Die Gretchenfrage der gesamten City-Tunnel-Inszenierung lautet: "Wie hältst Du es mit dem Fernzug?" Der Wunsch nach erhellender Auskunft geht an die Deutsche Bahn, und er wird - je nach Geschäftsbereich und Stimmungslage - mehr oder weniger verschämt beschieden. Meistens mit einem faszinierend eindeutigen "Vielleicht."
Wer lange dran ist an diesem Thema, weiß, dass es die erhoffte Fernzug-Dimension im gesamten Tunnel-Programm war, die in den Jahren der davongaloppierenden Kosten und der entrückenden Eröffnungstermine die Stimmung der Leipziger noch einigermaßen im Zaum zu halten vermochte.
Frei nach dem Muster: “Wenn alles schon so viel kostet und so lange dauert, dann werden wir wenigstens mit neuen Fernverbindungen versöhnt, die durch die Doppelröhre geführt werden.” Doch nunmehr – so kurz vor der avisierten Eröffnung – deutet nur sehr wenig auf Fernzüge im City-Tunnel hin. War alles nur ein Missverständnis?
Die Antwort ist vielschichtig und reicht bis in die Frühphase der Tunnelei zurück. Am Anfang, in den frühen 1990er Jahren, waren vier Tunnelröhren geplant, zwei für die S-Bahn und zwei für den Fernverkehr. Verschiedene Zugkategorien wären sich dadurch nicht gegenseitig ins Gehege gekommen. Das geschah in jenen glücklichen Tagen, als das sprichwörtliche “Licht am Ende des Tunnels” sowieso alle Prognosen der ostdeutschen Wirtschaftsentwicklung gnädig beschien und als mit den Milliarden (in D-Mark) so großzügig jongliert wurde wie heute mit den Rettungsschirmen (in Euro). Alles gefühlte Lichtjahre entfernt.
Einkehrender Realitätssinn in Finanzierungsfragen ließ den Tunnel(t)raum schnell auf die schließlich realisierten zwei Tunnelröhren zusammenschnurren. Und damit auf den neuen betrieblichen Zwang, dass sich S-Bahnen, die an allen unterirdischen Stationen halten, die Tunnelgleise mit möglichen Fernzügen teilen müssten, die nur am Hauptbahnhof halten.
Spürbare Fernzugs-Entzugserscheinungen wurzelten schlicht darin, dass die Fernzug-Dimension im Tunnel von vielen Leipzigern als feste Ankündigung genommen wurde, während sie in Wahrheit doch immer nur als Option in die Debatten geworfen wurde. Am Beginn der Suche nach einer passenden Finanzierung für das Projekt “S-Bahn-Tunnel Leipzig” hieß es im August 1998 in der offiziellen Präsentation der Planungsgesellschaft: “Darüber hinaus sollen auch Züge des Fernverkehrs den Tunnel nutzen können.” Soviel Konjunktiv in einem Satz. Es bestehe die “Möglichkeit, stündlich mindestens eine Trasse für den Fernverkehr bereitzustellen”, lautete der vorsichtige betriebliche Hinweis der Planer. Daran hat sich auch 15 Jahre später nichts geändert.Scharfrichter in Fernzug-Angelegenheiten durch den City-Tunnel ist die Finanzierung. Die S-Bahnen fahren nach dem Bestellprinzip, Fernzüge verkehren eigenwirtschaftlich durch das Land. Im Klartext: Kommen genügend zahlende Fahrgäste zusammen, wird ein Fernzug eingesetzt, denn damit kann das Unternehmen Bahn ja Geld verdienen. Das gesamte Für und Wider erreicht damit schnell den Punkt, in welcher Relation ein ersehnter Fernzug denn verkehren sollte. Eine Traumstrecke wäre Berlin – Leipzig – München. Es wäre die kürzeste Bahnverbindung zwischen der deutschen Haupt- und der bayerischen Landeshauptstadt, doch gegen diese Ideallinie spricht seit den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit einfach alles. Als Hochgeschwindigkeits-Neubautrasse wurde auf dem Weg von Berlin nach München aus politischem Kalkül der Weg über Erfurt gewählt. Damit befand sich das Leipziger Tunnel-Angebot sofort und wirkmächtig im Fernverkehrs-Abseits, und elektrifiziert ist die Strecke durch das Vogtland und das Frankenland auf weiten Abschnitten bisher auch nicht.
Damit bleibt aber immer noch die Option, einen Fernzug in Tagesrandlage zum Beispiel ab Hannover über die Leipziger Tunnelstrecke nach Zwickau zu führen. Eine kürzliche leidenschaftliche Diskussion in der “Westsachsenmetropole” artikulierte diesen Wunsch mit großem Nachdruck. Skeptiker haben allerdings sofort das Argument parat, zu welchem Tarif denn ein solcher IC, der kaum schneller als die S-Bahn wäre, nach Zwickau fahren sollte.
Ob ein IC in Tagesrandlage nach Dresden tunneltauglich wäre, ist ebenfalls umstritten. Er würde auf seinem üblichen Weg zwar den Fahrtrichtungswechsel auf dem Leipziger Hauptbahnhof umgehen, durch die lange Gleisschleife im Leipziger Süden aber kaum Zeit gewinnen.
Und somit bleibt festzuhalten, dass das Fernweh nach einem Fernzug die City-Tunnel-Wirklichkeit wohl weiter begleiten wird, ob es sich dabei nun um die prestigeträchtige symbolische Einlösung einer Option handelt oder um einen richtig guten Zug.
Maßgebliche mitteldeutsche Eisenbahn-Vertraute wurden da schon deutlicher. “Ich würde mich freuen, nie einen Fernzug im Tunnel zu sehen”, bekannte der Geschäftsführer der Mitteldeutschen S-Bahn, Stephan Georg Wigger, im Oktober 2012 in einer Diskussionsrunde der Friedrich-Ebert-Stiftung in Leipzig recht offenherzig.
Und Andreas Glowienka, Geschäftsführer des Zweckverbandes für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL), räumte in einem Zeitschriftenbeitrag für das auf den Verkehrsbereich spezialisierte Weiterbildungsunternehmen AWV aus Leipzig Fernzügen im City-Tunnel eigentlich keine Chancen ein. Nun sind zwar sowohl Wigger als auch Glowienka längst nicht mehr auf ihren ursprünglichen Posten, doch das hat nichts mit ihrer deutlichen Fernzug-Skepsis zu tun. Die meisten Tunnel-Gewaltigen, die weiterhin an den Schalthebeln sitzen, denken ebenso.
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