Viele Menschen haben ja ein Verhältnis zur Politik wie der Wirt im Märchen vom Tischleindeckdich zu diesem Zaubermöbel. Und manche Politiker denken genau so. Man müsste halt nur immer wieder denselben Zauberspruch aufsagen, dann deckt sich das Tischlein und die Kohle bleibt dem Märchenland Sachsen bis zum versprochenen Tag im Jahr 2038 erhalten. Aber der Kohlebergbau wird schon vorher unrentabel, mahnt Sachsens grüner Umweltminister Wolfram Günther.
Einmal mehr, muss man sagen. Denn fast jedes Mal, wenn er in der jüngeren Vergangenheit darauf hinwies, gab es insbesondere von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) einen knurrigen Hinweis auf den vereinbarten Kohleausstieg. Und dessen Ausstiegsdaten würden gelten, ohne Abstriche. An einen Kohleausstieg bis 2030 sei gar nicht zu denken.
Dabei blendet er jedes Mal aus, dass die EU mit der CO₂-Bepreisung auch ein eigenes Steuerungsinstrument geschaffen hat, das fossile Energiegewinnung nach und nach aus dem Markt drängen soll. Es funktioniert völlig unabhängig vom Verhandlungsergebnis der deutschen Kohlekommission, die den Wirkungsmechanismus der CO₂-Bepreisung ebenfalls völlig ignoriert hat.
Das dritte Mal bei 100 Euro
Und auch wenn das Instrument lange nicht griff, weil der Tonnenpreis für Kohlendioxid lange Zeit viel zu niedrig war, beginnt es seit 2022 zu greifen.
Im Februar 2022 kratzte der Tonnenpreis erstmals an der 100-Euro-Marke, nachdem die Tonne CO₂ noch 2019 bis 2021 im Durchschnitt nur 35 Euro gekostet hatte. Dann startete Putin am 24. Februar 2022 den Ukrainekrieg und der CO₂-Preis stürzte auf einmal wieder ab auf 60 Euro, was dann wieder all den Befürwortern der Kohle Aufwind gab, die nun begannen, die Kohlekraftwerke als Alternative zum russischen Erdgas anzupreisen.
Aber das Geschrei verdeckte nur die tatsächlichen Entwicklungen. Die sind etwas komplizierter. Aber nicht so kompliziert, dass aufgeweckte Menschen nicht zusehen konnten, wie die Angst vor dem Ausbleiben des – billigen – russischen Erdgases erst die Erdgaspreise in die Höhe schießen ließ – von 72 Euro je MWh im Juni 2022 auf 340 Euro im September. Das war der Höhepunkt der Hysterie – nicht nur, weil Länder wie Deutschland mit aller Macht ihre Speicher füllten.
Sondern auch, weil Börsen von Hysterie leben. Dann macht man nämlich mit künstlich in die Höhe getriebenen Preisen richtig Geld. Aber schon ab Oktober normalisierte sich die Lage. Der Erdgaspreis fiel auf 43 Euro je MWh. Das ist zwar immer noch etwas mehr als die langjährigen 26 Euro, aber es ist auch ein Zeichen dafür, dass auch ohne russisches Erdgas genug Erdgas auf dem Markt ist. Der Zeitpunkt, dass dieser Preisverfall auch wieder an die Endkunden abgegeben werden sollte, rückt näher.
Das Besondere im September 2022 aber war: Nicht nur Erdgas und Strom erreichten bis dahin unerreichte Spitzenwerte. Gleichzeitig hatte sich auch der CO₂-Preis wieder berappelt und erreichte zum zweiten Mal die 100-Euro-Marke. Die Unternehmen, die fossile Brennstoffe einsetzen, mussten also schon da kräftig in die Tasche langen.
Doch während Strom- und Erdgaspreise an den Börsen wieder deutlich billiger wurden – Strom kostet dort heute wieder genauso wenig wie vor Putins Angriff auf die Ukraine – hat der CO₂-Preis eine völlig andere Entwicklung genommen. Nachdem er zum Jahresende wieder leicht an Höhe verloren hatte, wurde die Tonne CO₂ am 21. Februar 2023 das dritte Mal in der Geschichte für 100 Euro je Tonne gehandelt. Und damit hat sich der CO₂-Preis völlig von der Preisentwicklung bei Strom und Erdgas abgekoppelt.
Kohle verliert ihre Wettbewerbsfähigkeit
Und gerade die Abkopplung beim Strompreis lässt aufmerken. Denn das bedeutet, dass der Strom aus fossilen Erzeugeranlagen bald nicht mehr konkurrenzfähig sein wird.
Und wie Sachsens Energie- und Klimaschutzminister Wolfram Günther das sieht, zeige der steigende Preis dieser CO₂-Verschmutzungsrechte, dass die jüngsten Nachschärfungen im europäischen Emissionshandel ihre Steuerungswirkung entfalten.
„Das ist ein starkes Signal für einen schnelleren Umbau des Energiesystems hin zur Treibhausgasneutralität“, mahnt Günther deshalb. Und natürlich gilt das dem von Kohle so begeisterten Koalitionspartner in Sachsen, der in der Vergangenheit den Ausbau von Windkraft in Sachsen immer wieder ausgebremst hat. Und Michael Kretschmers Beharren auf dem Kohlekompromiss erzählt eben nicht davon, dass er die Brisanz dieser Politik schon verstanden hätte.
„Nur erneuerbare Energien – und allen voran Wind und Sonne – können diesen Umbau kostengünstig und in der notwendigen Geschwindigkeit leisten“, erklärte Wolfram Günther am Donnerstag, dem 2. Februar. „Durch die Maßnahmen zur Sicherung der europäischen Gasversorgung ohne Abhängigkeit vom Aggressorstaat Russland steht der Future-Preis für Erdgas zur Lieferung im Jahr 2026 zugleich bei unter 35 Euro/MWh. Zusammen mit dem steigenden CO₂-Preis bedeutet das ein sehr schwieriges Marktumfeld für die besonders CO₂-intensive Braunkohle bereits in naher Zukunft. Für uns als Land heißt dies, dass wir alle denkbaren Beschleunigungsmaßnahmen sowohl für den Strukturwandel in den Kohlerevieren als auch für den Umbau unserer Energieversorgung umsetzen sollten.“
Eine schöne Übersicht über diese Entwicklungen findet man auf der Website der Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V. in München, die in eine Grafik auch anschaulich macht, wie die Strompreise an der Börse jeden Tag sichtbar fallen, wenn im Lauf des Vormittags Windkraftanlagen und Fotovoltaikanlagen ihre Leistung steigern und mehr Strom ins Netz geben.
Diese Darstellung soll jetzt wöchentlich aktualisiert werden. Denn hier zeichnet sich jetzt tatsächlich eine Wende an den Energiemärkten ab, wie die Forscher schreiben: „Die Invasion der Ukraine hat die Diskussion um eine Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energieträger angefacht und zudem eine neue Richtung gegeben. Die bisher vornehmlich ökologischen Gründe für einen Ausbau wurden dabei ergänzt um einerseits das politisch-strategische Argument, Abhängigkeiten von häufig nicht-demokratisch geführten Ländern zu vermeiden.
Zudem führte die starke Preissteigerung nicht nur auf den Gas-, sondern auch auf den Strommärkten zu einer neuen Bewertung der Kosten der Stromerzeugung. Die Produktion durch erneuerbare Energieträger mit stabilen Grenzkosten nahe null hat dabei einen entscheidenden Vorteil gegenüber fossilen Energieträgern, welche teils starken Preisschwankungen ausgesetzt sind, die zudem nur begrenzt vorhergesagt werden können.“
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“Doch während Strom- und Erdgaspreise an den Börsen wieder deutlich billiger wurden – Strom kostet dort heute wieder genauso wenig wie vor Putins Angriff auf die Ukraine”
Das stimmt so aber nicht.
Ist auch sehr schön auf der Homepage von ffe.de zu sehen.
Der Strom ist im Mittel etwa doppelt so teuer. Die oft durch die Presse gejagten kurzfristigen Tagespreise gibt es zwar, sind aber keine Basis für den langfristigen Einkauf, der Einfluss auf die Verbraucherpreise hat.