Seit 2003 gilt der aktuelle Stadtentwicklungsplan (STEP) Verkehr und öffentlicher Raum (VöR) in Leipzig. 2011 begann die Diskussion für den neuen STEP, der 2014 vom Stadtrat beschlossen werden soll. 2012 gab es dafür einen großen Bürgerwettbewerb "Ideen für den Stadtverkehr", der auch für die Stadtplaner einige überraschende Ideen und Grundhaltungen zu Tage förderte. Jetzt macht das Stadtforum deutlich: Eine echte Änderung der Verkehrspolitik gibt es erst, wenn sich die Priorität völlig umpolt. Der Fußgänger soll künftig das Maß der Dinge sein.
Bislang ist es das Kraftfahrzeug. Das hat Folgen bei jeder Planung. Und es verstellt natürlich die Sicht auf wesentliche Grundlagen des Lebens in der Stadt. Denn: Wie nachhaltig sind eigentlich Verkehrsstrukturen? Wieviel Geld braucht man, um sie zu erhalten? Und wie richten sich die anderen Infrastrukturen der Stadt aus – nach welcher primären Verkehrsart? Wird etwa beim Neubau von Einkaufscentern über Ruhebänke diskutiert, gute fußläufige Erreichbarkeit, Barrierefreiheit und genügend Stellplätze für Fahrräder? – Ja – irgendwann am Ende der Planungen, wenn schon einmal feststeht, dass das Center gut beliefert werden kann, gut mit dem Pkw erreichbar ist und genügend Parkplätze vorhält. Dasselbe Spiel bei neuen Wohnbebauungen, medizinischen Centern, Gewerbeparks.
Aber was passiert, wenn man nicht von der teuersten Verkehrsart ausgeht, sondern von der häufigsten und preiswertesten, fragte sich das Stadtforum. Ändern sich dann nicht die Sichtweisen, bekommt das Nachdenken über Stadträume nicht ganz andere Gewichte?
Und vor allem: Rückt dann nicht ein Spruch tatsächlich in den Mittelpunkt, den die Verwaltung seit Jahr und Tag auf ihrer Website prangen hat, aber nicht wirklich mit Leben erfüllt, weil’s irgendwie nicht geht: “Stadt der kurzen Wege”.
Wenn man die Prioritätensetzung ändert, verschieben sich auch die im STEP Verkehr aufgeführten Punkte.
Jetzt steht zwar in der Einleitung zum Grundlagenpapier “Mobilität 2020” ein kleines Kapitel “Verkehrssparsame Stadtstrukturen. Stadt der kurzen Wege”. Aber man braucht nur umzublättern und sieht, dass aus dieser Perspektive die Planung auf dem Kopf steht: Die langen Wege haben Priorität.
“Leipzig im übergeordneten Verkehrsnetz. Flughafen, Eisenbahn und Fernstraßen” heißt der erste Schwerpunkt. Der zweite: “Motorisierter Individualverkehr. Das Straßennetz stadtverträglich ausbauen”. Da ist noch der Mittlere Ring in weiten Teilen eingemalt. Dann folgen ÖPNV, Wirtschaftsverkehr, Fußgänger- und Radverkehr. In dieser Reihenfolge.
Eine verkehrssparsame Stadtstruktur bekommt man aber nur, wenn man die Prioritäten umdreht. Grundsatz der Planung müsse die Sicht des Menschen als Fußgänger sein, stellt das Stadtforum fest. Der Fußgänger, der jeder einzelne Leipziger Tag für Tag ist. Selbst wenn es nur auf dem Weg zum Auto ist, der Bummel durch die Stadt, der Spaziergang auf der Kneipenmeile. Selbst der kurze Hopser vom Stellplatz an der Magistrale zum Kiosk oder Bäcker.
“Bei jeder Maßnahme muss auch Ziel sein, die Lebensqualität insgesamt zu steigern, insbesondere durch Vermeidung und Verringerung von Emissionen (Lärm, Schadstoffe), Berücksichtigung der Bedürfnisse der Schwächsten (Kinder, Senioren) sowie die Gewinnung und Verbesserung von Aufenthaltsräumen im öffentlichen Stadtraum”, stellt das Stadtforum in einem Papier fest, in dem es jetzt die “Fünf prioritären Maßnahmen je Handlungsfeld” aus seiner Sicht definiert – was über das übliche Denken in Fahrbahnen, Gleisen, Rad- und Fußwegen hinaus geht.Im Zusammenhang mit den Planungen für die “Karli” haben die LVB zumindest schon mal angedeutet, dass sie im Lauf der letzten Jahre begriffen haben, worum es eigentlich gehen könnte.
Das Stadtforum nennt es – eigentlich logische Folge aus der von Burkhard Jung einst unterschriebenen “Leipzig Charta” – ein “Verdichten der Stadtstrukturen in den historischen inneren Stadtvierteln (Neubau und Sanierung von Gebäuden – jedoch ausschließlich an den Blockrändern, während Blockinnenbereiche von Bebauung freizuhalten und idealerweise grundstücksgrenzüberschreitend zu begrünen sind) durch Konzentration öffentlicher Bauvorhaben und Ausschöpfen aller Möglichkeiten zur Lenkung privater Investitionen.” Schulen, Kitas, Bürgerämter und weitere öffentliche Einrichtungen sollen wohnortnah angeboten werden, “vorzugswürdig in den für Fußgänger gut erschlossenen historischen Ortszentren und den historischen Magistralen”.
Verkehr vom Fußgänger her gedacht, hat Folgen für alle Stadtstrukturen. Beim Einkauf logischerweise weg von den autoaffinen Centern. Eine “Lenkung des Einzelhandels weg von großflächigen Einheiten hin zu möglichst vielen, möglichst kleinflächigen Einheiten (etwa Förderung ‘Leipziger Laden’) in/an den Wohnvierteln, in den historischen Ortszentren und den historischen Magistralen”, fordert das Stadtforum.
Und Kfz-Verkehr ist auch im Betrieb teuer. Das ist vielen Autofahrern nicht wirklich bewusst. Die ausufernden Lichtsignalanlagen stehen ja nicht in der Stadt, weil so viele Fußgänger unterwegs sind, sondern um den Kfz-Verkehr zu regeln. Der durch die permanente Zunahme der Privat-Fahrzeuge auch dafür sorgt, dass der Bewegungsraum der weniger kostenintensiven Verkehrsträger, insbesondere Fuß- und Radverkehr, immer mehr schmilzt.
Es sind die Fußgänger, die immer größere Umwege auf sich nehmen müssen, um ihre Ziele im Stadtteil zu erreichen. Ihr Verkehrsraum hat zunehmend an Qualität eingebüßt.
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Aber auch der ÖPNV hat ein anderes Gewicht, wenn man von der Fußgängerseite her denkt. Dann rückt nämlich der Ausbau des ÖPNV-Angebots ins Blickfeld, den die LVB bisher ganz vorsichtig angehen. Denn ein bisschen Taktverdichtung zwischen 10 und 18 Uhr schafft zwar mehr Angebot im Freizeitverkehr – im Berufs- und Schulverkehr drängeln sich die Fahrgäste aber trotzdem wie die Heringe. Auch über neue Linien sollte wieder nachgedacht werden, deutet das Stadtforum an.
Und über “attraktivere – d.h. auch günstigere – Tickets, insbesondere auf den Strecken im Bereich der Kernstadt (Ring der historischen Vorstädte um die Innenstadt) und für Großveranstaltungen (Kombitickets)”. Da ist man schnell da, wo die Linksfraktionen in der Region schon sind: “Die Finanzausstattung für den ÖPNV sollte deutlich verbessert werden”. Man kann sich nicht mehr ÖPNV-Nutzer wünschen, aber ständig die Etats kürzen und gleichzeitig an der Preisschraube drehen. Das schreckt ab und schafft keine neue Nutzungsqualität.
Die Diskussion zum STEP Verkehr: www.leipzig.de/de/buerger/stadtentw/step/verkehr-und-oeffentlicher-raum/index.shtml
Die komplette Vorschlagsliste des Stadtforums als PDF zum download.
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