Gebetsmühlenartig wiederholen Verantwortliche der Deutschen Bahn (DB) und des Zweckverbands für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) eine Schlüsselzahl des kommenden City-Tunnel-Betriebs: Zwölf S-Bahnen plus die Option eines Fernzuges pro Stunde und Richtung, das ist die Kapazität der unterirdischen Schienenverbindung.
Weil der Fernverkehr und die Aussicht auf solche Züge im Tunnel auf einem anderen Blatt stehen, bleiben stündlich die zwölf S-Bahnen, die aus verschiedenen Richtungen zulaufen und auf der Tunnelstrecke in den Stationen Bayerischer Bahnhof, Wilhelm-Leuschner-Platz, Markt und Hauptbahnhof halten sollen, um sich beim Wiederauftauchen aus dem Untergrund fächerartig zu verzweigen.
Zwölf Züge pro Stunde und Richtung, also alle fünf Minuten einer. Was logisch klingt und für einigermaßen attraktive Umsteigebeziehungen sorgen soll, hat allerdings einen entscheidenden Haken: Für die Aufrechterhaltung der dicht gestrickten Fünf-Minuten-Zugfolge müssen sämtliche Züge aus allen Richtungen pünktlich ankommen, um nach dem geplanten Taktschema in den Tunnelabschnitt eingefädelt zu werden. Ein S-Bahn-Zug – zum Beispiel aus Zwickau -, der beim Erreichen des südlichen City-Tunnel-Portals bereits rund 80 Minuten unterwegs ist, muss dann genau zur vorgegebenen Zeit eintreffen, um – wiederum als Beispiel – den vorgegebenen Fünf-Minuten-Abstand zu einem folgenden, pünktlich aus Stötteritz eintreffenden Zug einzuhalten.
Gemäß dem Programm der Zugleistungen, wie es in allen Rechnern der Bahn hinterlegt ist (oder sein wird), funktioniert das Geflecht der Linien und Takte reibungslos. Verspätungen hätten allerdings weit reichende Folgen.
Ausgehend von den betrieblichen Erfahrungen der “alten” Eisenbahn, bräuchte ein so bedeutender und geballter Verknüpfungsabschnitt wie der City-Tunnel Kapazitätsreserven, um Verspätungen operativ “glätten” zu können. Zum Beispiel in Form von Weichen, Ausweich- und Überholgleisen, auf die ein verspäteter Zug kurzfristig geleitet werden könnte, um einen nachfolgenden pünktlichen Zug nicht zu behindern. In den allerersten Plänen für den City-Tunnel waren solche Gleisanlagen auch enthalten. Gebaut worden sind sie allerdings nicht; das Tunnelbauwerk geriet sowieso schon viel zu teuer. Doch wo Reserven fehlen, werden Engpässe zementiert.Erfahrenen Betriebseisenbahnern wird mulmig, wenn sie daran denken, dass eine der künftigen S-Bahnen bereits verspätet den Eisenbahnknoten Leipzig erreicht. Eine solche Verspätung lässt sich auf den dicht belegten Streckenabschnitten nicht aufholen – und auf der Tunnelstrecke sowieso nicht. Simulationen innerhalb der vorgesehenen Fahrplanstruktur haben gezeigt, dass es bei einer um fünf Minuten verspäteten S-Bahn bis zu drei Stunden dauern könnte, bis auf allen anderen, von der Verspätung der einen Linie betroffenen S-Bahnen der reguläre Betriebszustand wieder hergestellt wäre, berichten Beteiligte.
Deshalb soll nach der Inbetriebnahme des City-Tunnels alles getan werden, dass Verspätungen “gar nicht erst in den Tunnel geschleppt” werden. Dafür gibt es nur eine oberirdische Lösung. Eine verspätete S-Bahn, die zum Beispiel aus Wurzen kommt, würde ab Stötteritz nicht in Richtung Tunnel geleitet, sondern außerplanmäßig nach Connewitz. Dort müssten die Fahrgäste dann in eine aus dem Süden heranrollende S-Bahn umsteigen, um ihr Ziel entlang der Tunnelstrecke zu erreichen. Viel Aufwand, um Druck vom Tunnelbetrieb zu nehmen. Und im hier geschilderten Fall der Fälle einmal Umsteigen mehr für die Fahrgäste.
Wie pünktlich die S-Bahnen wirklich den City-Tunnel passieren werden, das wird tausende mehr oder weniger bahnaffine Zeitgenossen mächtig interessieren. Besonders am geplanten Eröffnungstag. Um das reisende oder schauende Publikum nach der langen Bauzeit des Tunnels versöhnlich zu stimmen, wird im Leipziger Rathaus erwogen, den Fahrgästen an diesem Tag die Tunnel-Tour kostenlos anzubieten.
Davon raten erfahrene Betriebseisenbahner dringend ab. Sie wenden ein, dass durch schwer zu kalkulierendes Interesse und Massen von Fahrgästen das Ein- und Aussteigen auf den Tunnel-Stationen zeitlich völlig aus den Fugen geraten könnte, so dass an einen vorbildlichen Fünf-Minuten-Takt nicht mehr zu denken wäre. Blitzschnell würde dann der Fahrplan-Ernstfall eintreten. Wie kostbar die vorgesehene Zugfolge im Tunnel ist, würden zwar alle Fahrgäste auf der Stelle kennenlernen, doch die Erfahrung soll ja eine positive sein. An fünf hoch konzentrierten Übungstagen im Oktober sollen deshalb alle für den Betrieb Verantwortlichen den Wert der kostbaren fünf Minuten für die Zugfolge im Tunnel in der Praxis wieder und wieder durchspielen.
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