Dieser Berg ist in keine noch so großformatige topografische Karte eingezeichnet. Doch stolz und gut erkennbar überragt er seine mäßig gewellte Umgebung. Für die meisten Menschen bleibt er allerdings ein Namenloser. Die Rede ist vom Westberg in Engelsdorf. Betriebseisenbahner wissen Bescheid. Es handelt sich um den Ablaufberg West des Rangierbahnhofs Engelsdorf. Soviel Korrektheit muss sein.
Als Güterwagen noch “über den Berg gedrückt” wurden, um unter Ausnutzung des natürlichen Gefälles irgendwo, aber planvoll in ein Gleisbündel einzumünden, wo immer neue Güterzüge zusammengestellt wurden, da waren Ablaufberge unverzichtbar, sozusagen die einsamen Höhepunkte der Rangierarbeiten. Im Zuge der Rationalisierung des Bahnbetriebs ist die Bildung von Güterzügen in den vergangenen Jahren in mehreren Wellen an immer weniger Stellen zusammengefasst worden. Und deshalb lebt der einst überaus geschäftige Westberg vom verblichenen Ruhm aus fast einhundert großen Eisenbahnjahren.
Wie schön, dass dem funktionalen Hügel nun eine gewisse Eisenbahnzukunft bevorsteht. Er soll – irgendwann, in ein paar Jahren – den Haltepunkt Paunsdorf des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes tragen. Warum das denn? Wohnt hier jemand? Zieht es Scharen von Berufspendlern in ein unverhofft aufblühendes Gewerbegebiet? Freuen sich Massen von Schülern auf eine S-Bahn-Fahrt an einen neuen, großen Schulstandort? Mitnichten. Der Westberg ist sich selbst genug.
Im Osten von Leipzig verlaufen die Güterzugstrecken auf Bahndämmen, damit sie sich bequem auf verschiedenen Ebenen kreuzen können oder eben auf die Höhe des Westbergs gelangen. In den ersten Plänen für das mitteldeutsche S-Bahn-Netz war dort kein Haltepunkt vorgesehen. Die S-Bahn-Trasse sollte ab dem Haltepunkt Leipzig-Stötteritz auf den Güterring schwenken, dort an Höhe gewinnen, um anschließend auf einem neu gebauten Streckenabschnitt in den bereits vorhandenen Haltepunkt Leipzig-Paunsdorf bzw. weiter in die Stammstrecke in Richtung Wurzen abgesenkt zu werden. Das hätte den Bau steiler neuer Rampen erfordert, mithin anspruchsvolle teure Bauwerke. Deshalb wurde diese Variante verworfen, als ab 2006 “Einsparpotenziale” für die davonlaufenden City-Tunnel-Kosten (die notwendigen ergänzenden Bauwerke eingeschlossen) gesucht wurden.Nunmehr soll die S-Bahn-Trasse auf den Gütergleisen bleiben und so auch über den Rangierbahnhof Engelsdorf in Richtung Osten führen. Doch in den Verträgen zur Bestellung der Verkehrsleistungen für das mitteldeutsche S-Bahn-Netz, die penibel eine Unmenge von Details und Angebotsstandards regeln, ist ein S-Bahn-Haltepunkt Leipzig-Paunsdorf zu finden. Da die vorhandene Station im Zuge der geänderten Linienführung von der mitteldeutschen S-Bahn gar nicht mehr erreicht werden kann, muss eben ein neuer Haltepunkt gebaut werden, und der kommt auf das historische Rangiergelände. Das ist konsequent, das ist vereinbarungsgemäß, auch wenn der Neubau in einem gewissen Niemandsland entstehen soll. Vertrag ist Vertrag.
Die Präsentationsmappe “Der neue Eisenbahnknoten Leipzig” der DB (Juli 2012) und die Website des City-Tunnels zeigen den Haltepunkt Leipzig-Paunsdorf im künftigen Liniennetz. Doch in den jüngsten gedruckten Unterlagen zum S-Bahn-Liniennetz taucht er nicht auf. Denn der neue Haltepunkt kann erst gebaut werden, wenn die Deutsche Bahn ihren Rangierbahnhof Engelsdorf aufgibt. Das jedoch ist erst möglich, wenn in Halle die neue mitteldeutsche Zugbildungsanlage (Baubeginn war September 2012) in ein paar Jahren in Betrieb geht. Ergo startet das neue S-Bahn-Netz ohne den Haltepunkt Leipzig-Paunsdorf. Im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr heißt es dazu aus prominentem Mund, alle “betriebsnotwendigen Anlagen” der mitteldeutschen S-Bahn wie City-Tunnel und Netzergänzung würden bis Dezember 2013 fertig, und der Rest käme “eben später”. Termin offen.
Gebaut wird mächtig am Leipziger Ostring zwischen Engelsdorf und Gaschwitz, um den sich all die geschilderten Aktivitäten drehen. Das ist jeden Tag zu besichtigen – trotz Schneematsch und hartnäckigem Winterwetter. Der Termindruck ist übermächtig.
Übrigens: In der nächsten Woche werden im Schillerpark am nördlichen Ausgang der künftigen Station Wilhelm-Leuschner-Platz vier mächtige alte Bäume gefällt. Als Ersatz kämen fünf neue Bäume dorthin, beschwichtigen die City-Tunnel-Verantwortlichen. Die Fällaktion läuft unter dem Titel “Landschaftsbauarbeiten.” Auch dort drückt der Terminplan, egal wie tief der Frost im Boden steckt. Die City soll citytunnelfein umgestaltet werden. Jammerschade, dass vier herrliche Bäume dran glauben müssen.
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