Wer bei der Hauptbegrรผndung โCoronaโ bei der diesjรคhrigen Buchmesse-Absage stutzte, lag wohl richtig. Der Beat der Buch-Branche wird im โBรถrsenverein des Deutschen Buchhandels e. V.โ, kurz Bรถrsenverein und damit in Frankfurt a. Main gemacht. Hier bรผndeln sich nicht nur die Groรverlage, sondern auch deren Interessen. Einer von Ihnen, Thilo Schmid, Geschรคftsfรผhrer der Oetinger Verlagsgruppe, ging justament am heutigen 9. Februar 2022, dem Tag der Buchmesseabsage, mit einem Beitrag in die รffentlichkeit, der offen Diskrepanzen zwischen der Leipziger Messe und den Groรen der Branche illustriert. Natรผrlich im โBรถrsenblattโ, herausgegeben durch den Bรถrsenverein, legt der Artikel teilweise offen, warum es fรผr Leipzig auch 2023 nicht leicht wird, eine neue Buchmesse zu veranstalten.
Eigentlich ist jeder einzelne Satz des heute erschienenen Artikels unter dem Titel โEin reines โWeiter Soโ wollen wir uns nicht mehr leistenโ ein Tritt Richtung Leipzig, Richtung Buchmesseleitung. Wenn Thilo Schmid den guten Kontakt, die zukunftsgewandte Debatte und die Vorfreude der Branche auf die Frankfurter Buchmesse 2022 betont, heiรt das gleichzeitig: nicht so in Leipzig.
Wenn Schmid neue Formate, mehr digitale Orientierung und eine Messe fordert, die โein positiver Verstรคrkerโ, kein โElfenbeinturmโ sein sollte und โeine Plattform, die die Branchenkrรคfte bรผndelt und die auf allen Kanรคlen sichtbar istโ, dann heiรt das โ nichts davon sah und sieht der Kinderbuchverlag bei der Leipziger Buchmesse als gegeben an.
Am Ende spricht der Geschรคftsfรผhrer der Hamburger Verlagsgruppe dann offen aus, was hinter den Kulissen vor der Absage der gesamten Messe samt โLeipzig liestโ aus seiner Sicht stattfand. โEin reines, sentimentales โMesse-Fahne-hochhaltenโ, das uns hohe 5- bis 6-stellige Betrรคge kostet, wollen und werden wir uns nicht mehr leisten.โ
Das Geld, welches die Leipziger Messe fรผr die Stรคnde verlangt und welches in รbernachtungen und Autoren-Honorare floss, kรถnne man anderswo besser investieren, so Schmid abschlieรend.
Nicht ohne einen Ruf nach Leipzig nachzuschieben, dass man vielleicht nรคchstes Jahr kรคme, wenn hier grundlegende รnderungen stattfรคnden. Nur welche genau?
Offene, pulsierende Begegnungsorte
Jede der wenigen Zeilen sagt demnach: Das war nichts, liebe Leipziger Buchmesse, da fehlten Livestreamformate, Online-Veranstaltungen und dieses etwas nebulรถse โauf allen Kanรคlen sichtbar seinโ, wenn es um die Buchmesse geht.
Ehrlicher kรถnnte die Debatte eigentlich nur noch werden, wenn man die Frage nach einem โLeipzig liestโ mit betrachten und zugeben wรผrde: Eben dieses Lesefest bot noch 2019 mit รผber 200.000 Besucher/-innen in ganz Leipzig all das, was sich Schmid wรผnscht, wenn er โoffene, pulsierende Begegnungsorteโ fรผr Verlage und Autor/-innen fordert. Ja, โanalogโ, so mit selbst Hingehen und der Lesung lauschen.
Lesungen, wie sie auch die Frankfurter Buchmesse anbietet und die in Leipzig nur Verlage abhalten konnten, die auch einen Stand auf dem Leipziger Messegelรคnde hatten und so ins offizielle โLeipzig liestโ-Programm kamen.
Bleibt demnach jetzt, wo eine neue Ehrlichkeit in die Debatte Einzug hรคlt, die Frage zu stellen, was da eigentlich wirklich schiefgelaufen ist und wer hier von wem was gefordert hat, was der andere nicht zu leisten bereit war? Und am Ende zur Absage der Buchmesse 2022 fรผhrte.
Derzeit stehen durchaus mehrere Erklรคrungen gleichberechtigt nebeneinander, zumal es auch Verlage gab, die an der Buchmesse in diesem Jahr festhalten wollten: Es waren die kleineren und vor allem die regionalen Verlage in und um Leipzig, fรผr die der Frรผhjahrsimpuls lebenswichtig ist.
Zu diesen Erklรคrungen gehรถrt neben kritisierten Versรคumnissen der Leipziger Buchmesseleitung unter Direktor Oliver Zille auch diese, dass eine sich verรคndernde, stark westdeutsch geprรคgte Buchbranche glaubt, auf den Standort Leipzig zugunsten Frankfurt a. Main verzichten zu kรถnnen. Und hier gerade einer Buchmesse mit einer Lebensdauer seit Anfang des 17. Jahrhunderts den Todesstoร versetzt, wรคhrend die Schuld dafรผr allein in Leipzig liegen soll.
In jedem Fall sind solche und รคhnliche Stimmen vor allem aus den Reihen der groรen Verlage lรคngst ein Fingerzeig darauf, dass mitnichten gesichert ist, was die Leipziger Buchmesse heute Mittag noch verkรผndete: eine Leipziger Bรผcherschau 2023.
Am 10. Februar 2022 fรผhrte die LZ ein Interview mit Oliver Zille, Direktor der Buchmesse Leipzig zu den Entwicklungen und der Frage, wie es nach der Absage weitergehen wird.
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Die unabhรคngigen Verlagen wollten mehrheitlich kommen, die Kurt Wolff Stiftung hatte extra nochmal dafรผr geworben, die Messe unbedingt zu machen. Einige Big Player scheinen dagegen ganz froh zu sein, dass Leipzig ausfรคllt. Und der groรe Rest hat die Angst inzwischen so tief inkorporiert, dass sie kein Wagnis mehr eingeht. Dabei will (wollte?) die Buchbranche immer Vorreiter sein, etwas wagen, den Mรคchtigen auf den hohlen Zahn fรผhlen. Aber wรคhrend Corona ist sie mehr und mehr zu einem Papiertiger geworden, genau wie viele Autoren. Angepassstsein regiert. Die (Selbst-)Absage ist die logische Konsequenz.