Der Fachkräftebedarf der sächsischen Wirtschaft bewegt sich noch immer auf einem hohen Niveau, auch wenn der Anteil offener Stellen etwas rückläufig ist: So ein zentraler Befund des aktuellen Fachkräftemonitorings, das die sächsischen HWKs und IHKs im Frühjahr 2024 gemeinsam durchgeführt haben. Ein spannender Punkt: Erstmals spielt auch der Einfluss Künstlicher Intelligenz eine Rolle in der Befragung sächsischer Unternehmen.

Viele Auftragsanfragen, doch zugleich Ruhestands-Eintritte, Nachwuchsmangel und massive Bürokratie bei der Anwerbung ausländischer Kollegen: Es ist eine ungünstige Gemengelage, die weiter dafür sorgt, dass Sachsens Wirtschaft mit einem ausgeprägten Fachkräftemangel zu kämpfen hat. Zu diesem Ergebnis kommen die sächsischen Handwerkskammern (HWKs) sowie Industrie- und Handelskammern (IHKs) in ihrer traditionellen Befragung von Unternehmen im Freistaat, die sie gemeinsam seit 2001 durchführen.

1.010 davon mit etwa 56.000 Beschäftigten waren am diesjährigen Monitoring beteiligt, das im April und Mai 2024 zum inzwischen zehnten Mal stattfand, teilten die HWKs und IHKs am Montag, dem 30. September, mit.

Trotz Konjunkturtrübung: Baugewerbe, Handwerk und Gastronomie suchen händeringend Personal

Von den Befragten weisen 57 Prozent insgesamt 3.226 offene Stellen aus. Diese Zahl ist gegenüber 2022 (60 Prozent) leicht gesunken. Damals kamen auf 1.000 Beschäftigte 64 unbesetzte Posten – ein Rekordwert, der jetzt bei 58 liegt. Während das Verhältnis in Handel und Industrie noch besser aussieht, so die HWKs und IHKs, sind es vor allem Baugewerbe, Handwerk und Gastronomie, die händeringend nach personeller Verstärkung suchen.

Aus der aktuellen Eintrübung konjunktureller Aussichten lässt sich derzeit eher kein Schluss ableiten, wonach der Arbeits- und Fachkräftebedarf generell zurückgeht.

Besonders gefragt sind Facharbeiter und Gesellen, diese fehlen speziell in der Industrie. Fast die Hälfte aller offenen Stellen entfällt branchenübergreifend auf diese zwei Gruppen. Bei 1.449 Stellen sind die Unternehmen schon länger als sechs Monate auf der Suche nach einer geeigneten Neubesetzung, das entspricht 45 Prozent unbesetzter Arbeitsplätze. Der Wert weist einen Rückwärtstrend aus (2022 betrug er 53 Prozent, 2018 51 Prozent).

Und: „Die Suche nach Technikern und Meistern sowie nach Hochschulabsolventen und Akademikern dauert am längsten, wobei im Betriebsgrößenvergleich deutlich wird, dass insbesondere Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern die größten Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung haben.“

Altersabgänge, Personalwechsel, Flaute beim Nachwuchs

Das Hauptmotiv für die Personalsuche ist klar: Bei 57 Prozent erklärt es sich durch Altersabgänge der Beschäftigten, wobei die Quote hier sprunghaft nach oben geschnellt ist (2022: 45 Prozent, 2018: 43 Prozent). Dicht auf diese Ursache folgt der Personalwechsel zu anderen Arbeitgebern mit 56 Prozent (2022: 57 Prozent, 2018: 54 Prozent). Zugleich geben 65 Prozent der Unternehmen an, aufgrund von Mehraufträgen und Neukunden – eigentlich eine erfreuliche Tendenz – mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu benötigen.

69 Prozent der Betriebe müssen aber konstatieren, dass ihr Bewerberpostfach in der Firma schlichtweg leer bleibt und Neueinstellungen deswegen scheitern. Eine ernüchternde Zahl, die nicht davon besser wird, dass sie 2022 noch mit 79 Prozent bemessen wurde. Besonders trifft die Flaute auf dem Bewerbermarkt das Handwerk (80 Prozent), hier (35 Prozent) sowie in der Industrie (34 Prozent) werden auch Ausbildungsstellen nicht oder nur unzureichend besetzt.

Die Folge: Überstunden des vorhandenen Personals (73 Prozent), was die Laune erfahrungsgemäß nicht gerade anhebt. Dennoch ist fast die Hälfte aller Betriebe zur Ablehnung von Neuaufträgen und Projekten gezwungen, weil schlicht die Leute fehlen, vornehmlich in Handwerk und Baugewerbe.

Social Benefits und hoher Anteil ausländischen Personals

Dass die befragten Unternehmen zu wenig für ihre Beschäftigten tun, kann man ihnen meist nicht vorwerfen: Nahezu alle haben längst Benefits zur Mitarbeiterbindung in ihrer Firmenphilosophie. Dazu gehören gemeinsame Freizeitaktivität, regelmäßige Lohn- und Gehaltserhöhungen und Prämien.

Bei Zuschüssen für die Kinderbetreuung sowie der Kostenübernahme für Fortbildungen und Arbeitsmitteln ist die Bedeutung stark gegenüber 2022 und 2018 gestiegen. 76 Prozent bieten auch flexible Arbeitszeit und Teilzeitmodelle an. Das Prinzip einer vier-Tage-Woche hat aber noch einen untergeordneten Rang (8 Prozent).

42 Prozent der Befragten beschäftigen auch ausländisches Personal, ein deutlicher Trend (2022: 35 Prozent, 2018: 25 Prozent). Das Gros dieser Menschen kommt aus EU-Ländern (77 Prozent), der Rest aus Drittstaaten. Anders bei den Azubis, wo 51 Prozent aus Drittländern eingewandert sind. Bei den Einstellungshemmnissen für ausländische Fachkräfte belegt die Bürokratie den zweiten Rang, auf Platz eins liegen immer noch Sprachprobleme (83 Prozent, ein Plus von 6 Prozent gegenüber 2022).

Immerhin knapp ein Viertel der Betriebe aus dem Monitoring plant innerhalb der nächsten zwölf Monate die erstmalige oder weitere Einstellung von Ausländern.

KI ist die große Unbekannte

Auf die 2024 erstmals gestellte Frage nach dem Einfluss Künstlicher Intelligenz (KI) auf den Fachkräftebedarf geben sich Sachsens Betriebe eher gelassen bis zurückhaltend: Zwei Drittel sehen momentan keinen veränderten Personaleinsatz durch die KI. Nur 6 Prozent erkennen im technologischen Umbruch ein Einsparpotenzial, 3 Prozent gehen für die Zukunft sogar von einem gesteigerten Bedarf an Arbeitskräften durch KI aus.

Zahlen, die gleichwohl mit Vorsicht zu genießen sind, denn es liegt auch ein gewichtiger Unsicherheitsfaktor bei dieser großen Frage: „Auffallend ist, dass viele Unternehmen die Auswirkungen von KI aufgrund der Komplexität der Technologie und der rasanten Entwicklung (noch) nicht einschätzen können.“

Praxisnahe Bildung, mehr Anreize und Internationalisierung

Klar dagegen ist: Es besteht Handlungsbedarf. Neben einer besseren Ausschöpfung des einheimischen Personalpools (höhere Erwerbsbeteiligung Älterer, optimierte Förderung und Betreuung Arbeitsuchender, Senkung der Teilzeitquote und bessere innerbetriebliche Weiterbildung) schlagen die HWKs und IHKs auch vor, die Berufsorientierung für junge Menschen an den Schulen zu steigern, etwa durch längere Praktikumszeiten und engere Kooperationen zwischen Bildungswesen und Wirtschaft.

Angemahnt wird zudem eine „wirtschaftsnahe und bedarfsgerechte“ Gestaltung von Studiengängen.

Dass auch Zuwanderung nötig ist, um das eklatante Personaldefizit wenigstens abzufedern, machen die HWKs und IHKs ebenfalls deutlich: „Modernes Standortmarketing, wettbewerbsfähige Gehälter, Steuern und Abgaben, weniger administrative Vorgaben und eine gelebte Willkommenskultur bilden die Grundlage für eine stärkere Internationalisierung der Belegschaften. Unterstützung bei Unterbringung, Integration, Spracherwerb und effiziente Beratungsstrukturen runden die Voraussetzungen dafür ab.“

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