Es fehlt an allen Ecken und Enden. Die Leipziger erleben es täglich mit, wenn sie mit dem ÖPNV unterwegs sind - 15 Jahre alte Busse quietschen durch den Verkehr, uralte Tatra-Straßenbahnen rumpeln auf Gleisen, die teilweise schon 30, 40 Jahre in der Straße liegen. Nicht nur die LVB leiden unter einem immer mehr anwachsenden Investitionsstau. Verkehrsunternehmen sind bundesweit unterfinanziert. Jetzt protestieren sie öffentlich gegen den organisierten Sanierungsstau. Die LVB mit einem Bus.

Einem ihrer neueren, einem Solaris. Obwohl natürlich ein alter klappernder und stinkender Bus aus den 1990ern viel aussagekräftiger gewesen wäre. Immerhin geht es um eine Botschaft, die mehr als drängend ist: Der ÖPNV in der gesamten Bundesrepublik ist unterfinanziert.

Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Deutschland befördert rund 30 Millionen Fahrgäste täglich, Tendenz steigend. Doch ihm fehlen bereits jetzt mehr als 3 Milliarden Euro, um die Infrastrukturen wieder fit zu machen. Darauf machten am Donnerstag, 12. September, beim “Deutschland-Tag des Nahverkehrs” bundesweit 36 Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde aufmerksam. Darunter auch die LVB, die einen ihrer Busse mit dem Logo der Aktion und dem Slogan “Gehen Sie mit uns auf Tour. Für eine bessere Infrastruktur” beklebten.

Natürlich hätte es nicht wirklich so ein alter Klapperbus sein dürfen. Denn der Bus soll ja im normalen Linienbetrieb fahren. Und er hat möglicherweise in den nächsten Tagen eine Tour nach Berlin vor sich. Denn natürlich haben die im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zusammengeschlossenen Unternehmen den Tag und die Aktion nicht ohne Grund in die Wahlkampfzeit gelegt.

Denn jetzt müssen die Weichen gestellt werden. Und das kann in erster Linie nur der Bund, der die Rahmenrichtlinien für den ÖPNV vorgibt. Darunter das Regionalisierungsgesetz und das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, welches 2019 ausläuft. Das gute an diesem Gesetz ist, so Ulf Middelberg, Geschäftsführer der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB), dass es die Finanzierung bis 2019 absichert. “Aber für danach haben wir keine Klärung”, sagt er. “Und das Jahr 2019, das ist für die langfristigen Investitionsplanungen im ÖPNV quasi jetzt.”
Und die Gelder, die mit dem Gesetz für die ÖPNV-Unternehmen und ihre drängenden Investitionen bereitgestellt werden, sind viel zu gering. Sie reichen hinten und vorne nicht, um auch nur die wichtigsten Ersatzinvestitionen zu tätigen.

Die LVB müssten jedes Jahr 60 Millionen Euro investieren, um allein den Bestand zu erhalten. Doch um diese Summe zu erreichen, fehlen jedes Jahr 20 Millionen Euro. Geld, das auch über steigende Ticketpreise nicht erwirtschaftet werden kann. Aktuell, so Middelberg, schieben die LVB einen Investitionsstau von 120 Millionen Euro vor sich her. Und die Leipziger merken es. Nicht an den Baustellen – da passiert ja wirklich was. Aber an den immer mehr zunehmenden Langsamfahrstrecken im Netz, an den alten Bahnen und Bussen sowieso.
Ein Problem, so Middelberg, ist die falsche Ausrichtung der Förderpolitik. “Das Geld steht hauptsächlich für Neubau zur Verfügung. Aber es fehlt uns in Wirklichkeit für Erneuerung und Sanierung.” Ein Denkfehler, der in der kompletten deutschen Verkehrspolitik steckt – noch immer werden neue Infrastrukturen gebaut, als wäre Deutschland ein strukturarmes Land wie vor 60 Jahren. Parallel aber gehen die jahrzehntealten Infrastrukturen kaputt, weil die Gelder zur Instandhaltung fehlen – Autobahnen, Brücken, Tunnel usw.

“Das Geld ist da””, sagt Middelberg. “Man denke nur an die Mineralölsteuer.” Doch auch die wird – wie viele andere Steuern – eben auch für andere Dinge ausgegeben.

Und noch ein Problem haben die LVB: Der Substanzverlust wird in der jährlichen Bilanz nicht abgebildet. “Denn abschreiben dürfen wir nur, was wir selbst investiert haben”, so Middelberg. Nettoabschreibung nennt sich das. Die eingesetzten Fördergelder von Bund und Land können nicht abgeschrieben werden.

Die damit gekauften Fahrzeuge und gebauten Infrastrukturen verschleißen aber trotzdem und müssen nach Ablauf der Betriebszeit ersetzt werden. “Wenn wir sie aber nicht ersetzen können, dann fallen bei Bahnen und Bussen zwangsläufig immer mehr Reparaturen an – und die werden immer aufwändiger und teurer”, schildert Middelberg ein Problem, das die LVB-Fahrgäste dann auch wieder zu spüren bekommen. Um die Sicherheit zu gewährleisten, verschwinden die Fahrzeuge in der Werkstatt, Engpässe können nicht mehr überbrückt werden, das Angebot verschlechtert sich. Bei steigenden Fahrpreisen. Das ist nicht wirklich das Rezept zur Steigerung der Attraktivität des ÖPNV.

Die dann wieder – das ist das Seltsame – fast alle Parteien wollen. “Wenn man mit den Ressortpolitikern spricht, sind sie Feuer und Flamme und stehen voll hinter uns”, erzählt Middelberg. “Wenn man dann aber zu den Finanzchefs kommt, zucken sie mit den Schultern.”

Das Ergebnis ist ein bundesweit immer mehr spürbarer Substanzverlust, die Angebotsqualität sinkt, obwohl bundesweit die Nutzerzahlen steigen. Im Grunde müssten die LVB ihr Angebot jetzt deutlich ausweiten. Sie merken ja längst schon, was es bedeutet, wenn die Einwohnerzahlen einer Stadt wie Leipzig steigen.

Die beteiligten 36 Verkehrsunternehmen haben am Donnerstag bundesweit zeitgleich eine solche Beklebeaktion durchgeführt. Die LVB hatten zu ihrer Beklebeaktion an den Hauptbahnhof eingeladen. Auch um die große Gleisbaustelle an der Goethestraße noch mit ins Bild zu bekommen. Den Appell und das Anliegen der Verkehrsverbünde kann man auf der Website www.damit-deutschland-vorne-bleibt.de nachlesen. Im Grunde geht es um eine simple Stellschraube: Den ÖPNV in Deutschland nachhaltig auf eine feste Investitionsbasis zu stellen und endlich unabhängig zu machen von politischen Regengüssen.

Oliver Wolff, Geschäftsführer der Infra Dialog Deutschland und Hauptgeschäftsführer des VDV: “Wir wollen mit der heutigen Aktion deutschlandweit darauf aufmerksam machen, dass man die Nahverkehrsunternehmen, Städte und Gemeinden mit den notwendigen Investitionen in die kommunale Verkehrsinfrastruktur nicht alleine lassen darf. Die ÖPNV-Unternehmen fahren an vielen Stellen auf Verschleiß und an der Kapazitätsgrenze, weil dringende Investitionen für Erneuerungen und Ausbau ausbleiben bzw. verschoben werden müssen. Unser Appell richtet sich daher an die neue Bundesregierung und an alle Länder: Die Instandsetzung der deutschen Verkehrsinfrastruktur muss höchste Priorität haben!”

www.damit-deutschland-vorne-bleibt.de
www.vdv.de

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