Politik in Deutschland läuft in den letzten Jahren immer mehr nach dem Prinzip: Der Letzte bezahlt. Förderprogramme werden zusammengestrichen mit der Aufforderung, die Empfänger sollen doch bitte schön andere, neue Finanzierungsquellen finden. Das betrifft den Sport, die Kultur, die Hochschulen und schon längst den ÖPNV. Im Verbundgebiet des MDV bezahlen die Fahrgäste den Verschiebebahnhof. In Leipzig genauso wie in Halle.

Während der Antrag der Linksfraktion im Leipziger Stadtrat über ein Tarifmoratorium im MDV in der März-Sitzung behandelt werden soll, steht es im Stadtrat der Saalestadt Halle schon am 27. Februar auf der Tagesordnung. Auch dort mit der Stellungnahme der Stadt, man könne das Moratorium nicht befürworten. Eine Erhöhung der Tarife auch im Jahr 2013 sei für eine ausgeglichene Bilanz des Unternehmens unverzichtbar. “Aus Sicht der Verwaltung kann auf die Tariferhöhung mit Blick auf das Strategiepapier nicht verzichtet werden”, erklärt Uwe Stäglin, Beigeordneter für Stadtentwicklung und Umwelt.

Doch was aus Sicht der Stadtverwaltung so simpel aussieht, geht auch den Fahrgästen der Stadt Halle gehörig ans Portemonnaie.

“Seit der Gründung des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes ist kein Jahr vergangen, in dem nicht die Fahrpreise für die Fahrgäste weit über die jährliche Inflationsrate angehoben wurden”, stellt die Linksfraktion in ihrem am 7. November 2012 gestellten Antrag fest. “Eine weitere derartige Entwicklung der Fahrpreise für öffentliche Verkehrsmittel ist als sehr kritisch anzusehen. Auch aus den dem Mitteldeutschen Verkehrsverbund angehörigen Landkreisen und der kreisfreien Stadt Leipzig gibt es berechtigte Hinweise, dass das System der Einnahmeverbesserung für die Verkehrsunternehmen ausschließlich durch Fahrpreiserhöhung an seine Grenze stößt.

Daher hat der Aufsichtsrat der MDV GmbH bereits im Frühjahr dieses Jahres die Geschäftsführung aufgefordert, alternative Finanzierungsmodelle zu untersuchen und deren Umsetzungsmöglichkeiten im Verbundraum zu analysieren. Bisher liegen keine derartigen Ergebnisse, noch weniger ein neues Finanzierungsmodell vor. Stattdessen werden durch die MDV GmbH bereits erste Gespräch und Untersuchungen für eine erneute Fahrpreiserhöhung im Jahr 2013 geführt.”

Man ist sich im halleschen Planungsdezernat durchaus bewusst, wie brisant die Lage ist. Die finanzielle Lage wird in der Begründung des Dezernats extra noch einmal erläutert.

“Im Mitteldeutschen Verkehrsverbund wird die Verkehrsleistung für die Straßenbahnen, Busse und Züge mit jährlich über 200 Millionen Euro aus Geldern der Städte, der Landkreise und der Länder finanziert. Der Kunde selber finanziert den Nahverkehr auf Basis seines Fahrscheinkaufes. Die Gesamterträge durch den Fahrscheinkauf der Kunden belaufen sich innerhalb des MDV auf ca. 165 Mio. Euro p.a.

Im Vergleich der Jahre 2011 zu 2001, dem Start des MDV fehlen dem System Nahverkehr im MDV mittlerweile Finanzmittel in Höhe von 115 Mio. ? p.a. Demgegenüber stehen Mehreinnahmen aus Tarifanpassungen und zusätzlichen Fahrgästen in Höhe von ca. 50 Millionen ?. p.a.”

Dabei gleichen die gestiegenen Fahrgasteinnahmen praktisch auf den Punkt die Inflationsrate aus. Wäre es nur das, die Sache wäre händelbar. Selbst der Rückgang der Einnahmen durch den Rückgang der Einwohnerzahlen in den Landkreisen und im Schülerverkehr (über die zehn Jahre gerechnet etwa 5 Millionen Euro) wäre noch austarierbar. Doch gleich alle drei Instanzen, die den ÖPNV bislang co-finanzieren, haben ihre Fördersummen zusammengestrichen. Der Bund genauso wie die beiden Länder und die Kommunen.

Das ergibt tatsächlich erst das Defizit, das die Verkehrsunternehmen nicht mehr ausgleichen können. Die Zuweisungen vom Bund sind um 5,5 Millionen Euro zurückgegangen. Die beiden Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt haben ihre Investitionszuweisungen (für Straßenbahnen, Busse, Schienen, Haltestellenumbauten …) um 15 Millionen Euro abgesenkt. Was sich in den beteiligten Verkehrsunternehmen längst in einem Beschaffungsstau bei Bussen und Bahnen niederschlägt. Die PR-Aktion über die neuen, billigeren Sitze für LVB-Straßenbahnen ist nur ein kleiner Teil dieser Geschichte, die sich mit kleinen Einsparungen nicht mehr lösen lässt.Aber am heftigsten gekürzt haben die Kommunen, auch wenn sie es ihren Bürgern immer als eine Art Konsolidierung und besserer Wirtschaftlichkeit der Kommunalunternehmen verkauft haben. Die Kürzungen der Städte und Landkreise haben den Verkehrsunternehmen 40 Millionen Euro entzogen. Teilweise haben das die Unternehmen durch eine komplette Auslagerung der Belegschaften in Tochterunternehmen kompensiert. Die Verkehrsbetriebe von Halle und Leipzig haben sich (wie praktisch alle Straßenbahnunternehmen in Deutschland) auch extra noch von der EEG-Umlage befreien lassen.

Auch das Leipziger Finanzdezernat verwies in seiner ablehnenden Haltung zum Linke-Antrag auf das vom MDV angekündigte Strategiepapier “Entwicklung des Verbundraums und des integrierten Verbundsystems bis zum Jahr 2025” – genauso wie jetzt der Planungsbeigeordnete von Halle. Doch es dürfte zumindest fraglich sein, ob eine weitere Optimierung in Angebot und Tarifsystem des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes das Dilemma in dieser Größenordnung lösen kann. Es ist auch wie der Kinderglaube daran, dass man ein System nur immer weiter “verschlanken”, optimieren, flexibilisieren und “gesundschrumpfen” kann.

Was ja einfach scheint: Die Verkehrsunternehmen sind kommunales Eigentum, da muss mit dem gewirtschaftet werden, was zur Verfügung steht. In Leipzig sind es Stadtrat, Verwaltung und die Konzernholding, die die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) an die Kandare nehmen und sie schon seit Jahren zu immer neuen Einsparrunden zwingen. Was dann all die Aktionen mit Ausgründungen von Tochterunternehmen, Verkäufen von Tochterunternehmen und dem (mittlerweile beendeten) Verleasen von Gleisen und Bahnen zur Folge hatte. Aber irgendwann sind die Möglichkeiten des Einsparens ausgereizt.

Nur zum Vergleich: 2001, als das große Sparen im MDV-Gebiet begann, bekamen die LVB aus dem Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag noch fast 69 Millionen Euro. Damals war das noch an die Steigerung der Fahrgastzahlen gekoppelt – je mehr Fahrgäste, umso mehr Geld. Das wurde dann 2003 abgekoppelt und seitdem sind die Überweisungen von der LVV zu den LVB auf aktuell 45 Millionen Euro gesunken.

Mehr zum Thema:

Linksfraktion fordert Tarifmoratorium im MDV: Verwaltung plädiert für Nein
Ein Tarifmoratorium für die Fahrpreise …

Schluss mit den Preissteigerungen im MDV: Linksfraktionen beantragen Tarifmoratorium
Die Vertreter der Linken der am Mitteldeutschen …

Eva Jähnigen (Grüne): In Sachsen ist zu wenig Geld im System ÖPNV
Zum Beschluss des Kabinetts über …

Auf der anderen Seite sorgten die jährlichen Fahrpreissteigerungen dafür, dass die zurückgehenden Zuweisungen immer wieder aufgefangen werden konnten. 2001 hatten die LVB noch 45 Millionen Euro an Linieneinnahmen. Dieser Betrag ist mittlerweile auf knapp 74 Millionen Euro gestiegen. Die Zahlen für 2012 liegen noch nicht vor. Aber so heftig wie die Preissteigerungen 2012 ausfielen, dürfte der Wert noch deutlich drüber liegen.

Und innerhalb der Verbundunternehmen des MDV weiß man längst, dass es so nicht weiter gehen kann. Der Knackpunkt ist erreicht. Und im Landkreis Leipzig – der finanziell längst noch knapper da steht als Leipzig – hat der Kreistag sich schon für ein Tarifmoratorium ausgesprochen. Die Zeit des Herumdokterns ist vorbei. Und eine Stadt wie Leipzig, die großspurig auf 25 Prozent Anteil des ÖPNV an allen Wegen spekuliert, kann sich nicht mehr aus der Verantwortung stehlen und so tun, als sei der ÖPNV nur ein leidiges Zuschussgeschäft, der den Gürtel enger schnallen muss, weil man sich im LVV-Konzern übernommen hat.

Der Linke-Antrag aus dem Stadtrat von Halle und die Stellungnahme des Planungsbeigeordneten als PDF zum download.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar