Die Stadt Leipzig und der Branchenverband biosaxony e. V. fungierten als Gastgeber für eine der größten Life Science-Partneringveranstaltungen Europas, welche vom 24. bis 26. Oktober 2022 in Leipzig mit mehr als 5.000 Besucher aus 66 Ländern stattfand. Für Thomas Köhler war es Anlass, mit André Hofmann, CEO von biosaxony, einmal über die Rolle der Leipziger biocity und das Wachstum des Branchenverband für Biotechnologie in Sachsen zu sprechen.
Am 24. September 2021 war ich mit der Fraktion Freibeuter schon einmal bei André Hofmann von biocity zu einem Gespräch. Etwas über ein Jahr später wollte ich wissen, wie der Stand der Dinge ist. Wir haben uns also am 24. November 2022 getroffen. André Hofmann ist CEO von biocity und Geschäftsführer der biosaxony.
Herr Hofmann, Biocity und Biosaxony, die wenigsten kennen es. Meine ganz banale Vermutung: Biocity ist einer der Ort, an dem das Projekt Biosaxony stattfindet.
Was ist biosaxony? Wir sind der sächsische Branchenverband für Biotechnologie, Medizintechnik und Gesundheitswirtschaft. Das heißt bei uns sammeln sich die Unternehmen, die in diesem Bereich Produkte entwickeln, zum Teil auch Produkte vertreiben, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite arbeiten wir auch sehr eng mit Kliniken, insbesondere hier im Leipziger Raum, zusammen.
Diese sind wiederum für die Unternehmen, die wir begleiten, die Anwender und Abnehmer. Wir sind aktuell ein Verein mit etwa 140 Mitgliedern. Die biocity wiederum ist ein Gebäude, ein sogenanntes Innovationszentrum, in dem sich aktuell ungefähr 35 Unternehmen aus diesem Bereich als Mieter befinden.
Was macht die biosaxony?
Die Unternehmen, die in diesem Bereich unterwegs sind, sind im Gegensatz zu anderen Branchen durch viel mehr Erfordernisse des Marktes herausgefordert. Da geht es um Finanzierung, Zulassung, Zertifizierung und viele andere Punkte. Unsere Aufgabe als biosaxony, hier in der Biocity, ist es den Unternehmen dabei zu helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen.
Die Anfragen, die wir bekommen, sind wahnsinnig heterogen. Das reicht von „Ich brauche 5 Milliliter Pferdeblut für einen Test, weil ich gerade ein Veterinärdiagnostika entwickle“, bis „Ich brauche 2,5 Mio. € für mein Unternehmen, zur Finanzierung der nächsten Entwicklungsschritte“. In dieser Spannbreite sind wir unterwegs, was soll ich sagen – Pferdeblut geht leider einfacher.
Wenn man sich aus frei zugänglichen Quellen informiert, dann geht es um Lifescience und Healthscience, also Bio- und Gesundheitswissenschaften. Sie sind studierter Biotechnologe, also ein Insider. Was kann sich der Laie unter den Begriffen vorstellen?
Wir hatten durch die Corona-Situation ja alle einen direkten Bezug dazu, jeder hatte ja seinen persönlichen Lieblingsvirologen. Nehmen wir diese Corona-Tests, die sind ja etwas, was nicht nur in aller Munde, sondern auch in aller Nasen war. Solche Tests basieren letztendlich auf biotechnologischen Prinzipien. Da gibt es einen Erkennungsmechanismus der das Virus, kann auch ein Bakterium sein, identifiziert und sichtbar macht.
Was dahinterliegt, sind biotechnologische Prozesse. Beim Antigen-Test ist das ein anderes Prinzip als beim PCR-Test. PCR, also Polymerase Kettenreaktion, ist ein Grundwerkzeug in der Biotechnologie. Die Unternehmen, die das entwickeln, sind alle Biotech-Unternehmen.
Ein großer Anteil der Pharmazeutika, die wir verschrieben bekommen, kommt aus biotechnologischen Prozessen heraus, die sogenannten Biopharmazeutika. Wir haben hier auf dem Campus einige Unternehmen, wie Colon, die Knorpelersatz züchten. Gerade bei Sportverletzungen oder auch Krankheiten, kann es passieren, dass sich der Knorpel z. B. im Knie abnutzt und dadurch Defekte entstehen.
Die Technologie kann dazu führen, dass der Knorpel geheilt wird. Das passiert dann im Krankenhaus. In der Regel hat der Nutzer keinen direkten Kontakt zu den Unternehmen, die das entwickeln, sondern das geht über eine Klinik oder Apotheke.
Nun kennt ja jeder das Problem, man hört, dass in Amerika ein neues Medikament entwickelt wurde und dann gibt es einen ewigen Zulassungsprozess. Wenn ich es richtig gelesen habe, beschäftigt sich biosaxony stark damit, Unternehmen bei diesen Prozessen zu begleiten und zu unterstützen.
Das ist tatsächlich im Moment eine unserer Hauptaktivitäten. Das ist wirklich die Herausforderung, von der ich sprach, vor der die Unternehmen stehen. Es ist nicht damit getan ein neues Produkt zu entwickeln, man muss es zulassen und zertifizieren für den deutschen bzw. europäischen Gesundheitsmarkt.
Das sind die sogenannten „medical device regulation“, bei Arzneimitteln gibt es extra Vorschriften. Selbst wenn man das geschafft hat, heißt das nicht, dass man es hier verkaufen kann, da muss man ja mit den Krankenkassen irgendwie ins Benehmen kommen, ein Erstattungsszenario entwickeln, entweder über Synergieverträge oder man kommt in die Regelerstattung.
Das ist die nächste Hürde. Selbst wenn man das gelöst hat, heißt das immer noch nicht, dass man es verkaufen kann. Man muss das Produkt auch noch in das Gesundheitswesen, als Markt, einbringen.
Genau bei den Problemen versuchen wir zu helfen, explizit bei der Regulatorik. Die „medical device regulation“ ist vor einiger Zeit neu aufgelegt worden und viele, gerade die kleineren, Medizintechnikunternehmen sind davon extrem herausgefordert, weil es ein komplett neues Regelwerk ist.
Keiner hat damit Erfahrung, keiner weiß damit umzugehen – alles muss neu gemacht werden. Gerade die kleineren Unternehmen haben daneben natürlich noch viele Themen, die sie nebenbei noch abfrühstücken müssen.
Das klingt ziemlich komplex, wie muss man sich das vorstellen?
Wir sind so herangegangen, dass wir gesagt haben: „Bestimmte Aufgaben, die jedes Unternehmen einzeln zu erfüllen hätte, bündeln wir bei Biosaxony, ihr könnt uns als Partner unter Vertrag nehmen.“ Wir bauen das Qualitätsmanagementsystem auf, passen das an und pflegen das. Wenn das funktioniert, können wir über weitere Funktionen reden, die wir übernehmen, um die Unternehmen zu entlasten um das Knowhow bei uns zu bündeln, wovon dann wieder alle profitieren.
Sie hatten, vor dem Gespräch, darauf hingewiesen, dass wir in den Räumen der medicalforge sitzen. Welche Rolle spielt diese „Schmiede“ dabei?
Die Medicalforge ist ein acellerator-Programm [Beschleuniger], von denen gibt es in Leipzig noch einige andere wie das spinlab, mit denen wir auch gern und gut zusammen arbeiten. Das spinlab fokussiert sich besonders auf Finanzierungsthemen, wir sind im Bereich regulatorische Anforderungen, Erstattungsfragen und Implementierung im Gesundheitswesen.
Es sind immer wieder Unternehmen mit diesen Fragen auf uns zugekommen, man kann das individuell bearbeiten, oder man baut eine Plattform. Wir haben uns für letzteres entschieden. Das Interessante daran ist, dass wir aktuell acht Teilnehmer im Programm haben, davon vier aus Deutschland, der Rest kommt aus Estland, Polen, USA und Taiwan.
Diese nutzen unser Programm um in den Deutschen Gesundheitsmarkt einzutreten. Das Schöne daran ist, dass wir daraus schon zwei Ansiedlungen realisiert haben. Das polnische und das taiwanesische Unternehmen bauen gerade Tochterunternehmen in Leipzig auf.
Gegebenenfalls kommen über die nächsten Jahre noch weitere Ansiedlungen dazu, das Programm hat ja gerade erst begonnen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir deutlichen Zuwachs in den Unternehmenszahlen sehen werden.
Ich verstehe das richtig? Sie ermöglichen Biotech-Start Ups, dass sie sich auf ihre wissenschaftliche Arbeit konzentrieren können, indem sie ihnen das regulatorische, finanzielle und juristische abnehmen.
Ja, das ist eine Entlastung. Was ich mir wünschen würde, so weit sind wir noch nicht, aber das ist das Ziel, dass wir es schaffen die „time to market“ zu reduzieren. Vielleicht ist es interessant, das darzustellen.
Eine Produktentwicklung in unserem Bereich, also von der ersten wilden Idee eines Wissenschaftlers im Labor bis zu „Ich habe das Produkt im Markt“, das dauert im lifescience Bereich, also Bio- und Medizintechnologie, im Schnitt 22 Jahre. Zum Vergleich, in der IT dauert es 4 bis 5 Jahre. Die große Herausforderung ist, dass beim „technology readiness level“ von 1 bis 9, die beschreiben „wie reif ist eine Technologie“, 1 ist die wilde Idee und 9 der Markteintritt, bei 7 erfolgt in der Regel die Gründung eines Unternehmens, das klingt wie kurz vor dem Markt.
In Wirklichkeit liegt die Gründung ziemlich in der Mitte, vom Zeitverlauf her. Das heißt, wenn ich 22 Jahre Entwicklung habe, habe ich 11 Jahre in der Universität, relativ komfortabel mit 100 % Förderquote, ich habe ein Labor, um das ich mich nicht kümmern muss, irgendjemand macht meine Buchhaltung und Abrechnung.
Was passiert, wenn ich als Gründer den universitären Bereich verlasse?
Dann gründe ich und der Wind geht scharf. In den zweiten 11 Jahren gibt es relativ wenige Unterstützungsplattformen. Ja, der Freistaat macht viel im Sinne von Förderungen und die Stadt Leipzig macht unglaublich viel an Förderungen, die bestenfalls 50 % Förderquote haben.
Die anderen 50 % muss ich selbst irgendwo herbekommen. Die erste Herausforderung ist also, wo nehme ich das Geld her. Risikokapital gibt es in Sachsen kaum, mit dem TGFS [Technologiegründerfonds Sachsen] kann das eine oder andere erreicht werden. Es gibt relativ wenig weitere Unterstützung.
US-amerikanische Märkte sind sehr stark Risikokapital finanziert, das ist fast eine 100 % Finanzierung. Nur kommt das Geld aus anderen Quellen. Bei uns ist das eher eine Mischkalkulation. Dort versuchen wir zu helfen, zum einen, indem wir mehrere Unterstützungsplattformen aufbauen, ähnlich wie die medicalforge, es soll noch ein paar mehr geben, um den Unternehmen ein bisschen die Hand zu reichen und sie durch diese Phase zu führen.
Zweitens arbeiten wir daran, einen eigenen Risikokapitalfond aufzubauen. Einfach um an der Stelle dem TGFS, der Fonds kann die im lifescience Bereich erforderlichen Volumina nicht abdecken, etwas zur Seite zu stellen, das sich ausschließlich auf den lifescience Bereich fokussiert. Wir wollen diese Lücke schließen.
Das soll also auch die Abwanderung von gründungswilligen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen z. B. in die USA, oder heute vielleicht auch nach China verhindern?
Auf jeden Fall.
Fortsetzung folgt.
Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption‘ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.
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