Irgendwann sollte es eigentlich genug sein. Das, was die Medien im Grunde Tag für Tag als Konjunkturprophezeiung veröffentlichen, erweist sich jedes Mal nach wenigen Monaten als heiße Luft, Herumrechnerei im Dunkeln. Ganz so, als hätten die Wirtschaftsinstitute, die all diese so heiß begehrten „Prognosen“ veröffentlichen, keine Ahnung von Wirtschaft. Haben sie auch nicht. Woher denn?

Dazu ist Wirtschaft viel zu komplex, besteht aus Hunderttausenden Individuen, die zwar alle aufeinander reagieren und sich von „Prognosen“ nur zu gern erschrecken lassen. Aber wie sie dann handeln, das kann kein Computerprogramm vorhersagen. Schon gar keines von denen, die diese sogenannten Wirtschaftsinstitute heute verwenden, mit den scheinbar so smarten Rechenmodellen, die Wirtschaft auf Umsätze, Warenströme, Konsumzahlen und Auftragseingänge reduzieren.

Nur eins kommt nicht drin vor: der Mensch in seiner ganzen chaotischen, stimmungsgetriebenen Handlungsweise.

Bauchgefühl als harte Währung

Es sind nämlich nicht die Manager, deren Bauchgefühl für die Geschäftslage so eifrig abgefragt wird, die darüber entscheiden, ob die Wirtschaftskreisläufe in einem Land weiter funktionieren oder ins Stocken geraten.

Es sind die ganz normalen Leute draußen auf der Straße, mit ihren tausenden winzigen Kaufentscheidungen, ihrer Berufs- und Jobwahl, ihren Sparvorstellungen, Reise- und Luxuswünschen. Ja auch mit ihren politischen Haltungen, ihrem Klimabewusstsein oder ihrer Ist-mir-egal-Haltung. Ihrer miesen Morgenlaune und den Kopfschmerzen am Schreibtisch, wenn sie daran gehen, irgendetwas Nützliches, Überflüssiges, Schönes, Verrücktes oder völlig Sinnloses zu tun.

Und so entpuppt sich auch das Jahr 2022 als ein Jahr der falschen Prophezeiungen, stillschweigenden Korrekturen, fehlenden Einsichten und leider nicht geschlossenen Wirtschaftsinstituten. Irgendwer braucht die Wahrsagebuden ja noch. Und wenn es die konservative Politikerschar ist, die mit Stimmung aus der „Wirtschaft“ Stimmung in der Politik macht.

Denn das bleibt dann hängen bei Lesern und Zuschauern: Wie schlecht es die gerade Regierenden doch wohl machen, wenn das Land so fürchterlich in die Wirtschaftsflaute fährt. Schlechtreden ist eine Kunst aus Deutschland.

Und das Ergebnis?

Die ganzen finsteren Voraussagen für Deutschland 2022 sind nicht eingetreten. Die Bundesrepublik schloss das Jahr 2022 mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) ab, das – preisbereinigt – 1,8 Prozent über dem des Jahres 2021 lag. Ohne Preisbereinigung waren es 7,4 Prozent. Da steckt dann noch die Inflation mit drin, die 2022 alle erlebt haben und die regelrecht zum Popanz aufgeblasen wurde.

Auch in Sachsen war das Ergebnis ein völlig anderes, als 2022 von den Wirtschaftsinstituten an die Wand gemalt. Der Freistaat schloss ebenso mit einem kleinen Wachstum im BIP ab – und zwar ebenfalls preisbereinigt, wie das Statistische Landesamt mitteilte.

„Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) erhöhte sich in Sachsen 2022 um 2,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (Deutschland +1,8 Prozent). Dieser Anstieg war nach Angaben des Statistischen Landesamtes noch höher als im Jahr 2021 (real +1,9 Prozent)“, staunte das Amt.

Was dann im weiter folgenden Text das schöne Wörtchen „trotz“ nach sich zieht. Denn wenn erst alle munkeln, wie schwer die jetzt prophezeite Rezession ausfallen muss, dann ist das Gegenteil natürlich völlig unerwartet.

Sächsisches BIP 2022 nach Wirtschaftsbereichen. Grafik: Freistaat Sachsen, Statistisches Landesamt
Das sächsische BIP 2022 nach Wirtschaftsbereichen. Grafik: Freistaat Sachsen, Statistisches Landesamt

Ist es zwar nicht. Es besagt nur, dass die simplen (man könnte auch sagen: unzureichenden) Algorithmen der Prognosecomputer und die Befragung der üblichen Geschäftsführer in den üblichen Betrieben schlicht keine verlässliche Methode sind, wirtschaftliche Entwicklungen vorauszusagen.

„Die wirtschaftliche Lage in Sachsen war 2022 geprägt von den Folgen des Krieges in der Ukraine, den Auswirkungen der Pandemie und massiv gestiegenen Preisen“, schreibt das Landesamt für Statistik und kommt dann zu „trotz“: „Trotz schwieriger Bedingungen konnte die sächsische Wirtschaft insgesamt gute Ergebnisse erzielen.“

Alte, monolithische Wirtschaftsvorstellungen

Man sieht, wie tief die Vorstellung von einer monolithischen Wirtschaft sitzt, die wie ein Tanker durch wild gewordene Wellen fährt.

Aber – das ist das Unberechenbare an „Wirtschaft“: Sie ist nicht monolithisch. Wo die einen kalte Füße kriegen und das große Jammern anfängt, machen andere einfach unbeirrt weiter, finden neue Bedürfnisse und Geschäftsfelder und machen kein Aufheben darum. Da kommt es dann drauf an, wer befragt wird. Und meistens werden immer dieselben befragt.

Sodass dann auch die leichtgläubigen Politiker glauben, es gehe immerzu nur um Kohle, Autos und Holzschnitzereien aus dem Erzgebirge.

Aber selbst Sachsens Wirtschaft ist diverser.

„Maßgebliche Beiträge zum Wachstum der Bruttowertschöpfung (BWS) kamen 2022 aus den Dienstleistungsbereichen“, schreibt das Landesamt für Statistik. „Hier verzeichnete der Bereich öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit real mit +4,5 Prozent den höchsten Anstieg. Mit einem Plus von 4,3 Prozent folgte der Bereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation und die BWS im Bereich Grundstücks- und Wohnungswesen, Finanz- und Unternehmensdienstleister stieg um 1,5 Prozent.“

Dienstleistungsland Sachsen

Sachsen wird – vorangetrieben durch seine Großstädte – immer mehr zum Dienstleistungsland.
Das produzierende Gewerbe bringt mit 30,4 Milliarden Euro Umsatz nur noch 22,9 Prozent am sächsischen BIP. Längst ist es von „Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit“ überholt worden, die mit 36 Milliarden Euro inzwischen 27,2 Prozent am BIP erwirtschaften.

„Innerhalb des produzierenden Gewerbes stand dem preisbereinigten Wachstum der BWS von 1,7 Prozent im verarbeitenden Gewerbe ein Rückgang im Baugewerbe um 1,9 Prozent gegenüber“, konstatiert das Landesamt.

Wobei eben steigende Preise auch erst einmal einen positiven Effekt auf das BIP haben: „Das BIP in jeweiligen Preisen betrug 2022 in Sachsen 146,5 Milliarden Euro und war damit 8,5 Prozent höher als 2021 (Deutschland +7,4 Prozent).“

Und das funktionierte, weil Sachsen eben zum Glück nicht nur fixiert ist auf das produzierende Gewerbe.

Wobei ein preisbereinigter BIP-Zuwachs von 7,4 Prozent seit 2015 nicht wirklich berauschend ist. Damit ist Sachsen nur Mittelfeld, knapp unterm Deutschlanddurchschnitt von 7,74 Prozent.

Das Bundesland, das sich seit Jahren am stärksten entwickelt, ist nicht zufällig eines, das vor allem von Dienstleistung geprägt ist: die Bundeshauptstadt Berlin, deren BIP seit 2015 um satte 23,6 Prozent anstieg. Denn das Wachstum der modernen Dienstleistungsbranchen konzentriert sich nun einmal auf die großen Städte.

Da kann man jetzt gespannt sein auf die neuesten BIP-Zahlen für Sachsens Landkreise und kreisfreie Städte. Da wird man dann nämlich eine ähnliche Entwicklung sehen.

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Lieber Herr Juhnke, ich mag Ihre Analysen schión immer….aber diese trifft soviele Nägel auf den Kopf…ich muss die mal zählen. Wenn doch nur unser LAdnesregierung, voran M.Kretschmer und Dulig das kapieren würden. Aber auch LR Graichen mit seiner Kreisregierung hecheln den falschen Narrativen nach. Danke für diesen Artikel, ich werde ihn an geeigneter Stelle verwenden

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