Eigentlich wäre es längst notwendig, dass Kommunen beginnen, ihre Zukunft nachhaltig zu denken, zu planen und zu finanzieren. Das beginnt beim Verkehr, über den auch Leipzigs Stadtverwaltung gern redet. Doch wenn es drauf ankommt, sind die verantwortlichen Köpfe flugs vergesslich, spendieren 1 Million Euro für ein neues Parkhaus, ohne auch nur eine Vision für die Westvorstadt zu haben.
Die vier alten Vorstädte sind ein recht deutliches Beispiel dafür, wie wenig Stadtentwicklung in Leipzig nachhaltig gestaltet wird. Sie könnten – im Idealfall – die beliebtesten Wohnviertel rund um die City sein, Wohnviertel, die mit dem Umweltverbund reibungslos angebunden sind. Die LVB planen je genau deshalb neue Straßenbahnhaltestellen in diesem Vorstadt-Ring – am “Münzplatz” etwa und an der Windmühlenstraße.
Leipzig ist auch eine ideale Stadt fürs Radfahren. Das betont selbst die Verwaltung – und fragte auch deshalb in der “Bürgerumfrage 2011” wieder nach der Nutzung des Fahrrades. Und nicht nur danach. Denn man wählt das Verkehrsmittel ja auch nach dem Zustand des Fahrweges. Oder gar ihrer Existenz. Selbst an Straßenneubauprojekten wie der inneren Jahnallee hat man die Radwege einfach weggelassen. Ursprünglich – 2006 – um einen zweispurig fließenden Verkehr zu gewährleisten. Doch genauso klammheimlich wie etwa in der Karl-Liebknecht-Straße hat sich die äußere Fahrspur zum Parkstreifen entwickelt. Leipzigs Verkehrsprobleme entspringen oft genug diesen faulen Kompromissen. Und die Entwicklung eines homogenen Radwegenetzes bleibt Stückwerk.
Man jubelt zwar über die jährlichen guten Plätze beim “Stadtradeln”. Aber augenscheinlich radeln dennoch zu wenige Stadträte und Planer mit, damit sich das Denken ändert.
Das Fazit der Leipziger jedenfalls, befragt nach ihrer Beurteilung der Radfahrangebote in Leipzig, ist niederschmetternd. Mit der Qualität der Radverkehrsanlagen sind nur 28 Prozent zufrieden, mit dem vorhandenen Angebot nur 29 Prozent, mit den vorhandenen Abstellmöglichkeiten nur 29 Prozent. Etwa die Hälfte der Befragten findet das Angebot “teils / teils”. Mit Qualität und Angebot unzufrieden sind 17 bzw. 18 Prozent.Nicht gefragt wurde nach der empfundenen Sicherheit. Obwohl eine andere Frage aus dem Katalog zeigt, dass Sicherheit und vor allem der sichere Abstand zum motorisierten Verkehr für viele Radfahrer ein wichtiges Kriterium ist. 66 Prozent der Leipziger sagen deutlich, dass sie Straßen ohne spezielle Radwege nur ungern nutzen. 64 Prozent bevorzugen separierte, baulich von der Straße getrennte Radwege.
Fahrrad-Experten wissen zwar, dass diese Wege noch unsicherer sind als Radfahrstreifen, weil die Autofahrer die Radler nicht jederzeit im Blick haben. Doch Fakt ist in Leipzig auch, dass Radfahrstreifen oft und gern zugeparkt sind und viele Unfälle mit Radfahrern passieren, weil auch beim Aussteigen aus dem Auto nicht auf den nachfolgenden Radverkehr geachtet wird.
Deswegen nutzen nur 25 Prozent der Radfahrer solche Radfahrstreifen “am liebsten”. Wesentlich höher ist der Wert für separate Wege abseits der Straßen – 46 Prozent. Der Wert könnte durchaus noch höher sein – würden sich viele dieser Wege nicht in einem recht erbärmlichen Zustand befinden.
Diesmal hat die Stadt recht ausführlich abgefragt, wie zufrieden die Radfahrer mit den Radfahrbedingungen in den einzelnen Ortsteilen sind. Mit erstaunlich guten Werten für Grünau, Eutritzsch oder Lindenthal (Zufriedenheit über 50 Prozent) und erstaunlich schlechten Werten für fast alle Ortsteile rund um das Zentrum. Wie ein knallroter Ring werden diese Ortsteile in einer Karte auf Seite 95 sichtbar: Weniger als 20 Prozent der Bürger sind mit den Radfahrbedingungen in Gohlis-Mitte, Möckern, Leutzsch, Altlindenau, Neulindenau, Kleinzschocher und Schleußig zufrieden.
Da sind schon ein paar Namen von Ortsteilen gefallen, die in letzter Zeit mit ungelösten Verkehrsproblemen von sich Reden machten. Das Zentrum-Süd schließt sich an, wo die Stadt ein buntes Brimborium um ein Einheits- und Legodenkmal veranstaltet, die Vorstadtentwicklung aber eher bremst als gestaltet. Im Osten Leipzigs glänzen Anger-Crottendorf und Stötteritz, Holzhausen und Mockau-Süd mit miesen Werten. Drumherum gruppieren sich Ortsteile, wo der Zufriedenheitsgrad mit den Radwegen zwischen 20 und 29 Prozent liegt (Gohlis-Süd, Lindenau, Südvorstadt …) und im Zentrum dominiert ein zartes Beige – hier liegen die Werte zwischen 30 und 39 Prozent.Am deutlichsten fehlen Radverkehrsanlagen in Leutzsch, Gohlis-Mitte, Mockau-Süd, Thekla, Mölkau und Kleinzschocher.
Und da die Stadt gern wissen wollte, wo sie vielleicht Feuerwehr spielen kann, hat sie auch nach dem Handlungsbedarf in den Ortsteilen gefragt. Und im Grunde tauchen fast alle der oben genannten Ortsteile hier wieder auf. Die Karte, die den Handlungsbedarf zeigt, sieht wie ein Flickenteppich aus.
Und dann kam noch eine ganz masochistische Frage. Danach nämlich, ob die Stadt in letzter Zeit genügend für den Radverkehr getan hätte. Da gab es tatsächlich ein burschikoses Grüppchen von 6 Prozent, das meinte: “viel zu viel”. 12 Prozent meinten “viel”, 26 Prozent fanden das Engagement “genau richtig”. 56 Prozent aber erklärten, es sei “wenig” und “viel zu wenig” passiert.
Einschränkung: Die Befragten durften bei dieser Frage ihr Unwissen zugeben und “nicht einschätzbar” ankreuzen. Das ist dann leider in der Tabelle nicht mit ausgewertet. Das können überzeugte Autofahrer sein oder einfach Leipziger, die sich bei globalen Aussagen lieber zurückhalten.
Die Einschätzung aber, dass die Stadt zu wenig getan habe, dominiert in allen Altersgruppen. Nur eine Gruppe fällt aus dem Rahmen: Schüler und Studenten sind mit den Radverkehrs-Maßnahmen der Stadt mit 73 Prozent noch unzufriedener als der Durchschnitt der Bevölkerung. Was möglicherweise die Frage beantwortet, warum 2011 ausgerechnet der Pkw-Anteil bei den Fahrten zur Ausbildungsstätte zugelegt hat. Die unbewältigten Verkehrsprobleme in Leipzig treffen im Fall des Radverkehrs zuallererst die jungen, in Ausbildung befindlichen Leipziger. Und augenscheinlich legen auch die sich lieber ein Auto zu, wenn das Radfahren im Leipziger Verkehr zu gefährlich wird.
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Nachhaltig ist das nicht. Aber ein schönes Beispiel dafür, wie das Verschieben von nachhaltigen Problemlösungen dazu führt, die schon vorhandenen Probleme (Thema “Parkdruck”) zu verschärfen. Da kann man sich dann wirklich mit breiter Brust hinstellen und davon reden, der “Parkdruck” im Umfeld der Gottschedstraße nehme zu, da brauche man ein weiteres Parkhaus.
Das Dumme ist nur: Derzeit machen Leute in Deutschland Politik, die zwar zehn Mal am Tag das Wort Nachhaltigkeit in den Mund nehmen, aber nicht einmal wissen, dass sie dafür was ändern müssen. Zuallererst in ihrer Bereitschaft, schnelle “Problemlösungen” einem langfristigen Planen vorzuziehen.
Nächstes Thema also: Ehrenamt – und die Folgen einer wahrlich dummen Arbeitsmarktpolitik. Morgen an dieser Stelle.
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