Seit dieser Woche hängen die Plakate im Leipziger Stadtbild: Rot und Blau. Mal ist es eine junge Familie, die das Wörtchen "Die" durchstreicht, mal ist es ein Rentnerpaar, mal ein forscher junger Mann. "Wahlfreiheit" steht da. Mancher denkt da zuerst an eine Krankenkasse, mancher an seine Bank oder einen neuen Handytarif. Aber diesmal macht's der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) auf die durchtriebene Art. ÖPNV im 21. Jahrhundert.

Da ist er eigentlich schon längst. Nur haben es Viele noch nicht mitbekommen. Und etliche unter den Vielen sind Politiker. Sie behandeln ein funktionierendes Netz aus Straßenbahnen, Bussen und Regionalzügen als eine Technologie aus dem vorletzten Jahrhundert, streichen die Gelder zusammen und reden auch noch von Wettbewerb.

Hinter der Plakataktion steckt der 1. August. Dann steigen im Verbundgebiet des MDV wieder die Tarife. Wie jedes Jahr, darf man sagen. Und noch stärker als in den Vorjahren. Bei einigen ABOs sogar um 4 bis 7 Prozent.

Am Mittwoch, 25. Juli, erklärte Steffen Lehmann, Geschäftsführer des MDV, warum das so ist – und warum er trotzdem hofft, dass die Fahrgastzahlen weiter steigen. Denn das tun sie seit 2001, seit Gründung des MDV, unaufhörlich. Und das, obwohl die Einwohnerzahl im MDV-Gebiet zurückgeht. Da kann Leipzig wachsen, so sehr es will. Aber ringsum in den ländlichen Räumen Westsachsens und der Region Halle sinkt die Bevölkerungszahl. Auch weiterhin. Besonders heftig bekam der öffentliche Verkehr in den letzten Jahren den Rückgang der Schülerzahlen zu spüren – der Schülerverkehr brach um 33 Prozent ein.

Damit sank auch ein Teil der Zuweisungen von Bund und Ländern. Aber dabei ließen es die öffentlichen Geldgeber nicht. Sie streichen seit Jahren ihre Zuschüsse zusammen. “Doch jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir das durch weitere Rationalisierungen in den Unternehmen nicht mehr auffangen können”, sagt Lehmann. So konnten die 23 im MDV verbundenen Verkehrsdienstleister in den letzten Jahren immerhin noch Einspareffekte von rund 65 Millionen Euro im eigenen Unternehmen erschließen. Lehmann: “Aber die Grenze der Belastbarkeit ist jetzt erreicht.”
Tatsächlich sind die Zuweisungen von Bund, Ländern und den Kommunen um über 60 Millionen Euro zurückgegangen. Dazu kam die ganz gewöhnliche Inflationsrate von 1,6 Prozent, die zum Beispiel bei Sprit, Fahrstrom und Materialbeschaffung zuschlägt. Allein sie hat den Aufwand der Unternehmen um 50 Millionen Euro erhöht. Die MDV-Unternehmen hatten also faktisch 115 Millionen Euro weniger zur Verfügung, konnten 65 Millionen Euro noch aus den eigenen Betriebsabläufen herausquetschen (manchmal auch auf Kosten von Arbeitsplätzen und Entlohnungshöhen) – der Rest – satte 50 Millionen Euro – musste auf die Tarife umgelegt werden.

Und Lehmann ist froh, dass das keine Fahrgäste gekostet hat. Im Gegenteil. Die Fahrgastzahl ist von 133 auf 173 Millionen gestiegen. Der ÖPNV im Gebiet von Halle und Leipzig ist also durchaus attraktiv – so lange er fährt. Aber genau das ist in Gefahr.

Die LVB, größtes Mitgliedsunternehmen im MDV, hält sich mit ihrer Kritik an dieser Stelle in der Regel zurück. Nur dann und wann nimmt auch der Leipziger wahr, dass man bei der Erneuerung der Gleistrassen, des Wagenparks, der Werkstätten um Jahre hinterher hinkt.

Der ÖPNV hat eigentlich dasselbe Problem wie der motorisierte Individualverkehr: Er funktioniert nicht ohne öffentliche Investitionen. Nur zahlt den Bau und Neubau von Straßen scheinbar immer eine anonyme öffentliche Hand. Wenn aber im ÖPNV gekauft und gebaut wird, sind die beauftragten Unternehmen in der Pflicht. Aber es ist ein Witz, in Leipzig ein ÖPNV-Unternehmen mit 45 Millionen Euro zu bezuschussen und zu erwarten, davon könne der Betrieb instand gehalten werden. Für jeden Gleisabschnitt, jeden neuen Bus, jede neue Straßenbahn brauchen die LVB finanzielle Unterstützung.
“Aber gerade in Sachsen sind diese Zuwendungen aus Landesmitteln drastisch gekürzt worden”, kritisiert Lehmann. Und rechnet vor: Bei rund 800 Bussen im MDV-Verbund müssten nach neun, zehn Jahren Laufzeit jedes Jahr um die 80 Busse ersetzt werden. Kostenpunkt: 20 Millionen Euro. “Als wir anfingen, mussten die Unternehmen 6 Millionen Euro selbst beisteuern”, rechnet Lehmann vor. “Heute sind wir bei 18 Millionen.”

Was zum Beispiel für die LVB bedeutet, dass teilweise Busse mit 15 Jahren Betriebszeit unterwegs sind. Der Passagier kann es riechen, hören und sehen, auch wenn die Fahrzeuge noch immer betriebssicher sind. Oder besser: betriebssicher gehalten werden. Allein der Reparaturaufwand für diese alten Dinger hat sich in den LVB-Werkstätten auf rund 750.000 Euro zusätzlich erhöht. Davon könnte man – wenn man weiterrechnet – fünf neue Busse kaufen.

Mit den forschen Plakaten am Straßenrand meldet sich also auch ein Verkehrssystem zu Wort, das für die nachhaltige Zukunft der Region dringend gebraucht wird – aber schon jetzt unter den visionslosen Kürzungen auf der politischen Ebene leidet.

Die Tarifsteigerungen, die am 1. August gültig werden, dienen also auch dazu, die entstandenen Finanzierungslücken zu schließen. Über 3 Millionen Euro sollen sie einspielen. Und das nicht nur auf Kosten der treuen 90.000 Abonnenten. Die haben in den letzten Tagen allesamt ein Informationsschreiben ihres ÖPNV-Unternehmens bekommen, mit dem ihm auch die neuen Abo-Angebote vorgestellt wurden.

“Wir setzen mit den neuen Tarifen auf mehr Individualität”, sagt Lehmann. Das beginnt damit, dass Monatskarten – wie auch von Leipziger Parlamentariern immer wieder gefordert – flexibler werden: Sie gelten künftig ab dem ersten Tag ihres Kaufes einen vollen Monat lang.

Auch wenn das gewöhnliche ABO Basis teurer wird, gibt es trotzdem ein paar Verbesserungen: Man kann jetzt wochentags schon ab 17 Uhr (bislang 19 Uhr) einen Erwachsenen und drei Kinder mitnehmen auf die Karte. Neu ist das ABO Premium, das 6 Euro im Monat mehr kostet – aber dem Inhaber (und seinen Begleitern) am Wochenende das Befahren des kompletten Verbundgebietes ermöglicht. Von Querfurt bis Oschatz, von Delitzsch bis Schmölln.

Damit setzt der MDV seine Strategie fort, das Verbundgebiet gerade für Freizeitaktivitäten zu öffnen. Denn Busse und Bahnen in den Landkreisen haben gerade an den Wochenenden noch “freie Kapazitäten”. Und was es da alles zu besuchen und zu entdecken gibt, darüber hat die L-IZ schon mehrfach geschrieben. An den Ticket-Verkaufsstellen gibt es die kleinen Faltblätter mit dem “Verbundplan”, wo man alle Strecken und Tarifgebiete sieht. Wer sich gleichzeitig noch eindeckt mit den einschlägigen Städteführern, der kann hier mehr entdecken, als auf Mallorca. Um nur ein Beispiel zu nennen.

Und ein ganzes neues Segment ist speziell für die zunehmende Zahl von Senioren gestrickt worden. Viele von ihnen haben bislang eher die preisvergünstigten ABO-Angebote genommen. Ihnen wird jetzt ein ABO Senior angeboten, das sich mit 49,90 Euro nur auf den ersten Blick teuer anschaut. Denn während die üblichen ABOs in Leipzig allein so teuer sind, gilt dieses Senior-ABO fürs ganze MDV-Gebiet. Die rüstigen älteren Herrschaften können mit dem ABO also jederzeit zwischen Mügeln und Bad Bibra, Zeitz und Bad Düben unterwegs sein. Und zu diesem ABO kann noch die ABO Senior Partnerkarte für 29,90 Euro erworben werden. Dafür kann der Partner bzw. die Partnerin mitgenommen werden. Die Mitnahmemöglichkeit von drei Enkeln und einem Hund ist auch mit dabei.

Auf den ersten Blick scheint das neue Tarifsystem also deutlich komplexer. Was auch auf die Gruppenkarten zutrifft – die gab es bislang grundsätzlich für Gruppen bis zu fünf Personen zu einem Preis. “Aber unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass mit der Gruppenkarte meist nur zwei bis drei Personen unterwegs sind”, so Lehmann. Die Gruppenkarte wird jetzt genau nach Personenzahl verkauft und wird damit für Zweier- und Dreiergruppen preiswerter.

Es gibt jetzt auch offiziell ein ABO Light, das Neueinsteiger animieren soll, das Dauerfahren auf Bus und Bahn auszuprobieren. Augenscheinlich kommen einige der neuen ABO-Tarife den Wünschen der ÖPNV-Kunden recht nahe. “Wir haben das ja nicht einfach gemacht, weil wir unbedingt die Tarife erhöhen wollten”, sagt Lehmann. “Wir haben dazu im Vorfeld 4.500 Fahrgäste im gesamten Verbundgebiet befragt.” Ob es dieselben sind, die schon vor Start des neuen Tarifsystems die Art ihres ABOs gewechselt haben, wird man natürlich nicht erfahren.

“Aber der Wechsel ist natürlich von uns gewollt”, sagt Lehmann. “Denn wir wollen die Fahrgäste mit den passenden ABOs ja langfristig an uns binden.”

Was wahrscheinlich den Meisten, die sich mit Wechselgedanken tragen, nicht ersparen wird, sich jetzt mit dem ganzen komplexen Tarifsystem erst einmal gründlich zu befassen und das günstigste ABO für sich zu finden.

Weitere Informationen:
www.mdv.de
Die neue Fahrpreistabelle als PDF zum download.

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