Noch in diesem Jahr will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) einen Gesetzesentwurf vorlegen, mit dem der Mindestlohn in Deutschland in einem Schritt auf 12 Euro pro Stunde angehoben wird. Erst zum Jahresbeginn 2022 ist der gesetzliche Mindestlohn nach den Beschlüssen der Mindestlohnkommission planmäßig von 9,60 Euro auf 9,82 Euro pro Stunde gestiegen. Nun haben die sächsischen IHKs einige ihrer Mitgliedsunternehmen befragt und lesen aus dem Befragungsergebnis eine Warnung „vor zu schneller und direkter Anhebung“ heraus.
Eine Besorgnis, die durchaus ihre Gründe hat. Denn viele Unternehmen haben aktuell sowieso schon mit großen Kostensteigerungen zu kämpfen: „Vor dem Hintergrund massiver Kostensteigerungen bei Rohstoffen, Material, Teilen, Energie und Logistikleistungen mehren sich die Stimmen aus der Unternehmerschaft, dass bei einer zusätzlichen und kurzfristigen Anhebung des Mindestlohns auf 12,- Euro die Belastungsgrenze erreicht, teils überschritten würde“, formuliert es die Landesarbeitsgemeinschaft der sächsischen Industrie- und Handelskammern.
Der Anteil der Betroffenen variiert
Um die Betroffenheit der Unternehmen in Sachsen sowie mögliche Folgen zu ermitteln, haben die drei sächsischen Industrie- und Handelskammern die in ihren Vollversammlungen und Fachausschüssen engagierten Unternehmen befragt. Die Erhebung kann also nur einen Ausschnitt der sächsischen Wirtschaft zeigen. 267 Betriebe aus allen Wirtschaftsbereichen haben den Kammern geantwortet. In Sachsen gibt es aber derzeit 145.000.
Und auch den Kammern ist klar: „Der Anteil der direkt von einer Mindestlohnerhöhung auf 12,- Euro betroffenen Beschäftigten variiert bei den Befragten erwartungsgemäß stark nach Wirtschaftsbereichen. Die Spanne reicht dabei von 17 % der Stellen in den Unternehmen des Produzierenden und des Baugewerbes, über 23 % in den Dienstleistungsbereichen, bis zu 26 % in Handel, Verkehr und Gastgewerbe. Bei den Dienstleistern verzeichnet das Finanz- und Versicherungswesen die geringste Betroffenheit, personenbezogene Dienstleistungen die höchste.“
Positive und negative Erwartungen
Aus den Unternehmensantworten zu prognostizierten Folgen einer sofortigen Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro kristallisieren sich aus Sicht der IHKs betriebswirtschaftliche und personalwirtschaftliche Schwerpunkte heraus: So gehen mehr als die Hälfte der Unternehmen (58 %) davon aus, die Preise für ihre Produkte und Leistungen erhöhen zu müssen, wobei 42 % die Kostensteigerungen voraussichtlich nicht auf ihre Kunden werden umlegen können. Die daraus resultierende Ertragsminderung reduziere wiederum die Spielräume für Investitionen.
Um einen Lohnabstand zu den höheren Einkommensgruppen zu gewährleisten und so mögliche Konflikte in der Belegschaft auszuschließen, gaben 45 % der Unternehmen an, weitere Lohnanpassungen vornehmen zu müssen.
Ein weiteres Viertel (26 %) schätzt hingegen ein, nicht über die dafür erforderlichen finanziellen Möglichkeiten zu verfügen und lediglich die Einkommen für die direkt betroffenen Arbeitsplätze erhöhen zu können.
Über alle Branchen hinweg gehen die befragten Unternehmen von einer doch recht überraschenden Erhöhung ihrer Personalkosten um 20 bis 25 % aus, was mittelfristig zu einer Reduzierung des Personalbestandes führen könnte, mindestens aber zu einer Zurückhaltung bei Neueinstellungen, wie von 31 % geäußert. 17 % der Befragten gehen sogar davon aus, Mitarbeiter entlassen zu müssen.
Als probates Mittel zur Dämpfung der Kostensteigerung wurde zudem auf Arbeitszeitreduzierung, die Umwandlung von festen in pauschale Arbeitsverhältnisse, die Reduzierung von Praktika und Umschulungen sowie den Wegfall von Sonderleistungen wie Umsatzprämien, Urlaubs- oder Weihnachtsgeld verwiesen. In der Gesamtbewertung der prognostizierten Folgen sehen 6 % der Befragten den Fortbestand ihres Unternehmens in Gefahr.
Aus Sicht der sächsischen IHKs sprechen die Umfrageergebnisse eine deutliche Sprache und sollten der Bundesregierung ein Alarmsignal sein. Die Kammern plädieren daher für eine bedachte und stufenweise Steigerung über die Legislaturperiode hinweg.
Lassen sich die Ergebnisse auch anders interpretieren?
Anders als in der Gesamteinschätzung der IHKs muss es überhaupt nicht negativ sein, wenn 45 Prozent der Unternehmen ihr gesamtes Lohngefüge anpassen müssen und – wenn man die Ergebnisse so liest – auch anpassen wollen. Das heißt: Sie haben die finanziellen Spielräume. Die Belegschaft bekommt mehr Geld, das in der Regel wieder dem Konsum in Sachsen zugutekommt.
Wirtschaft ist eben nicht nur ein statischer Spendentopf, sondern Teil eines Kreislaufes. Wenn 31 Prozent der hier befragten Unternehmen Kundenverluste befürchten, ist die Frage: Wo gehen diese Kunden hin? Wechseln sie dann nicht eher zu anderen sächsischen Unternehmen?
Einen wichtigen Punkt übergehen die IHKs sogar: 9 Prozent der Unternehmen gehen ja davon aus, dass ihre Personalgewinnung dann einfacher wird. Denn Sachsen steckt nun seit einigen Jahren in einem veritablen Fachkräftenachwuchsmangel. Viele Unternehmen haben ihre Lohnangebote schon deutlich erhöht, um ihr Fachpersonal zu halten. Und wenn 17 Prozent der Unternehmen mit Entlassungen rechnen, heißt das ja nicht, dass die Entlassenen dann auf der Straße stehen – sie wandern schlicht zu Unternehmen ab, die besser bezahlen.
Das heißt: Es wird Unternehmen geben, die bei der schnellen Anhebung des Mindestlohns, die Hubertus Heil plant, Probleme bekommen, ihr Personal zu halten. Und andere werden froh sein, jetzt gute Leute abwerben zu können. Es wird sich also innerhalb der sächsischen Wirtschaftslandschaft einiges umverteilen.
Kathrin Michel (SPD): 12 Euro Mindestlohn sind das Mindeste an Respekt und Anerkennung
Kathrin Michel, Co-Vorsitzende der SPD Sachsen, ist von der Kritik der sächsischen Industrie- und Handelskammer (IHK) an der geplanten Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro in diesem Jahr dann auch gar nicht überrascht.
„Das Ergebnis der Befragung ist nicht überraschend. Es wird wohl nie einen Zeitpunkt geben, an dem alle Unternehmen einen Mindestlohn gut finden. Schon vor der Einführung des Mindestlohns 2015 wurden Horrorszenarien verbreitet. Eingetreten sind sie nie“, betont Kathrin Michel.
„In Sachsen bedeutet ein höherer Mindestlohn eine Gehaltserhöhung für 600.000 Menschen, die sie verdient haben. Wir stärken dadurch die Kaufkraft und sorgen dafür, dass die Fachkräfte in Sachsen bleiben. Ich kann die Argumentation der befragten Unternehmen gerade deshalb nicht nachvollziehen: Wer gute Fachkräfte will, muss sie anständig bezahlen! Die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde ist ein zentraler Baustein auf dem Weg, den Menschen ihren Stolz auf ihre geleistete Arbeit zurückzugeben. Es geht um Respekt und Anerkennung.“
Ihre Schlussfolgerung: „Für die eigene harte Arbeitsleistung keinen fairen Lohn zu bekommen und zudem im Alter auf Grundsicherung angewiesen zu sein, hat zu Wut und einem Ohnmachtsgefühl geführt. Auf diese Situation treffen wir vor allem im Osten. Wir als SPD haben beschlossen und versprochen, etwas dagegen zu tun.“
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