ja. Die 51 Talent-Triebwagen sind bestellt – einige fahren ja schon im Testbetrieb zwischen Hauptbahnhof und Flughafen. “In 10 Minuten”, frohlockt Benedict Rehbein, der diesmal die Runde moderierte. Eine kleine Spitze gegen den Berliner Großflughafen BER mit seiner massiven Kosten- und Zeitplan-Überschreitung. Aber selbst Verkehrsminister Sven Morlok betonte, dass er darüber auf keinen Fall reden wolle. Er selbst ist stolz darauf, “dass wir in den letzten dreieinhalb Jahren keine weite Kostensteigerung und keine weitere Verschiebung des Eröffnungstermins” mehr erlebt haben. Kurz schilderte er, wie er sich die Tunnel-Verträge gleich nach Amtsantritt im September 2009 vornahm, sich in die Materie einarbeitete und danach die Projektgruppe vorknöpfte. Da ging es dann wohl die ersten Male sehr heftig zur Sache.

Mittlerweile nickt auch Artur Stempel versöhnt. Zu viel hängt an dem Eröffnungstermin 15. Dezember. Jede weitere Verzögerung wird auch für die Bahn teuer. Sie ist darauf angewiesen, ab 2014 die Fahrgastzahlen im S-Bahn-Netz zu steigern. Das täte nicht nur der Bahn gut, so Stempel, sondern auch der Wirtschaft.

Frank Klingenhöfer verweist auf das Beispiel Rhein-Necker: Wer eine gute ÖPNV-Verbindung hat, punktet auch im Standort-Wettbewerb für sein Unternehmen.

Volker Bremer, Geschäftsführer der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH, zitiert sogar seine beiden erwachsenen Töchter, die sich von Papa das Auto nur noch leihen, wenn sie mal was transportieren müssen. “Aber ansonsten braucht keiner mehr ein Auto”, so Bremer. Das Mobilitätsverhalten gerade der jungen Generation ändert sich. Was fürs Mitteldeutsche S-Bahn-Netz auch die Hoffnung erhöht, dass Arbeitspendler wieder vom Auto auf die Bahn umsteigen. Und dann auch noch schneller sind.

Und ab 2016 kommt noch etwas hinzu: Dann soll Leipzig nicht nur im Nahverkehr, sondern auch im Fernverkehr ein “Drehkreuz” werden. Dann geht die komplette ICE-Strecke von Leipzig nach Erfurt in Betrieb. “Ein paar Äste zu diesem Drehkreuz haben wir ja schon”, so Morlok, “nach Berlin zum Beispiel, Frankfurt und Magdeburg.” Was auffällig fehlt ist die Verbindung nach Chemnitz. Morlok: “Aber zur Elektrifizierung der Strecke haben wir ja erst vor kurzem einen Vertrag mit der Bahn geschlossen.” Auch die Elektrifizierung der Strecke Dresden – Görlitz fehlt. “Und die polnische Verbindung würde Leipzig erst recht zum Netzknoten machen”, so Morlok.

Ein Gast aus Halle merkte denn freilich auch die Löcher im neuen S-Bahn-Netz an: Merseburg und Weißenfels fehlen auffällig.

Es ist eben erst Ausbaustufe 1, die am 15. Dezember in Betrieb geht. Stufe 2 ist vergeben wird den Norden mit Bitterfeld erschließen. Und irgendwann in der Zukunft werde wohl auch der Raum Merseburg ins Bild rücken, ist sich Artur Stempel sicher.

Und fertig wird auch nicht alles bis zum 15. Dezember. Aus unterschiedlichen Gründen. Um die S-Bahn-Station Paunsdorf zu bauen, brauche man erst mal Platz, so Artur Stempel, Anger-Crottendorf bleibe vorerst Provisorium, bis Leipzig dort all seine Brückensanierungen geschafft hat, und an der S-Bahn-Strecke nach Zwickau hinge alles an der Elektrifizierung der Sachsen-Magistrale.

Trotzdem werde das neue Netz die Verhältnisse in der Region deutlich verändern. Städte wie Grimma würden schon auf eine künftige Einbindung drängen.

Beworben werden soll die Netz-Eröffnung ab dem 14. Oktober mit einer großen Werbe-Kampagne. Motto: “Psst … die Neue kommt!”

Nicht gefehlt hat auch die Frage nach der Gültigkeit der Tickets, für die der ratlose Leipziger bis dato auch nur Ratlosigkeit bekommt. Frank Klingenhöfer wusste nur, dass der Tunnel ja nun eindeutig im MDV-Gebiet liege und logischerweise auch die MDV-Konditionen gelten. Und soweit er wisse, wären ja auch die LVB MDV-Mitglied. Was die Frage nicht klärt: Kann man mit normalen LVB-Tickets und Zeitfahrkarten nun auch einfach die Bahnen der Mitteldeutschen S-Bahn nutzen bis zur Zonengrenze? Oder muss man sich extra MDV-Tickets kaufen?

Anfrage an die LVB, die es eigentlich wissen müssten und sagen könnten, gleich nach Ende des Tourismusfrühstücks. Antwort: Bis Feierabend keine. Vielleicht rätselt man da selber noch.

Nachtrag 18. September: Ergänzung von Seiten der LVB: “Ja, alle MDV-Tickets gelten auch für das S-Bahn-Netz. Nur bei LVB-Haustarifprodukten (z.B. Semesterticket) gilt dies nicht.”

www.citytunnelleipzig.de

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