Krisen gehรถren zum Kapitalismus, denn wenn Regierungen nicht vorsorgend eingreifen und regulieren, dann reizen die sogenannten โ€žMรคrkteโ€œ ihre Spielrรคume so lange aus, bis das Ganze kollabiert, รผberreizt ist und versagt. So erlebt mit der Finanzkrise 2008, so mit der Klimakrise, so auch mit der aktuellen Energiepreiskrise. Die Frage ist nur, wie robust die Teile der Wirtschaft reagieren, die sich am groรŸen Zocken nicht beteiligt haben. Die gibt es nรคmlich auch noch.

Und die kommen in den Berechnungen der Wirtschaftsinstitute oft gar nicht vor. Auch dort sieht man fast nur auf die groรŸen Spieler, die ihre Art, Profite und Dividenden fรผr ihre Aktionรคre zu erwirtschaften, fรผr den MaรŸstab allen Wirtschaftens halten und massiven Druck auf die Regierungen ausรผben, Regulierungen zurรผckzubauen und Mรคrkte, wie es so schรถn heiรŸt, zu โ€žentfesselnโ€œ. Meist mit dem unhaltbaren Versprechen, genau das wรผrde den Wohlstand der Nationen befeuern.

Also malen sie nur zu gern auch dรผstere Bilder von der Zukunft. Denn den Ton bei der Interpretation wirtschaftlicher Entwicklungen geben die gut dotierten Lobbyvereinigungen der groรŸen Unternehmen an. Sie รผberschwemmen die (Wirtschafts-)Medien mit Alarmmeldungen und dรผsteren Prognosen und lรคuten nur zu gern die Feuerglocke.

Dรผstere Aussichten am Horizont?

Und so ganz frei machen kann sich von dieser Stimmungsmache auch das Institut fรผr Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle nicht.

โ€žDie hohen Energiepreise und die Verschlechterung des Finanzierungsumfelds belasten die deutsche Konjunkturโ€œ, formuliert es in seiner jรผngsten Konjunkturprognose. Schwรคcht aber gleich wieder ab: โ€žAllerdings dรผrfte die Schwรคchephase รผber den Winter moderat ausfallen, auch weil die Energiepreisbremsen die privaten Einkommen stรผtzen.โ€œ

Und so prognostiziert das Leibniz-Institut fรผr Wirtschaftsforschung Halle (IWH), dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2022 aufgrund der Erholung von der Pandemie in den ersten drei Quartalen um 1,8 % zugenommen habe, den Winter รผber aber leicht sinken und im Jahr 2023 insgesamt stagnieren dรผrfte (Ostdeutschland: 1,8 % und 0,2 %). Die Inflation gehe nach 7,8 % im Jahr 2022 auf 6,5 % im Jahr 2023 zurรผck.

Da steckt die alte Legende drin, ein Land wรผrde nur dann prosperieren, wenn es jedes Jahr neue Zuwรคchse im Bruttoinlandsprodukt (BIP) generiert. Was aber nun einmal direkt auf Kosten unserer Umwelt und des Klimas geht. Und einen Wohlstand befรถrdert, der letztlich nichts anderes ist als ein immer mehr forcierter Konsum mit wachsenden Mengen an Mรผll.

Also gibt es erst einmal ein dรผsteres Bild: โ€žDer Ausblick auf die internationale Konjunktur im Jahr 2023 ist verschattet: Ob Europa in diesem und im nรคchsten Winter ausreichend mit Energie versorgt sein wird, ist ungewiss. Sicher scheint dagegen, dass die Leitzinsen im Jahr 2023 vielerorts weiter steigen werden. Zudem wird der Pandemieausbruch in China zu Produktionsausfรคllen fรผhren.โ€œ

Fragezeichen bei den Lieferketten

Das alles sind aber Faktoren, die sich nicht berechnen lassen. Auch โ€žMรคrkteโ€œ passen sich an, Unternehmen รคndern ihre Lieferketten, bauen ihre Energieversorgung um, investieren in neue Geschรคftsfelder usw. Oder ein Land wie die Bundesrepublik stampft in Windeseile LNG-Terminals aus dem Boden, welche die russischen Gaslieferungen ersetzen.

Da wird Gas zwar trotzdem teuer bleiben โ€“ aber nun flieรŸen die Milliarden eben nicht mehr nach Russland, sondern nach Norwegen, Katar und in die USA. Vom Klima her betrachtet ist das trotzdem eine Katastrophe und die Frage steht, ob jetzt endlich der Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland richtig in Gang kommt. Den das IWH gar nicht als mรถglichen Faktor benannt hat.

Schon jetzt gibt es genug Anzeichen, dass die so dramatisch gezeichneten Szenarien gar nicht eintreffen, wie das IWH selbst formuliert: โ€žAllerdings scheinen die Anspannung der Lieferketten und die internationale Preisdynamik etwas nachzulassen. So ist der Preis fรผr Erdgas in Europa deutlich niedriger als im Spรคtsommer, ebenso wie die Weltmarktpreise fรผr Rohรถl, Mikrochips und die Frachtraten beim Seetransport. Auch ist die Inflation in den USA zuletzt etwas zurรผckgegangen. Infolgedessen sind die Zinserwartungen fรผr die USA etwas gesunken und die internationalen Aktienkurse wieder gestiegen. Das sind Signale dafรผr, dass es im Jahr 2023 statt zu einer weltwirtschaftlichen Rezession lediglich zu einem Abschwung kommt.โ€œ

รœberraschung, kรถnnte man sagen.

Trotzdem schiebt das IWH noch eine Portion Alarmstimmung hinterher, gleich mal mit Absender: โ€žZum Jahreswechsel sieht die deutsche Wirtschaft schwierigen Zeiten entgegen: Die Terms of Trade haben sich deutlich verschlechtert, der Energiepreisanstieg erhรถht die Lebenshaltungskosten, und die Finanzierungsbedingungen haben sich auch wegen der vorsichtigeren Kreditvergabe durch die Banken verschlechtert.โ€œ

Problem Exportรผberschuss

Die โ€žTerms of Tradeโ€œ sind eine doppelte Botschaft. Einerseits zeichnen sie das Verhรคltnis von Export- und Importpreisen zueinander โ€“ also auch die schon lange heiรŸ diskutierte Frage, ob der groรŸe Exportรผberschuss der Bundesrepublik รผberhaupt gesund ist und nicht in Wirklichkeit davon erzรคhlt, wie sehr Deutschland auf Kosten anderer Lรคnder lebt.

Und der zweite Aspekt ist: Gehandelt wird an den Bรถrsen, wo selbst die wichtigsten Rohstoffe und Nahrungsmittel den profitorientierten Interessen von Investoren, Aktienfonds und Hรคndlern unterliegen, fรผr die gerade die Knappheit wichtiger Gรผter Anlass fรผr hohe Gewinnerwartungen ist. Aktuell erlebt mit den vรถllig รผberhรถhten Energiepreisen.

Aber selbst dieser Alarmismus zeigt ganz und gar nicht die Wirkung auf die deutsche Wirtschaft, die in Schlagzeilen meist ausgemalt wird.

โ€žDie deutsche Konjunktur zeigt sich jedoch bislang recht robust, und die Produktion hat im Zuge der Erholung von der Pandemie bis in den Herbst hinein expandiertโ€œ, sagt selbst Oliver Holtemรถller, Leiter der Abteilung Makroรถkonomik und Vizeprรคsident des IWH.

Im Winter, wenn der Energiepreisanstieg sein Maximum erreicht, wรผrden die Realeinkommen zwar deutlich sinken, weil alle fรผr Strom und Gas mehr Geld hinblรคttern mรผssen, allerdings wird die Subventionierung von Energie durch die Gas- und Strompreisbremsen den Rรผckgang von Realeinkommen und privatem Konsum dรคmpfen.

Entspannung im Frรผhjahr?

Ab dem Frรผhjahr โ€“ so das IWH โ€“ dรผrfte eine weitere Entspannung der internationalen Lieferketten und eine Belebung der Weltkonjunktur die Konjunktur stรผtzen. Impulse kรคmen auch vom hohen Modernisierungsdruck auf die deutsche Wirtschaft. Das betreffe etwa die energetische Sanierung von Gebรคuden als eine Anpassung an verรคnderte Kostenstrukturen. Ein begrenzender Faktor dรผrften in vielen Fรคllen hier freilich die ausgelasteten Kapazitรคten sein.

So sind jene Unternehmen, die Wรคrmepumpen und Solaranlagen installieren, auf Monate, wenn nicht Jahre hin ausgebucht. Denn jetzt, wo fossile Energie tatsรคchlich teurer wird, merken immer mehr Bรผrger, dass man tatsรคchlich nur mit erneuerbarer Energie unabhรคngig wird von den Kapriolen entfesselter Mรคrkte.

Aber das IWH geht auch darauf ein, dass der deutsche Exportรผberschuss eben zugleich einen HinkefuรŸ hat.

โ€žDeutschland als exportorientierte Volkswirtschaft ist von weltwirtschaftlichen Risiken besonders stark betroffen. Ein solcher Risikofaktor ist der aktuelle Pandemieausbruch in China. Welche Konsequenzen die Lockerung der EindรคmmungsmaรŸnahmen fรผr die weltweiten Lieferketten haben wird, hรคngt wesentlich davon ab, wie das Gesundheitssystem Chinas eine landesweite Ausbreitung der Pandemie bewรคltigen kann.โ€œ

Gefรคhrliche Abhรคngigkeiten

Indem Deutschland einen GroรŸteil seiner Konsumgรผterproduktion nach China ausgelagert hat, hat es zwar erst einmal im Inland die Kosten gesenkt, das Land aber extrem abhรคngig gemacht โ€“ und das nicht nur bei Gรผtern wie Solaranlagen und Smartphones.

Es gebe aber auch, so Holtemรถller, ein von der deutschen Politik zu verantwortendes Risiko: โ€žDie Gas- und Strompreisbremse dรผrfte den Konjunktureinbruch im Winter zwar abfedern, sie erhรถht aber auch das Risiko, dass die Inflationsrate von den hohen schuldenfinanzierten staatlichen Transfers weiter angeheizt wird.โ€œ

Womit dann wieder ein Mรคrchen der modernen ร–konomie erzรคhlt wird, das Sozialtransfers geradezu als โ€žverlorene Gelderโ€œ behandelt, als wenn die Haushalte, die diese Transfers erhalten, dieses Geld irgendwo verschwinden lieรŸen. Und eben nicht durch ihren Konsum (und ihre Energierechnungen) sofort wieder einspeisen wรผrden in den Kreislauf aus Produktion und Konsumtion. Gerade deshalb, weil sie dazu gezwungen sind โ€“ anders als die Haushalte, die ihr Geld in Aktien oder Immobilien โ€žanlegenโ€œ.

Was liest man also aus der Prognose? Dass die Welt wohl weiterhin unberechenbar bleibt und die Flexibilitรคt selbst aller Marktteilnehmer niemals vollstรคndig zu erfassen ist.

Und da die Konsumenten aller Art gar nicht vorkommen in der Rechnung (nur bedingt รผber Tariflรถhne und Effektivlรถhne), ist vรถllig offen, wie robust sich die Wirtschaft 2023 tatsรคchlich entwickelt. Denn am Ende sind es die simplen Konsumwรผnsche der Menschen, die darรผber entscheiden, ob der Laden lรคuft.

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