Wer 208 Millionen Euro ausgegeben hat, möchte gern wissen, was draus geworden ist. So läuft das im wahren Leben. Und für Jan Mücke (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbau- und -verkehrsministerium, ein guter Grund, am 6. Mai dem City-Tunnel einen Besuch abzustatten. Der große Medientross, der den Staatssekretär aus Berlin und Sven Morlok (FDP), den Wirtschafts- und Verkehrsminister aus Dresden, begleitete, schien größer zu sein als die Gesamtzahl der Bauleute, die im Moment auf der Strecke unter dem Stadtzentrum noch zu tun haben.
Irgendwo beugen sich zwei Ingenieure über eine Bauzeichnung, an einer Stelle verfugen zwei Arbeiter einen kleinen Riss im Beton, an wenigen Schaltschränken wird noch verdrahtet, und auf einer Bühne an der Decke der Station Leuschnerplatz bringt ein Handwerker Streugitter für die Beleuchtung des Mittelbahnsteiges an.
Die Bundesmillionen sind verbaut, die sächsischen Millionen haben sich ebenfalls fast komplett materialisiert, doch für die Bahn bleibt die Riesenherausforderung, mit den netzergänzenden Maßnahmen fertig zu werden. Dort – räumlich zum Teil weit von der doppelten Betonröhre entfernt – ist der Termindruck am höchsten, auch wenn es im Moment keinen Verzug gibt, wie Artur Stempel, Sachsens oberster Eisenbahner, versichert.
Ab Juli wird der Fahrdraht auf den Rampenabschnitten gezogen, die in die Tiefe bzw. wieder hinaus führen, und im Spätsommer naht jener bereits mehrfach beschworene magische Termin, wenn sich der 1,4 Kilometer lange Tunnel nach über zehn Jahren Bauzeit von einer Baustelle zu einer Eisenbahnanlage wandelt und in das Netz integriert wird. Anschließend würde es an der Deutschen Bahn liegen, Erfahrungen zu sammeln, spielt Minister Morlok den Ball an den Konzernbeauftragten Stempel weiter.
Der nimmt die Vorlage pflichtgemäß an und verspricht einen Probebetrieb, um “kleine Nickeligkeiten” abzustellen. Was Artur Stempel in diesem Moment möglicherweise denkt, aber öffentlich nicht sagt, ist, dass vom Hersteller Bombardier endlich die bestellten elektrischen Züge kommen mögen – und dass sie abnahmefähig sind. Der Mai ist angebrochen, da müsste die silbern-lindgrüne Fahrzeugflotte eigentlich anschwellen, doch bisher gilt es, geduldig zu sein.Im Tunnel selbst dreht sich vieles um die Sicherheit der erwarteten Fahrgäste. Die leuchtend roten Hydranten der Trockenleitung für die Feuerwehr sind installiert. Ein Handlauf flankiert die Bankette, die im Ernstfall den Fluchtweg geben müssen. Hoch an der Tunnelwand zieht sich das Kabel für den Digitalfunk entlang, mit dem jeder Feuerwehrmann durch die Einsatzleitung einzeln erreichbar ist und an den Brennpunkt gelotst werden kann. Und dann stehen im längsten Abschnitt zwischen zwei Stationen – auf den 640 Metern zwischen Leuschnerplatz und Bayerischem Bahnhof – vorläufig die Türen des Querstollens noch weit offen.
Sollte es ein ernsthaftes Vorkommnis unter der Erde geben, würden die Fahrgäste in die benachbarte Röhre evakuiert. Dafür muss die eine Tür hinter den Rettung suchenden Menschen geschlossen werden, ehe sich die andere Tür vor ihnen öffnen lässt. Auf diese Weise soll möglicher Rauch keine Chance haben, beide Röhren zu verqualmen. Apropos Rauch: Die entsprechenden Tests fanden bereits statt. Fachleute haben akribisch verfolgt, ob die gefährlichen Gase wirklich den Weg genommen haben, der ihnen theoretisch gewiesen wurde. Das hat geklappt.
Alle Terminpläne für die verbliebenen sieben Monate bis zur geplanten Tunnel-Eröffnung am 15. Dezember sind so eng gestrickt, dass Mitarbeiter des Eisenbahn-Bundesamtes heute schon offiziell im City-Tunnel unterwegs sind, um mit einer Art Reißverschlusssystem bereits einzelne Abschnitte der Anlage betriebsbereit abzunehmen, ehe das endgültig verbindliche Gesamtprotokoll aufgesetzt und unterschrieben wird.
Der Konzernbeauftragte der DB für Sachsen, Artur Stempel, denkt an seine engen Tunnel-Termine – die will er halten.
Der Verkehrsminister aus Dresden, Sven Morlok, denkt an sein Budget. Das soll unter Kontrolle bleiben und keinen Sprung mehr über die seit mehr als zwei Jahren abschließend festgezurrte Summe von 960 Millionen Euro Gesamtkosten vollführen.
Der Parlamentarische Staatssekretär, Jan Mücke, denkt an die Wirkung der Millionen und verspricht als waschechter Dresdner: “Der City-Tunnel macht die schöne Stadt Leipzig noch schöner.”
Damit alle drei Recht behalten, müssen sich insbesondere die Bauarbeiter draußen weiter so ins Zeug legen. Auf manchen Abschnitten liegt noch gar kein Schotter, geschweige, dass das Gleis schon gelegt oder der Fahrdraht gezogen wäre. Eine Reihe von Brückenbögen muss noch betoniert werden, und manche Station wartet noch auf ihre Bahnsteigkante, die Beschilderung und die Beleuchtung. Doch alle sagen: “Wir schaffen das.” Und alle meinen den 15. Dezember 2013, jenes magische Datum, das der Minister mit den Worten ankündigt, es handele sich um keinen einfachen Fahrplanwechsel, sondern um “ein neues System”.
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