Erfreut zeigte sich kürzlich Leipzigs Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau, Martin zur Nedden, "dass nun die Signale für die S 1 auf Grün stehen und dass auf dieser für Grünau wichtigen Verbindung die Räder künftig wieder rollen." Die Wortwahl klingt verdächtig nach Sieg, und die Gefühle des Bürgermeisters sind ja durchaus verständlich, musste er doch im April 2011 gezwungenermaßen einwilligen, dass der Betrieb der S-Bahn nach Grünau bis zur Eröffnung des City-Tunnels eingestellt wurde.
Und dieser Einschnitt ins Leipziger Nahverkehrsnetz kam bekanntermaßen so: Vom Bund erhalten die Länder (und damit auch Sachsen) sogenannte Regionalisierungsmittel, die sie zwecks Finanzierung des Nahverkehrs an die Aufgabenträger weiterleiten müssen. Sachsen wich im Jahr 2011 von den bundeseinheitlichen Regularien ab und strich die Finanzierung des Nahverkehrs leidenschaftslos zusammen. Formal geklagt haben die auf Entzug gesetzten Stellen gleichwohl nicht. Der zuständige Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Sven Morlok (FDP), wurde nicht müde zu betonen, dass der nicht weitergeleitete Betrag schließlich in die Finanzierung des extrem teuren Leipziger Tunnelbaus fließe, und damit sei die Zweckbestimmung der finanziellen Mittel für den Nahverkehr (auf Umwegen) wohl erfüllt.
Morloks gewundene Finanzierungs-Interpretation bleibt Ansichtssache. Denn dass die in den frühen 1980er Jahren etappenweise bis zur damaligen Station Ho-Chi-Minh-Allee (heute Miltitzer Allee) eröffnete S-Bahn-Linie essentiell für jegliches sinnvoll gestrickte Leipziger S-Bahn-Netz ist, weiß in der Messestadt jeder. Deshalb kam vor 15 Jahren auch keine der zahlreichen Untersuchungen und Begründungen für den City-Tunnel respektive die Zukunft der S-Bahn ohne Würdigung der S 1 aus.
Es ist schon so: Kommt der Tunnel, kommt die S 1. Beide gehören zusammen; für sich betrachtet müssten sie Stückwerk bleiben. Wenn jetzt wieder Geld für den Betrieb dieser Linie fließen soll, dann für ein selbstverständliches Stück Schienennahverkehr bzw. für die Wiederherstellung der Normalität. Immerhin ist in der Zwischenzeit ja auch gebaut worden, was jedermann von der Antonienbrücke aus an der großzügig geschwungenen Gleisverbindung der modernisierten Plagwitzer Bahnanlagen in Richtung Grünau erkennen kann.Am Planungsbeginn für den City-Tunnel erschien in den amtlichen Unterlagen immer wieder das gedankliche Konstrukt einer “richtigen S-Bahn” (besonders ausgelegte Fahrzeuge, starrer Fahrplan, dichte Zugfolge), die nunmehr auch für Leipzig vorgesehen war. 20 Minuten betrug der Takt der S 1 nach Grünau Mitte der 1990er Jahre. Das reichte den Planern der ISL Ingenieurgemeinschaft S-Bahn-Tunnel Leipzig GmbH aus Schüßler-Plan und der bahneigenen DE-Consult in ihrer detaillierten Grundsatzuntersuchung vom September 1998 nicht. Auf 15 Minuten sollte der Takt zwischen Grünau und Stötteritz (durch den Tunnel) verdichtet werden. Zwischen 15.000 und 20.000 Fahrgäste pro Tag würden dann zwischen Grünau und der Innenstadt mit der S-Bahn unterwegs sein, versprach zur Neddens Amtsvorgänger, Baubürgermeister Lütke Daldrup, in einer Informationsvorlage an die Dienstberatung des Oberbürgermeisters am 17. September 1998. Auf den kundenfreundlichen “15-Minuten-Grundtakt” wurden auch die Leser des ersten, von der Deutschen Bahn herausgegebenen City-Tunnel-Buchs (2004) eingestimmt.
Doch eine auf den attraktiven 15-Minuten-Takt getrimmte S1 wird es – vorerst zumindest – nicht geben. Kommt der Tunnel, kommt die S 1 im 30-Minuten-Takt, also nach dem Fahrplanschema wie zum Zeitpunkt der vorübergehenden Einstellung am 30. April 2011. Das ist eine bescheidene Rückkehr zur Ausgangssituation. Ob das Geld überhaupt für einen dichteren Takt, also für mehr Zugbestellungen, reichen würde, werden die Aufgabenträger/Besteller am besten wissen.
Das jedoch ist noch nicht die ganze Wahrheit. Als K.o.-Kriterium erweist sich nicht zuletzt ein betriebliches Problem. Zwischen Leipzig-Leutzsch und dem Vorfeld des Hauptbahnhofs müssen sich schon bald die an jeder Station haltenden S-Bahnen sowie ein ganzes Bündel Regionalbahnen die endliche Trasse mit schnellen, ohne Halt durchfahrenden Fernzügen (ICE und IC) teilen. Auf diesem Abschnitt enthält der Fahrplan gar keine Luft, um weitere Züge unterzubringen.
Woraus sich ein hübsches Eskalationsschema mit geradezu halsbrecherischen Unbekannten ableiten lässt: 2013 sollen der City-Tunnel und die wiederbelebte S 1 in Betrieb gehen (Bestellung ist ausgelöst), 2014 wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt, und die Regionalisierungsmittel werden bundesweit neu verteilt (Ausgang in beiden Fällen völlig offen), 2015 soll die Neubaustrecke Leipzig/Halle – Erfurt in Betrieb gehen, 2017 die Komplettierung Erfurt – Ebensfeld (- Nürnberg) – ein sportlicher Terminplan. Deshalb lohnt es sich, die Entwicklung vom Ende her aufzurollen. Geht die Neubaustrecke pünktlich in Betrieb, wandern Fernzüge von und nach Leipzig dorthin ab, und im Westen der Stadt entspannt sich die Situation für den Schienennahverkehr, vorausgesetzt vom Bund gibt es dafür genügend Geld und vorausgesetzt eine nahverkehrsfreundliche Koalition in Dresden finanziert großzügig mit und vorausgesetzt der City-Tunnel ist bis dahin so erfolgreich, dass alle S-Bahn-Züge gefahren werden, die fahrplantechnisch überhaupt dort hineinpassen.
Fahrplanarchitekten im Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) lassen auf Nachfrage durchblicken, dass sie inständig hoffen, auf der S 1 den 15-Minuten-Takt einer “richtigen S-Bahn” ab 2017 anbieten zu können. Sie haben wohl allen Grund, das fahrende Publikum auf dieses weit entfernt scheinende Schlüsseljahr einzustimmen.
Keine Kommentare bisher