Drei Dinge soll ein Mann im Leben bekanntlich tun: einen Sohn zeugen, ein Buch schreiben und einen Baum pflanzen. Einen Baum hat er jedenfalls gepflanzt, der Sächsische Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Sven Morlok (FDP). Am 4. April südwestlich des Portikus des Bayerischen Bahnhofs - dort, wo früher die Gleise lagen und wo heute die unterirdischen Gleise des City-Tunnels in die Rampe nach oben münden, um danach im hellen Tageslicht in einem Trog den Weg nach Süden zu bahnen.
Die fünf Meter hohe skandinavische Waldkiefer ist der erste Starkbaum, der das City-Tunnel-Umfeld zieren soll. 289 weitere Bäume kommen an verschiedenen Stellen des Leipziger Stadtgebiets, aber immer in Tunnelnähe, in den nächsten Wochen hinzu. “Nun wird der Tunnel für die Bevölkerung sichtbar”, zeigt sich Minister Morlok überzeugt.
Die Offiziellen in Sachen City-Tunnel verkünden stolz: “Wir befinden uns auf der Zielgeraden.” Dieser Abschnitt für das Finish vor dem rettenden weißen Strich kann ganz schön lang werden, zum Beispiel zwölf Kilometer zwischen Engelsdorf und Gaschwitz. Dort wird jetzt überall gebaut – nach “einem ausgeklügelten Bauablauf”, wie die Deutsche Bahn wissen lässt, seit vor knapp zwei Jahren in allen erdenklichen technischen Details erstmals erläutert wurde, dass ein Großteil der erforderlichen Arbeiten in den Winterzeitraum 2012/13 gelegt wird. Nun hat es dieser Winter aber spürbar in sich, was wiederum Spuren im “ausgeklügelten Bauablauf” hinterlässt.Zweimal musste eine Baustellenbereisung für Medienvertreter im März abgesagt werden, weil wegen der schlechten Witterung einfach kaum gebaut werden konnte. Anfang April fand die “Tour de Beton” nun statt. Sieben bis acht Tage Verzug räumten Verantwortliche dabei bei den Oberleitungsarbeiten am künftigen S-Bahnhof Stötteritz ein, was erstaunlich wenig klingt angesichts der Schwierigkeiten, die jedermann in den vergangenen Wochen beim Fortgang der Bauarbeiten beobachten konnte. Bis Anfang Mai soll der Rückstand gar aufgeholt sein – falls der Frühling sich nun endlich bequemt.
Engelsdorf – Gaschwitz läuft unter dem Titel Netzergänzende Maßnahmen, was für Uneingeweihte so klingen könnte, als handele es sich um eine nette Zutat zum Kernbestand. Dieser Eindruck täuscht. Es geht vielmehr um netzsichernde Maßnahmen, wie zum Beispiel die Wendeanlage Stötteritz für die S-Bahn-Züge, die hier enden werden. Deshalb der anschwellende Personal- und Technikeinsatz und deshalb die Riesen-Investitionssumme von 160 Millionen Euro – ein Sechstel des Gesamtaufwands für das Gesamtvorhaben City-Tunnel, der laut Minister Morlok wie zuletzt prognostiziert mit 960 Millionen Euro abgerechnet werden soll.
Mehr als 28 Kilometer Gleis, 150.000 Kubikmeter Erdbau, 400 Oberleitungsmasten, 21 neue Weichen, 8.600 Meter Lärmschutzwände – die Aufzählung ließe sich fortsetzen, der Steckbrief des Großbaus im Osten und Süden von Leipzig verästelt sich bis in kleinste Details. Bauherr und Bauleiter tun das, was sie seit über 15 Jahren in Sachen City-Tunnel am liebsten tun. Sie ergötzen sich an Raffinessen des Schildvortriebs, berauschen sich an Überwurfbauwerken und spreizen sich mit den Stützweiten der Brücken. Eisenbahn-Spezialisten und -Fans schnalzen hörbar mit der Zunge, wenn sie mit soviel Spezialwissen versorgt werden. Doch interessiert das die Masse der künftigen Kunden? Praktische Umsteigemöglichkeiten, Stationspläne oder – als Krönung – ein Vorab-Einblick in die Fahrzeuge bewegen garantiert mehr.
Wenn der große Augenblick naht und der City-Tunnel sich vom Bauwerk zur Bahnanlage wandelt, will Minister Morlok den neugierigen Leipzigern wohl noch eine finale unterirdische Schnuppergelegenheit verschaffen. Aber bis dahin muss erst noch der Eingang zur Station “Markt” – der frühere Zugang zum Untergrundmessehaus und das umfangreichste verbliebene Tunnel-Baudetail im Stadtzentrum – fertiggestellt werden. Vorbei die Zeiten, als es hieß, vor der Hacke sei es finster; die Röhre strebt ans Licht.
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