Selbst die ARD jammerte am Mittwoch, 14. Oktober, einmal mehr: „Einbruch schlimmer als erwartet“. Man sah regelrecht den dicken kleinen Hausbesitzer im Nachthemd auf dem Rasen stehen und beklagen, dass die bösen Einbrecher seine schöne Münzsammlung mitgenommen haben. Dabei ging es wieder mal nur um eine Berechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Selbst die Wirtschaftsinstitute differenzieren da. Auch in der Hoffnung, dass die Politiker nicht wieder nur die Überschriften lesen.
So etwa das Institut für Wirtschaftsforschung der Uni Halle, das am Mittwoch mitteilte: „Die deutsche Wirtschaft hat sich nach dem pandemiebedingten drastischen Einbruch im Frühjahr 2020 zunächst rasch wiederbelebt. Im zweiten Halbjahr verliert die Erholung aber stark an Fahrt. Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose geht davon aus, dass das Produktionsniveau von vor der Krise erst wieder in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 erreicht werden wird. Die ostdeutsche Konjunktur folgt im Prinzip diesem Muster; allerdings dürfte der Konjunktureinbruch hier etwas milder ausfallen.“
Stichwort: Automobilproduktion
Denn dort weiß man zumindest, dass Wirtschaft nicht gleich Wirtschaft ist. Corona hat die unterschiedlichen Branchen alle unterschiedlich stark getroffen.
„Die Wirtschaftsleistung lag im ersten Halbjahr 2020 in Ostdeutschland um 5,6 % unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums, in Deutschland insgesamt waren es 6,6 %. Ein Grund für den etwas kleineren Rückgang in den Neuen Bundesländern ist das geringere Gewicht des Verarbeitenden Gewerbes und insbesondere der Automobilproduktion in Ostdeutschland, denn der Fahrzeugbau kam zeitweise vollkommen zum Stillstand. Wo er im Osten eine ähnlich große Rolle spielt wie in Westdeutschland, nämlich in Sachsen und in Thüringen, war auch der Wirtschaftseinbruch mit 6,5 % bzw. 6,3 % kaum geringer.
Dass der Produktionseinbruch im Jahr 2020 im Osten geringer ausfallen dürfte, liegt zudem am Anteil der öffentlichen Dienstleister an der Bruttowertschöpfung, der mit 25 % größer ist als in Westdeutschland (18 %), denn dieser Wirtschaftszweig bleibt auch in der Krise recht stabil.
Schließlich beurteilen laut ifo-Konjunkturumfragen die Einzelhandelsunternehmen ihre Lage im Osten ein Stück weit günstiger als im Westen, was auf einen robusteren privaten Konsum schließen lässt. Ein Grund dafür dürfte eine angesichts der Krise günstige Entwicklung der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte insgesamt sein, auch weil die Rentenanpassung in diesem Jahr mit 3,9 % kräftig ist. Zudem haben die bislang vergleichsweise niedrigen Infektionszahlen den Teil des Konsums, der mit sozialen Kontakten einhergeht, weniger belastet als anderswo.
Die im Herbst deutlich zunehmenden Infektionszahlen in der Hauptstadt sind ein Risiko für den Berliner Dienstleistungssektor, aber auch für die Konjunktur in Ostdeutschland insgesamt.
„Unter der Annahme, dass in Berlin wie in ganz Deutschland ein neuerlicher Shutdown vermieden werden kann, dürfte das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 um 2,9 % zurückgehen“, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). „In Deutschland insgesamt sind es -5,4 %“. Für das Jahr 2021 wird für Ostdeutschland ein Zuwachs von 3,6 % prognostiziert (Deutschland: 4,7 %). Die Arbeitslosenquote nach der Definition der Bundesagentur für Arbeit dürfte in Ostdeutschland im laufenden Jahr 7,4 % und 7,2 % im Jahr 2021 betragen.
Der Blick auf Sachsen
Am Mittwoch, 14. Oktober, veröffentlichte auch das sächsische Landesamt für Statistik die Zahlen fürs erste Halbjahr 2020.
Und auch hier fällt auf, dass eine Branche besonders stark litt: „Von Januar bis Juni 2020 wurde in der sächsischen Industrie von 237.198 tätigen Personen ein Gesamtumsatz von 25,7 Milliarden Euro erzielt. Gegenüber dem 1. Halbjahr 2019 entsprach dies einem Umsatzrückgang von knapp 15 %. Das Auslandsgeschäft brach überdurchschnittlich um mehr als 23 % ein (Inland: rund -9 %). Im beschäftigungs- wie umsatzstärksten Industriezweig ,Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen‘ ging der Umsatz nach zwischenzeitlichen Produktionsunterbrechungen und Betriebsschließungen im Zusammenhang mit der Coronapandemie insgesamt um mehr als 28 % und mit dem Ausland um knapp 39 % besonders deutlich zurück, jedoch weniger stark als in der 1. Jahreshälfte 2009 infolge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Der Gesamtexport Sachsens verringerte sich in den ersten sechs Monaten 2020 gegenüber 2019 um fast 18 % (Import: rund -9 %).“
Was natürlich suggeriert, dass der Rückgang in der Autoproduktion vor allem mit „zwischenzeitlichen Produktionsunterbrechungen und Betriebsschließungen“ zu tun hat und nicht mit einer tiefgreifenden Krise dieser Branche, die schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie sichtbar war. Corona hat die Krise wohl eher nur verschärft, aber nicht ausgelöst.
Es sind ganz andere Branchen, die tatsächlich unter den Corona-Einschränkungen zu leiden haben.
„Dagegen verzeichnete das Gastgewerbe im Berichtszeitraum starke Rückgänge sowohl beim Umsatz (nominal: -33,5 % bzw. real: -34,8 %) als auch bei den Beschäftigten (-8,6 %)“, betonen die sächsischen Statistiker.
Und auch der Tourismus erlebte im ersten Halbjahr einen Einbruch bei den Übernachtungszahlen von 43,8 %.
Zwei andere Branchen hingegen konnten sogar Zuwächse verzeichnen.
„Im Bauhauptgewerbe erwirtschafteten 34.176 tätige Personen im 1. Halbjahr 2020 einen Gesamtumsatz von 2,6 Milliarden Euro. Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum war der Umsatz hier um gut drei Prozent höher, die Beschäftigtenzahl um zweieinhalb Prozent. Im Einzelhandel lagen die Umsätze von Januar bis Juni 2020 nominal 6,7 Prozent und real, d. h. unter Ausschaltung von Preiseinflüssen, 5,4 % über dem Vorjahresniveau. Die Beschäftigtenzahl war um 1,5 Prozent höher.“
Und warum jammern ARD und andere Medien so?
„Im Frühjahr hatten die Expertinnen und Experten noch ein Minus von 4,2 % für 2020 angenommen“, schreibt z. B. die „Zeit“. Die Prognose stammte also aus einer Zeit, zu der noch nicht zu ahnen war, welche Folgen Corona weltweit auch noch im Herbst 2020 haben würde. Die Wirtschaftsinstitute hatten schlicht noch keine Datengrundlage, auf der sie belastbare Zukunftsprognosen abgeben konnten. Die jetzt vorliegenden Daten sind wesentlich belastbarer – auch weil sie deutlicher zeigen, wo es besonders heftige Einbrüche gab. Und wo nicht.
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