Der Leipziger Markt ist die "gute Stube der Stadt." Die S-Bahn-Station Markt bildet das künftige Entree von unten in den allseits geschätzten Lebens-Raum der kleinen Metropole. Drohen deshalb die komplett angeschlossenen Fahrzielanzeiger auf dem unterirdischen Bahnsteig vorsorglich streng mit der Aufforderung "Betreten des Bahnsteiges nur mit Füßlingen erlaubt"? Oder geht es im City-Tunnel derart vornehm zu, dass Hausschuh-Gemütlichkeit verlangt werden kann?
Keineswegs, der strenge Hinweis deutet vielmehr unmissverständlich an, dass die Spannung auf der gesamten unterirdischen Strecke steigt. Die Wandverkleidungen sind montiert, die Stationsschilder auf den Mittelbahnsteigen gesetzt, in dicke Folienhüllen gepackte Bänke aufgestellt, die Fußbodenplatten komplett verlegt, und die Uhren laufen längst nach dem zentral gesteuerten System der Deutschen Bahn. Manchmal flirrt wegen diverser Restarbeiten noch Staub durch Tunnel und Stationen. Abstumpfende Schmirgelwirkung sollen diese mikroskopischen Partikel auf den Böden um Himmels Willen nicht entfalten. Deshalb liegen stationsweit weiche Filzmatten aus, und alle Spezialisten, die überwiegend mit Funktionsproben befasst sind, werden unzweideutig zum Tragen von Füßlingen aufgefordert.
Kratzer würden den gediegenen Gesamteindruck empfindlich stören, wenn alles in Betrieb geht. Wie nahe sich der klassische Hauptbahnhof und die S-Bahn-Station Leipzig Hauptbahnhof (tief) bereits gekommen sind, wird an den von oben in die Stationsöffnung eindringenden Geräuschen des gewohnten Zugverkehrs und der vielen Ansagen deutlich.
Die Ruhe vor dem Sturm ist spürbar. Besuchergruppen gelangen nur noch in seltenen Ausnahmefällen in die unterirdischen Gewölbe und Hallen. In Warnwesten gehüllte Techniker wollen unter sich sein. Stromlaufpläne werden überprüft und bauliche Details begutachtet.
Trafos sind angeschlossen und stellen die elektrische Versorgung der Stationen sicher. Matt glänzt die Metallschiene der Fahrstromversorgung knapp unter der Decke der Röhren. Die aus jeweils sieben superexakten Segmenten zusammengesetzten Betonringe (Tübbinge) mit ihrer konischen, ineinandergreifenden Form reihen sich zu einer Betonschlange von rund acht Meter Durchmesser. Dass die Luft trocken ist, gilt als Qualitätsmerkmal. Ein einsames Gleissperrsignal – Ordnung muss sein – zeigt an, dass der Abschnitt noch nicht befahren werden darf (und die vorgesehenen Triebzüge wurden ja auch noch nicht angeliefert bzw. abgenommen).Streckensignale, sofern sie schon angeschlossen sind, zeigen vorläufig ein einheitliches Bild: Halt! Bis zum Ende des Monats sollen sämtliche Signale auf der unterirdischen Strecke installiert sein. Dann beginnen die Tests und die Probeläufe des Funksystems. Es folgt die Abnahme des komplexen Bauwerks durch das Eisenbahn-Bundesamt. Das ist der definitive Moment der Wahrheit nach zehn emotionsgeladenen Bau-Jahren. Erst dann schlägt – betrieblich – die Stunde der Bahn.
Anfang Oktober sollen die Triebzüge mit Testpersonen im Probebetrieb durch den Tunnel rollen, und die Feuerwehr hat ein paar Tage damit zu tun, realitätsnah das komplette Rettungsprogramm entsprechend sämtlicher denkbarer Vorkommnisse durchzuspielen. Das letzte Dreivierteljahr bis zur geplanten Inbetriebnahme ist längst angebrochen.
Auch wenn die gefühlte Temperatur im Tunnel ansteigt, die tatsächliche Temperatur schwankt in einem nur geringen Bereich. So ist das nun mal in einem Tunnel.
Anders stellt sich die Situation an den oberirdischen Bauwerken dar, auf denen die Gleisstränge an den City-Tunnel heran- und wieder wegführen sollen. Die lang anhaltende Frostperiode der letzten Wochen hat den Bauabläufen arg zugesetzt und das anfangs vorhandene Terminpolster aufgebraucht. Betoniert werden konnte nur an wenigen Tagen.
Gleichwohl wurde am 16. März an der künftigen S-Bahn-Station ein Brückenfeld an der künftigen S-Bahn-Station Leipzig-Stötteritz über der Papiermühlstraße montiert und am 23. März ein ganzes Bündel aus 14 je 62,5 Tonnen schweren Stahlbetonträgern über der Rackwitzer Straße in die vorhergesehene Position bzw. auf temporäre Trägergerüste gehievt. Beide Vorhaben aus dem Kreis der Netzergänzenden Maßnahmen liefen bei mehr oder weniger strengem Frost ab. Sie waren in den Bauablaufplan eingetaktet und nicht verschiebbar. Es ging um passgenaue Betonkonstruktionen, die in Eiseskälte einzubauen waren. Die Baustellen nur mit Füßlingen zu betreten, wurde im Vergleich mit dem unterirdischen Streckenabschnitt auf den weiträumig abgesperrten Arealen natürlich nicht gefordert.
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