Es klemmt hinten und vorne. Das wรผrde man auf den ersten Blick nicht vermuten, wenn man die Antwort des Sรคchsischen Umweltministeriums auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Andreas Heinz zum Bau von Windenergieanlagen in Sachsen in den letzten zehn Jahren liest. Denn gebaut wurden ja welche, 92 Stรผck, wie das Ministerium mitteilt. Ach ja: minus 40. Die wurden nรคmlich โrรผckgebautโ. Macht: minus 548.
600 hรคtten gebaut werden mรผssen, nicht nur 52. Wer die Zahl nicht glaubt: Sie beruht auf dem Koalitionsvertrag von CDU, Grรผnen und SPD, wo man lesen kann: โDas EKP soll sich an einem zusรคtzlichen Ausbau von 10 Terawattstunden (TWh) Jahreserzeugung aus Erneuerbaren Energien bis 2030 orientieren. Fรผr 2024 orientieren wir uns an einem Zubau-Zwischenziel von 4 TWh, von dem der Hauptteil durch Windenergie gewonnen werden soll.โAber selbst dieses Minimalziel wird nicht erreicht. Nicht mit 52 zusรคtzlichen Windenergieanlagen in zehn Jahren. Allein an der Stromerzeugung haben die Erneuerbaren in Sachsen gerade mal einen Anteil um die 13 Prozent. Da sind die Wรคrmeerzeugung und die Mobilitรคt noch gar nicht berรผcksichtigt.
Die angepeilten 10 Terawatt wรคren auch erst ein Viertel des sรคchsischen Stromverbrauchs. Ein Witz im Angesicht der Klimakrise und der Pariser Klimaziele. Sachsen hat nicht mal angefangen, die Pariser Klimaziele umzusetzen.
Aber nicht mal der Koalitionsvertrag wird umgesetzt, wie Prof. Martin Maslaton, Vorstand des BWE Sachsen und Fachanwalt fรผr Erneuerbare Energien im Mai vorrechnete: โUm das Zwischenziel des Koalitionsvertrags fรผr 2024 zu erreichen, mรผssten jรคhrlich 60 Windenergieanlagen neu errichtet werdenโ, so Maslaton. โDie Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist gewaltig. Die Landesregierung springt รผber die selbst gesetzte Messlatte nicht nur nicht drรผber, sondern spaziert mรผhelos drunter hindurch.โ
Und da kann man jetzt die Zahlen aus der Antwort an Andreas Heinz danebenlegen โ und das, was darin wie ein Fortschritt aussieht, entpuppt sich als klรคglicher Rest.
In zehn Jahren wurde nicht mal ein Zehntel der benรถtigten Kapazitรคt an Windkraftanlagen gebaut, die allein der Koalitionsvertrag vorsieht. Hier macht sich die bremsende Bundespolitik der vergangenen zehn Jahre genauso bemerkbar wie der Widerstand auf regionaler und kommunaler Ebene gegen neue Windenergiestandorte.
Die regionalen Planungsverbรคnde haben nur wenige Flรคchen ausgewiesen, auf denen รผberhaupt Windkraftvorranggebiete definiert sind. Und selbst dort formieren sich Bรผrgerinitiativen gegen die neuen Windkraftanlagen. Ganz zu schweigen vom CDU-gefรผhrten Regionalministerium.
Denn Regionalminister Thomas Schmidt (CDU) beharrt weiterhin auf der starren 1.000-Meter-Abstandsregel fรผr Windkraftanlagen zur nรคchsten Bebauung, die dafรผr sorgt, dass groรe Teile des Freistaats fรผr den Bau solcher Anlagen รผberhaupt nicht infrage kommen.
Noch immer herrscht das Denken vor, man kรถnne einfach weiterhin auf Kohlekraft setzen und ein Ausbau der Erneuerbaren wรคre gar nicht notwendig oder stรถrend fรผr das Landschaftsbild. Was dann auch dazu fรผhrt, dass allein zehn Windenergieanlagen zwar eine Genehmigung bekamen, aber trotzdem nicht gebaut wurden โ fast alle in der Region Chemnitz.
Und gegen 24 genehmigte Anlagen wurden Klagen eingereicht โ mal wegen Artenschutz, mal wegen Naturschutz, mal wegen Immissionsschutz. Sieben dieser Verfahren laufen immer noch, vier wurden ruhend gestellt. Bei allen anderen kam es zu Vergleichen oder zur Abweisung der Klage. Selbst die Dauer dieser Gerichtsverfahren schreckt mรถgliche Investoren ab. Und dabei hat jede einzelne Windkraftanlage einen jahrelangen Planungsvorlauf, bis es รผberhaupt eine Baugenehmigung gibt.
Was eben auch aktuell dazu fรผhrt, dass nicht ansatzweise die 60 notwendigen Antrรคge pro Jahr fรผr den Neubau von Windenergieanlagen gestellt werden, sondern weiterhin nur ein Bruchteil davon: Zwรถlf Antrรคge auf die Neuerrichtung von Anlagen und fรผnf fรผr ein Repowering, also den Ersatz alter, nicht so leistungsstarker Windrรคder, durch neue Anlagen, die deutlich mehr Strom produzieren kรถnnen, liegen aktuell vor, teilt das SMEKUL mit.
So verfehlt Sachsen selbst die eher winzigen Ausbauziele aus dem Koalitionsvertrag vรถllig, von den Pariser Klimazielen ganz zu schweigen.
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