Es rumort schon länger hinter den Kulissen. Schon in den Vorjahren - so bestätigen Peggy Liebscher und Konrad Riedel, beide Mitglieder im Aufsichtsrat der LVB, einhellig - hatte es dort zunehmend Diskussionen über die immer neuen Fahrpreiserhöhungen bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) gegeben. "Doch noch nie so heftig wie in diesem Jahr", sagt Peggy Liebscher.

Die Diskussion fand in dieser Woche ihren Widerhall in der Stadtratsversammlung, wo heftig debattiert wurde über den Antrag der Linksfraktion, ein Tarifmoratorium zu verkünden, bis der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV), dem die LVB angehören, sein Strategiepapier 2025 vorgelegt hat. Denn aktuell weiß im Verbundgebiet niemand, wirklich niemand, wohin es mit dem ÖPNV überhaupt noch gehen kann – und wie man die Kostenentwicklung in den Griff bekommen soll. Um jeweils 3 bis 4 Prozent stiegen die Fahrpreise im MDV-Tarifgebiet in den letzten Jahren. So wird das auch am 1. August 2013 wieder sein.

Gleich nach der Ablehnung des Linke-Antrags zum Tarifmoratorium am Mittwoch stimmte die Gesellschafterversammlung des MDV am Donnerstag, 21. März, der Tariferhöhung für 2013 zu.

Der MDV aber machte seinen eigenen Bauchschmerzen gleich in der zugehörigen Pressemitteilung Luft. Und hängte auch gleich noch einmal die Zahlen an, die die Finanzierungsgrundlagen des ÖPNV um Halle und Leipzig völlig aus dem Gleichgewicht gebracht haben.

Verkraftbar und verständlich sind noch die 5 Millionen Euro, die durch rückläufige Einwohner-, Schüler- und Azubi-Zahlen seit 2001 weniger eingenommen werden.

Aber der ÖPNV finanziert sich nur zu einem Teil aus Fahrgasteinnahmen. Er funktioniert nur, wenn Bund, Länder und Kommunen ihn ihrerseits fördern.
Aber 5,5 Millionen Euro nimmt der MDV zusätzlich weniger ein, weil der Bund bei der ermäßigten Beförderung von Schülern, Azubis und Schwerbehinderten gekürzt hat. Satte 15 Millionen Euro pro Jahr fehlen, weil die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt ihre Investitionsförderung für die Verkehrsunternehmen gekürzt haben. Die normale Inflation hat seit 2001 einen Mehrbedarf an 50 Millionen Euro erzeugt, der ebenfalls nicht ausgeglichen wird. Und die Gesellschafter selbst sind auch nicht ohne Schuld an der Misere: Sie haben die Zuschüsse für ihre Verkehrsunternehmen gegenüber 2001 um satte 40 Millionen Euro gekürzt.

“Damit fehlen im MDV 115,5 Mio. Euro zu Finanzierung des Nahverkehrssystems. Lediglich ein Teil der fehlenden Mittel konnte über die Tariferhöhungen der letzten Jahre und parallel über 15 Millionen in den letzten Jahren neu gewonnene Fahrgäste kompensiert werden. Die daraus erzielten Mehreinnahmen von 50,0 Mio. Euro schließen die Deckungslücke jedoch nicht”, so der MDV.

Womit man schon direkt bei den LVB wäre, deren Zuschüsse aus dem Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag von über 60 Millionen Euro auf mittlerweile 45 Millionen Euro eingedampft wurden. Begleitet von einem Philosophiewechsel. “Dass Dresden mittlerweile beim ÖPNV-Standard viel weiter ist als Leipzig, hat auch mit der Arbeit der LVB-Geschäftsführung zu tun”, sagt Peggy Liebscher. Der alten, betont sie. Die aktuelle Geschäftsführung hätte sehr wohl begriffen, dass sie Einsparpotenziale finden und nutzen muss. Ob sie dabei schon an der Grenze des Machbaren ist, lasse sich freilich nicht einschätzen.

“Bei den Fahrkartenpreisen aber ist sie es”, sagt Konrad Riedel, der auch im Leipziger Stadtrat sitzt. Ein guter Teil, der Fahrgastzuwächse bei den LVB sei ganz gewiss auf die gestiegenen Benzinpreise zurückzuführen, die manchen Autofahrer dazu bewogen hätten, auf Bahn und Bus umzusteigen. Aber mit der nächste Tarifpreisrunde, befürchtet er, erreichen die LVB das Gegenteil. Dann könnte Schluss sein mit dem Zuwachs und viele LVB-Kunden könnten wieder abspringen. Vielleicht nicht zurück ins Auto – eher aufs Fahrrad oder auf Schusters Rappen.

Eines aber werden die LVB mit ihrer Fahrpreisstrategie nicht erreichen: Ihren Anteil an der Leipziger Verkehrsmittelnutzung von derzeit 18 Prozent auf die anvisierten 25 Prozent zu steigern. Für viele Leipziger sind sie jetzt schon zu teuer. Es gibt kaum eine Branche in Leipzig, die in den letzten Jahren Einkommenssteigerungen von 3 bis 4 Prozent geschafft hat.

Die, die es sich leisten können, steigen wieder aufs Auto um. Denn der Service der LVB steigt ja nicht mit den Fahrpreisen. Im Gegenteil: Noch immer stecken die Verkehrsbetriebe in einem gigantischen Nachholprogramm bei den Investitionen – sowohl im Gleisnetz, als auch beim Fuhrpark. Dass die alten Tatra-Bahnen in den nächsten Jahren aus dem Stadtbild verschwinden, daran glaubt Peggy Liebscher, die für die CDU auch schon zehn Jahre im Stadtrat saß, nicht mehr.

Aber auch für die CDU-Fraktion ist klar: So geht es nicht weiter. Dass die Fraktion am Mittwoch gegen den Antrag der Linken stimmte, sei rein aus “Verantwortung gegenüber dem Unternehmen” geschehen”, sagt die Fraktionsvorsitzende Ursula Grimm. In der Hauptsache sei man eigentlich der selben Meinung: So geht es nicht weiter. Die Politik könne sich nicht mehr aus der Verantwortung nehmen. Was konkret man in der Leipziger Politik machen kann, das will man nun in einer Fraktionsklausur besprechen, die man ganz und gar dem Thema Finanzierung des MDV widmen will. Sie soll vom 5. bis 7. Juli stattfinden – mit den eingeladenen Geschäftsführern der LVB, mit Peggy Liebscher als Kennerin der Materie als Gast, mit der Leipziger Beratungsfirma bbvl …

“Die grundsätzliche Frage steht: Wie finanzieren wir den ÖPNV”, sagt Peggy Liebscher. Das müsse auf allen Ebenen geklärt werden. Auch die Geschäftsführung der LVB müsse auf Verbandsebene aktiv werden. Es brauche auch eine klare Finanzierung auf Bundesebene. Und dass sich in Leipzig etwas ändern muss im Umgang mit den LVB, scheint zwangsläufig. Wenn die Tarifsteigerung im August kommt, kostet das Monats-Abo in Leipzig fast 63 Euro – fast 11 Euro mehr als in Dresden. Der Einzelfahrschein wird dann 2,40 Euro kosten, wo er in Dresden nur 2 Euro kostet.

“Bei den Tarifen gehört Leipzig mittlerweile zu den teuersten in Deutschland”, stellt Liebscher fest. Das aber vertrage sich nicht mit Leipzigs Image als Armutshauptstadt. Es ist auch die Leipziger Stadtpolitik, die sich klar werden müsse, was sie wolle. “Auch hier gilt der Spruch: Wer bestellt, der auch bezahlt.”

Und ganz bestimmt müsse die Stadt – und mit ihr ihre Konzernholding LVV – nachdenken darüber, ob man für 45 Millionen Euro den ÖPNV bekommt, den man den Bürgern immer wieder verspricht. Oder ob es da baldmöglichst einen Strategiewechsel gibt. Und es klingt durch, dass auch die CDU einem weiteren Tarifanstieg 2014 ff. nicht mehr zustimmen wird.

Jetzt sind ein paar Leute auf verschiedenen Ebenen dran, sich zu bewegen und Lösungen zu finden.

“Sonst”, so Liebscher, “wird es in den nächsten ein, zwei Jahren ganz haarig im MDV.”

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