Berufseisenbahner pflegen im Moment ein lustiges Ratespiel: Hast Du schon die Wagen für das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz und damit zugleich für den City-Tunnel gesehen? - Manch einer will, während er seinen dienstlichen Blick auf den Schienenstrang richten musste, einen der schmucken neuen Züge bereits in Delitzsch gesehen haben, andere wurden angeblich in der Berliner Gegend fündig.
Den Verantwortlichen für das City-Tunnel-Projekt (von denen das Geld kommen muss) sollte Ende November ein Prototyp des Triebzugs im Herstellerwerk von Bombardier in Hennigsdorf gezeigt werden. Der Rest ist Stillschweigen.
Fest steht: Gibt es den ominösen Zug bereits in natura, so fällt er mit Sicherheit auf. Abweichend vom üblichen Verkehrsrot für die Nah- und Regionalverkehrsfahrzeuge der DB sollen die mitteldeutschen S-Bahnen ein besonderes, schmuckes Farbkleid in Silbergrau/Lindgrün erhalten. Ein ungewöhnlicher Farbtupfer. Grafisch vorgestellt hat der Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) – der Besteller der Verkehrsleistungen – die Fahrzeuge anlässlich der Unterzeichnung des Verkehrsvertrags vor nunmehr zwei Jahren.
Technisch basieren die Züge auf der Baukasten-Familie Talent 2, wie sie zum Beispiel schon seit Oktober vereinzelt und seit Dezember komplett den Regional-Express-Verkehr zwischen Leipzig und Dresden übernommen hat. Die Innenräume der Tunnel-Flotte weisen einige Besonderheiten auf – zum Beispiel in den weiten Einstiegsbereichen, denn es sollen ja viele Fahrgäste befördert werden und bequem ein- und aussteigen können.
51 dieser modernen elektrischen S-Bahn-Züge benötigt die Bahn für das komplette Programm des Zugverkehrs durch den City-Tunnel. Die Bestellung wurde im Jahr 2009 ausgelöst. Eine frühere offizielle Information der DB vom Sommer 2012 lautete, ab März 2013 müssen die neuen Triebzüge kontinuierlich aus Hennigsdorf anrollen, um die Personale entsprechend zu schulen, Testfahrten mit Probanden starten und im Dezember 2013 voll loslegen zu können. Kinderkrankheiten dürfen dann nicht mehr auftreten. Zeit für eine eventuell erforderliche Heilung gibt es faktisch nicht. Das ist angesichts der knappen Termine ein außerordentlich anspruchsvolles Programm.
Artur Stempel, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn (DB) für den Freistaat Sachsen, räumte inzwischen im kleinen Kreis schon leise ein: “Notfalls können wir auch mit den roten ‘Talenten’ die Schulungsfahrten beginnen.” Dieser gedankliche Rückgriff auf die bereits ausgelieferten technischen Verwandten der S-Bahn-Züge klingt bereits arg nach vorauseilendem Kompromiss, ohne dass dieser Teil der City-Tunnel-Vorbereitung praktisch angelaufen ist. Ziemlich sicher ist es ein untrüglicher Vorgeschmack auf den außerordentlichen Termindruck im kommenden Dreivierteljahr.
Die künftigen S-Bahn-Nutzer wären wohl schon zufrieden, wenn sie auf einem der vielen neuen elektronischen Displays auf dem Leipziger Hauptbahnhof mal einen Blick auf ein Bild der kommenden S-Bahn-Züge werfen könnten. Denn nicht jeder kennt ja einen Eisenbahner, der irgendwo zwischen Berlin und Leipzig schon einen der versteckten Neulinge gesehen haben will …
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