Wird der Flughafen Leipzig/Halle einmal ein Staatsunternehmen, das keine Verluste einfährt, sondern Gewinne bringt und damit den Anteilseignern – zu denen auch Leipzig gehört – endlich wieder Geld in die Kasse spült? So eine kleine Hoffnung schwebt ja am Horizont, seit das Umweltministerium einen Vorstoß gemacht hat, lärm- und emissionsabhängige Startentgelte für den Flughafen auf den Weg zu bringen. Und seit Finanzminister Hartmut Vorjohann zugesteht, dass man daran tatsächlich arbeite.
Das tat er jüngst in der Antwort auf eine Anfrage des Landtagsabgeordneten der Linken, Marco Böhme, der sich nicht nur darüber wunderte, dass die Mitteldeutsche Flughafen AG (zu der der Flughafen gehört) 19,4 Millionen Euro an Corona-Beihilfen bekommen hat, obwohl Leipzig im Jahr 2020 seine Steigerung des Frachtumschlags verbuchen konnte. Aber der Frachtumschlag in Leipzig ist für die Flughafeneigner ein Minusgeschäft.Warum das so ist, hat die Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ jetzt einmal genauer untersucht. Denn während der Frachtumschlag in ganz Deutschland zurückging, stieg er in Leipzig weiter.
„Seit Jahren steigen die Frachtflugzahlen am Flughafen Leipzig/Halle (LEJ) gegenüber der Frachtflugentwicklung in Deutschland überproportional an. Während deutschlandweit z. B. in 2020 die Fracht um -4,2 % gesunken ist, verzeichnet Leipzig einen Anstieg um 12,3 %“, stellt Matthias Zimmermann, Sprecher der Bürgerinitiative fest.
„Wie ist das zu erklären? Wir haben recherchiert. Alte Regel in der freien Wirtschaft, wenn man sich gegenüber den Wettbewerbern derart ,absetzt‘, gibt es 3 Gründe – innovatives Produkt, Qualität oder Preis. Für LEJ gilt eindeutig Letzteres. Seine ,Erfolgsgeschichte‘ beruht, neben den rücksichtslosen Nachtflugregelungen des DHL-Frachtdrehkreuzes, in der ,Innovation‘ Preisdumping. Seine Start- und Landegebühren liegen weit unter dem der anderen Flughäfen Deutschlands.“
Dabei spricht die Bürgerinitiative noch von 700 Millionen Euro Verlust und bezieht sich dabei auf einen Bericht von „Capital“ aus dem Jahr 2016, wo es hieß: „Das größte Defizit verzeichnete der Flughafen Leipzig/Halle. Dessen Betriebsverluste summierten sich ausweislich der veröffentlichten Bilanzen für die Jahre 2005 bis 2014 auf knapp 570 Mio. Euro.“
Einen deutlich größeren Zeitraum fragte nun freilich Marco Böhme ab – nämlich die kompletten Gewinne/Verluste von 2000 bis 2020. Und Hartmut Vorjohann hat ihm die Zahlen geliefert. Und in keinem einzigen Jahr hat der Flughafen Gewinne gemacht seitdem. Sondern – aufsummiert – über 800 Millionen Euro Verlust.
Der Umbau eines regionalen Passagierflughafens zum Frachtflughafen mit Nachtflugbetrieb macht wirtschaftlich aber nur Sinn, wenn der Frachtumschlag die Verluste ausgleicht und dieses Investitionsprojekt der öffentlichen Hand in die Gewinnzone bringt.
Deswegen interessierten hier vor allem die Zahlen seit 2007, seit Inbetriebnahme der auf Steuerzahlerkosten gebauten Startbahn Süd und des Frachtflug-Hubs von DHL. Das hat, wie man der Tabelle entnehmen kann, zwar kurzzeitig die Bilanzsumme in die Höhe getrieben. Doch durch Abschreibungen ist sie seitdem wieder kräftig gesunken. Was möglicherweise ein Grund dafür ist, warum die Geschäftsführung des Flughafens so auf der Erweiterung beharrt und dem Einsatz von weiteren 500 Millionen Euro.
Aber man sieht eben auch, dass der Flughafen in den ersten drei Jahren der Startbahn Süd massive Verluste von 38, 93 und 63 Millionen Euro einfuhr. Erst ab 2014 gelang es, die Verluste spürbar zu begrenzen und bis 2020 auf 18 Millionen Euro abzubauen. Da man aber die Startentgelte nicht wirklich marktgängig angepasst hat, blieb man im Minus. Insgesamt summierten sich die Verluste seit 2007 auf 599,4 Millionen Euro.
Da hätte ein verantwortungsbewusster Flughafeneigentümer schon viel früher gebremst und nicht Jahr um Jahr darauf gesetzt, dass er die pro Start entstandenen Verluste durch Menge irgendwie würde ausgleichen können.
„Wer profitiert von diesen Entgelten?“, fragte sich deshalb die Bürgerinitiative. „Der Hauptnutzer des Flughafens ist die DHL-Hub Leipzig GmbH, die aber ihre Geschäftszahlen nicht offenlegt. DHL Hub gehört zur Sparte DHL-Express die seit vielen Jahren Milliardengewinne macht. So allein im Jahre 2019 2,04 Milliarden.“
Das Fazit aus Sicht von Matthias Zimmermann: „Für den DAX-Konzern DP/DHL und seine Aktionäre ist das DHL-Frachtdrehkreuz eine Erfolgsgeschichte, für den Steuerzahler ein Milliardengrab. Es geht auch anders: Vergleicht man den Flughafen Leipzig mit dem von Hannover (beide verfügen über eine Nachtflugerlaubnis und ähnliche S/L-Zahlen), so konnte Hannover im Jahre 2019 2,8 Millionen Gewinn erwirtschaften, während Leipzig 17,8 Millionen Euro Verluste zu verzeichnen hat.“ Nach Auskunft des Sächsischen Finanzministeriums lag das Minus des Flughafens 2019 sogar bei 18,7 Millionen Euro.
Der Grund für die Diskrepanz: Die Start/Lande-Gebühren in Hannover liegen teilweise 175 % über denen von Leipzig. Logisch, dass die Bürgerinitiative eine zeitnahe und deutliche Erhöhung der S/L-Entgelte am Flughafen Leipzig/Halle unter anderem durch die Einführung von Nacht-, Lärm,- und Emissionsentgeltzuschlägen fordert. Und außerdem einen rückwirkenden Ausgleich der Flughafen-Verluste aus den Milliardengewinnen von DHL-Express.
Und selbst die Bundeswehr profitiert, wie Zimmermann feststellen kann, die hier die AN124 unter anderem für Nato- und Bundeswehr-Flüge nach Afghanistan und in andere Krisengebiete nutzt. Aus dem „Spiegel“ 14/2012 zitiert er: „Für jeden Flug der von ihr gemieteten und in Leipzig stationierten Antonow-Transporter nach Masar-i-Scharif und zurück zahlt die Bundeswehr 420.000 Euro.“ Der Flughafen Leipzig/Halle bekommt für einen derartigen Flug gerade mal 5.862 Euro pro Landung und Start. „In Frankfurt müssten dafür 46.700 Euro gezahlt werden“, so Zimmermann.
Das heißt: Ein Großteil des Fluggeräts, das in Leipzig zu Fracht- und Militärflügen abhebt, hebt hier nur deshalb ab, weil Start und Landung hier nur einen Bruchteil dessen kosten, was selbst auf anderen deutschen Frachtflughäfen fällig wäre.
Matthias Zimmermann: „An den meisten Flughäfen Deutschlands gibt es ein Nachtflugverbot. Neben dem Flughafen in Leipzig verfügen nur noch die Flughäfen in Köln, Hannover und Nürnberg über eine Nachflugerlaubnis. Während bei Letzteren aber durch immer strengere Lärmauflagen und Lärmentgelte die nächtlichen Starts und Landungen rückläufig sind (siehe Vergleich mit Köln), steigen diese in Leipzig aufgrund der extrem niedrigen Entgelte ständig an und sollen, wenn es nach den aktuellen Ausbauplänen geht, im Jahre 2032 auf 56.000 wachsen. Leidtragende dieser subventionierten ‚Wachstumsstrategie‘ sind hunderttausende Betroffene, die die aktuell bis zu 170 nächtlichen Starts-/Landungen mit Lärmpegeln über 80 Dezibel mit ihrer Gesundheit bezahlen.“
Eine brisante Mischung – eine unumschränkte Nachtflugerlaubnis für den Frachtverkehr, enorme Lärmbelastung für das Umland (mit zunehmendem Ärger im Leipziger Norden) und Startgebühren, die nicht einmal die Betriebskosten decken. Kein Wunder, dass Sachsens Regierung unter Druck steht und seit dem Eintritt der Grünen in die Regierung erstmals ernsthaft an einem lärmabhängigen Entgeltsystem arbeitet. Das zumindest bestätigte Finanzminister Hartmut Vorjohann auf die Anfrage von Marco Böhme hin.
„Die Anpassung der Verkehrsentgelte ist, zumindest in Bezug auf die Entgelte zur ,Nutzung der Einrichtungen und Dienstleistungen, die mit der Beleuchtung, dem Starten, landen und Abstellen von Luftfahrzeugen sowie mit der Abfertigung von Fluggästen und Fracht in Zusammenhang stehen‘, gemäß § 19b Luftverkehrsgesetz (LuftVG) normiert. Hiernach ist die Entgeltordnung ,der Genehmigungsbehörde zur Genehmigung vorzulegen‘“, erklärte Vorjohann.
„,Die Genehmigung wird erteilt, wenn die Entgelte in der Entgeltordnung nach geeigneten, objektiven, transparenten und diskriminierungsfreien Kriterien geregelt sind.‘ Der Genehmigungsprozess ist inklusive des dazugehörigen Antrags- und Konsultationsverfahrens mithin ein arbeits- und zeitintensiver Prozess.“
Man merkt schon an der Wortwahl, dass die Bremsklötze nicht nur beim Flughafen selbst liegen, sondern auch in den Behörden des Freistaats. Wie haben es dann die anderen Bundesländer geschafft, ihren Flughäfen Startentgelte zu verpassen, die so deutlich höher liegen als in Leipzig/Halle? Es kann also noch sehr lange dauern, bis Sachsens Regierung den Mumm aufbringt, dem Flughafen wirklich kostendeckende Startentgelte aufzuerlegen.
„Der Anforderung des § 19b Abs. 1 Satz 6 LuftVG, wonach in ,der Entgeltordnung von Verkehrsflughäfen ( … ) eine Differenzierung der Entgelte nach Lärmschutzgesichtspunkten vorzunehmen‘ ist, kommen die Flughäfen bereits nach. Eine Weiterentwicklung der bisherigen Entgelterhebung nach Lärmklassifikationen sowie eine Differenzierung nach Schadstoffemissionen sind aktuell in Arbeit“, kündigt Vorjohann zumindest an.
„Ungeachtet der aktuellen pandemiebedingten Entwicklung unternehmen die Flughäfen grundsätzlich alle Anstrengungen, die Ertragslage durch Ausweitung des Angebotes, aber auch – soweit wirtschaftlich vertretbar und durchsetzbar – durch Preisanpassungen zu verbessern.“
Dass sich hier die Staatsregierung zum Advokat der Flughafennutzer macht, steckt schon in der Wortwahl „wirtschaftlich vertretbar und durchsetzbar“. Was heißt das? Wandert DHL ab, wenn Leipzig auch nur die Startentgelt-Tabelle von Köln oder Hannover übernimmt? Wird der Freistaat dann verklagt, weil man es vertraglich mit DHL ausgeschlossen hat?
Das Drama geht weiter. Davon kann man wohl ausgehen. Und so wie es in Vorjohanns Antwort klingt, hat die mächtige Staatsregierung in diesem Fall nur das Gefühl, das Kaninchen zu sein.
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