Die einen jubelten, die anderen fassten sich an den Kopf, als Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Freitag, dem 3. März, die neue Verkehrsprognose bis 2051 vorlegte. „Ich richte meine Verkehrspolitik an den tatsächlichen Begebenheiten aus, an Zahlen, Daten und Fakten und nicht an politischem Wunschdenken“, sagte Wissing. Und gerade für diese Worte bekam er deutliche Kritik. Nicht nur, weil Fortschreibungen keine Fakten sind. Bestenfalls Zahlen.

Die zentralen Behauptungen, welche die vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebene Fortschreibung hervorbrachte, benannte das Bundesverkehrsministerium so: „Bis 2051 wird der Verkehr überall in Deutschland zunehmen, besonders stark im Güterbereich. Im Vergleich zu 2019, dem letzten Jahr vor der Corona-Pandemie, steigt hier die Verkehrsleistung um die Hälfte – von 679 auf 990 Milliarden Tonnenkilometer. Der LKW bleibt dabei das dominierende Verkehrsmittel und nimmt an Bedeutung weiter zu (+54 Prozent Zuwachs auf der Straße).

Der Güterverkehr auf der Schiene legt um ein Drittel zu, während die Wasserstraße stagniert. Der Personenverkehr wird um 13 Prozent auf fast 1.400 Milliarden Personenkilometer in 2051 ansteigen. Bei den einzelnen Verkehrsträgern gibt es starke Zuwächse gibt es beim Bahn- und Luftverkehr von über 50 Prozent, auch der Radverkehr legt spürbar zu (+36 Prozent), während der Straßenverkehr nur geringfügig wächst. Dennoch bleiben Auto und Motorrad mit Abstand beliebtestes Fortbewegungsmittel der Deutschen. Mehr als zwei Drittel aller Wege werden damit zurückgelegt.“

Die Präsentation zur Verkehrsprognose bis 2051.

Es ist egal, ob man das, was der Bundesverkehrsminister da vorlegte, Prognose nennt oder Fortschreibung. Oder „Gleitende Langfrist-Verkehrsprognose“, wie es die beiden beauftragten Institute Intraplan Consult Gmbh (für den Personenverkehr) und Trimode Tansport Solutions (für den Güterverkehr) getan haben. Fortschreibung macht deutlicher, dass hier tatsächlich auf der Basis des letzten Vor-Corona-Jahres 2019 die Verkehrsentwicklungen über 30 Jahre fortgeschrieben wurden. Also unter der Prämisse: ESDX emntwickelt sich alles so weiter wie bis da hin. Es wird immer mehr gefahren, geflogen und transportiert. Und immer mehr Gütermengen werden durch die Welt geschafft, als ginge das mit dem unerhörten Ressourcenverbrauch der letzten Jahrzehnte immer so weiter.

Der Jubel aus dem FDP-Lager

Entsprechend groß war der Beifall aus dem FDP-Lager. Der sächsische Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst nahm die Zahlen einfach mal für bare Münze.

„Die Prognose des Verkehrsministeriums zeigt, dass bis 2051 mit einem deutlichen Anstieg des Transportaufkommens bei allen Verkehrsträgern, insbesondere aber auf den Straßen, zu rechnen ist“, sagte Herbst und freute sich gleich mal auf die neuen Pläne des Bundesverkehrsministers, neue Autobahnen zu bauen.

„Wir brauchen deshalb eine dringende Planungsbeschleunigung bei Straße und Schiene. Aus ideologischen Gründen den Straßenbau auszubremsen, kann keine Lösung sein. Über 70 Prozent aller Güter werden derzeit über die Straße transportiert. Die absolute Menge wird nach der Verkehrsprognose nicht sinken, sondern weiter steigen. Wir brauchen daher auch in Zukunft ein leistungsfähiges Straßennetz.“

Angenommene Entwicklungen bei den Leistungen im Güterverkehr bis 2051. Grafik: BMDV
Angenommene Entwicklungen bei den Leistungen im Güterverkehr bis 2051. Grafik: BMDV

Dass dahinter das Weltbild der heutigen FDP steckt, machte Herbst deutlich, wenn er sagte: „Als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt sind wir auf funktionierende Wasser-, Straßen- und Schienenwege angewiesen. Sie sind die Grundlage für unseren Wohlstand und den Fortschritt unseres Landes. Nur mit einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur werden Unternehmen hierzulande investieren und nur so kann die individuelle Mobilität in unserer Gesellschaft garantiert werden.

Bislang hat Deutschland den Ausbau und die Modernisierung seiner Verkehrsinfrastruktur jedoch über Jahrzehnte vernachlässigt. Klar ist: Wir müssen bei der Infrastruktur endlich den Turbo zünden und die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren für alle Verkehrsträger mindestens halbieren. Dazu müssen jetzt alle notwendigen Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden. Das ist der klare Auftrag aus dem Koalitionsvertrag.“

Forderungen aus der Güterverkehrs-Lobby

Umgehend meldete sich auch der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. aus Frankfurt am Main zu Wort: „Der Lkw muss noch mindestens bis zur Mitte des Jahrhunderts die Hauptlast des Güterverkehrs in Deutschland tragen. Darin bestätigt die BMDV-Prognose die Grundaussage früherer Studienergebnisse von Umweltbundesamt, Ökoinstitut und Agora Verkehrswende, auch wenn diese zu geringeren Lkw-Marktanteilen kamen. Die Lkw-Verkehrsleistung dürfte dabei von 2019 bis 2051 um 54 % zunehmen.“

Wobei man dort das Kleingedruckte genauer gelesen hat. Denn: „Eine Entlastung durch die Schiene ist dabei nur in begrenztem Maße zu erwarten, da u.a. Bahn-affine Massengüter wie Kohle in der Folge klimapolitischer Entscheidungen marginalisiert werden und der vom Konsumenten-/-innenverhalten getriebene Lkw-affine Onlinehandel weiterhin stark zunehmen wird.“

Das ist nämlich der Punkt in der Fortschreibung, der die Transportzahlen besonders extrem steigen lässt – „der vom Konsumenten-/-innenverhalten getriebene Lkw-affine Onlinehandel“. Die Transportleistungen mit leichten Nutzfahrzeugen sollen um satte 78 Prozent zunehmen. Und das in Städten, die sowieso schon unter Raumnot leiden.

Die angenommenen massiven Steigerungen bei Transportleistungen in der Prognose bis 2051. Grafik: BMDV
Die angenommenen massiven Steigerungen bei Transportleistungen in der Prognose bis 2051. Grafik: BMDV

„Diese Verkehrsprognose von Bundesminister Dr. Wissing muss die Bremser in der Bundesregierung endlich wachrütteln! Wir haben in Deutschland marode Brücken, einen akuten Fahrermangel und der Netzausbau für Ladeinfrastruktur liegt in weiter Ferne. Die Lösungen dieser Probleme liegen auf dem Tisch. Ihre Umsetzung muss jetzt mit Hochdruck angegangen werden!“, fordert BGL-Vorstandssprecher Prof. Dr. Dirk Engelhardt.

„Unsere Lkw fahren nicht nur so zum Spaß durch die Gegend, sie haben Güter zu transportieren, mit denen sie die tagtägliche Versorgung von Bevölkerung und Wirtschaft sicherstellen! Dabei werden wir auch in Zukunft das Hauptwachstumssegment im Güterbahntransport – den sog. Kombinierten Verkehr Straße/Schiene – in seiner Weiterentwicklung mit Nachdruck unterstützen.“

Die Frage an dieser Stelle dürfte freilich sein: Sollte das verfügbare Geld da nicht eigentlich in den Substanzerhalt fließen? Und in den Ausbau eines Verkehrssystems, das genau diese massive Steigerung des Lkw-Verkehrs überflüssig macht? Denn was wird sich denn an den Zahlen ändern, wenn weiter auf den Ausbau des alten Systems gesetzt wird? Und woher sollen die ganzen Fahrer kommen, wenn es heute schon einen akuten Fahrermangel gibt?

Deutliche Kritik vom VCD

Die von Volker Wissing vorgelegte Fortschreibung kommentiert Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher des ökologischen Verkehrsclubs VCD, dementsprechend mit den Worten: „Minister Wissing bastelt sich eine selbsterfüllende Prophezeiung: Steigende Zahlen aus der Verkehrsprognose dienen als Argument, vor allem die Straße weiter auszubauen. Und mit mehr Straßen sorgt er dafür, dass die Zahlen auch weiterhin steigen – was wiederum Bedarf an neuen Straßen nach sich zieht.“

Und das betrifft ja nicht nur den Güterverkehr. Die Studienersteller gehen auch davon aus, dass es bis 2051 nur marginale Zuwächse für Radverkehr und ÖPNV geben wird, für Flugreisen aber noch eine Steigerung um 2,3 Prozent. Als würde tatsächlich alles in der fatalen Entwicklung so weitergehen wie bisher.

Die Annahmen für den Modal Split im Personenverkehr 2051. Grafik: BMDV
Die Annahmen für den Modal Split im Personenverkehr 2051. Grafik: BMDV

„De facto sagt Wissing damit die Verkehrswende ab: Er ignoriert sämtliche Ziele, den Verkehr auf die Schiene zu verlagern, wie der Koalitionsvertrag sie vorsieht. Dabei kritisieren Verbände und Verkehrsexperten die Methodik der Verkehrsprognosen seit langem: Sie dienen lediglich dazu, Trends fortzuschreiben und die veraltete Auto-Fixierung zu zementieren“, sagt Michael Müller-Görnert.

„Den Autobahnausbau begründet Wissing vor allem mit den prognostizierten Zuwächsen im Lkw-Verkehr, der bis 2050 um 50 Prozent zunehmen soll. Er verkennt dabei, dass gleichzeitig der Pkw-Verkehr zurückgehen wird – und der hat zurzeit siebenmal mehr Fahrleistung auf Autobahnen als Lkw. Prognosen bilden nicht immer die tatsächliche Entwicklung ab. So ist der Zugverkehr – für Menschen wie für Güter – in den letzten Jahren wesentlich stärker gestiegen als vorhergesagt; der Anstieg bei Pkw und Lkw fiel dagegen geringer aus, als die Prognosen vermuteten.“

Immer mehr Konsum? Immer mehr Güter auf der Straße?

Und fragwürdig sind auch die Annahmen in der Fortschreibung, dass neben einem angenommenen Bevölkerungswachstum von über 5 Prozent auch der Konsum weiter wächst und damit durch das „Konsumverhalten“ der Menschen ausgelöste Gütervolumen, das über weite Distanzen transportiert werden muss.

Angefangen von 29 Prozent mehr Nahrungs- und Genussmittel, die transportiert werden müssen, bis zu 200 Prozent mehr Postsendungen. Also eine Fortsetzung des Konsum-Wahnsinns der Vergangenheit auch noch bis 2051. Was die Studienersteller dann gar noch mit einem rückläufigen Fußverkehrsanteil assoziierten, weil die Leute ja zu Hause bleiben und sich alles liefern lassen.

Der Fehler steckt also schon in den Grundannahmen der Fortschreibung.

„Die neueste Prognose sollte Ansporn sein, den erwarteten Zuwachs bei den Lkw so weit wie möglich auf die Schiene zu verlagern – und dafür rasch die nötige Infrastruktur zu schaffen. Das Gleiche gilt für den Ausbau des Bus- und Bahn-Angebots. Das 49-Euro-Ticket, mit dem sich große Hoffnungen für mehr ÖPNV-Kunden verbinden, ist in der neuen Prognose noch gar nicht berücksichtigt“, stellt Michael Müller-Görnert fest.

Und: „Wenn die Bundesregierung ihre verkehrspolitischen Ziele aus dem Koalitionsvertrag einhalten will, muss sie jetzt die Weichen zugunsten der Schiene und des Umweltverbunds stellen. SPD und Grüne dürfen nicht weiter den rückwärtsgewandten Ideologien der FDP nachgeben und damit den Klimaschutz im Verkehr vollends beerdigen.“

Genau das erzählt diese Fortschreibung nämlich. Da steht eine Bundesregierung vor der Herausforderung, Klima-, Energie- und Mobilitätswende zu gestalten und das Land zukunftsfähig zu machen. Und ein Bundesverkehrsminister lässt sich eine Prognose erstellen, mit der alles munter so weiter geht wie bis 2019. Das kann so nicht funktionieren.

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