Die Kleinverlage in Deutschland sind schon oft totgesagt worden, und in der Tat sinkt ihre Zahl von Jahr zu Jahr: Allein von 2.019 kleinen Verlagen im Jahr 2013 sank ihre Anzahl auf 1.850 im Jahr 2017. Das entspricht einem Rรผckgang um rund acht Prozent. Dennoch scheint sich diese Gruppe innerhalb der Verlagsbranche immer noch recht sicher zu sein, auch in Zukunft ein relevanter Teil der deutschen Kulturlandschaft zu sein, meint zumindest Prof. Friedrich Figge, seit 2004 Lehrstuhlinhaber fรผr Electronic Publishing und Multimedia an der HTWK Leipzig.
Laut der jetzt vorgelegten Studie der Hochschule fรผr Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) kรถnnte dies fรผr viele Verlage jedoch ein folgenschwerer Irrtum sein: Die Mehrheit der deutschen Kleinverlage โ in der Studie erstmals aufgeteilt in verschiedene Strategiecluster โ ist nach den Erkenntnissen der Studie langfristig nicht wettbewerbsfรคhig.
โUnsere Untersuchung des Buchmarktes zeigt, welche Chancen und Risiken fรผr die einzelnen Verlagscluster bestehen. Dabei sieht es fรผr einen Groรteil der Verlage nicht rosig aus, wenn sie nicht ihre Zukunftsstrategien anpassenโ, sagt Prof. Friedrich Figge, der die Studie geleitet hat.
Als bedenklich bezeichnen die Autorinnen und Autoren die Tatsache, dass sich etwa drei von vier befragten Unternehmen von der Digitalisierung nicht bedroht fรผhlen und den Markt nur unsystematisch beobachten. Fรผr sie sind das gedruckte Buch und der stationรคre Handel weiterhin Kern ihrer Arbeit, obwohl die Marktanteile sinken, wie Figge die Problematik beschreibt: โSollten diese Verlage weiterhin den digitalen Wandel ignorieren, werden sie der รnderung der Medienlandschaft auf Dauer nicht gewachsen sein.โ
Laut Figge ist der Grund fรผr die dรผsteren Aussichten vor allem die mangelnde Vorbereitung der Verlage auf die Verรคnderungen durch die Digitalisierung, sei es der Einfluss auf das Leseverhalten, den Wettbewerb durch neue Unterhaltungsmedien wie Streamingdienste oder die Auswirkungen auf Produktion und Vertrieb von Verlagsprodukten.
Allerdings konnten im Gegensatz dazu kleinere Verlags-Gruppen identifiziert werden, denen es gelungen ist, im digitalisierten Marktumfeld erfolgversprechende Nischen zu besetzen. In der Studie werden sie โDigitaleโ, โDienstleisterโ und โAvantgardeโ genannt. Entsprechend konnte einem Viertel der Befragten bescheinigt werden, die Mรถglichkeiten der Digitalisierung zu ihrem Vorteil zu nutzen. Sie kรถnnten daher, so die Studie, als Vorbilder fรผr die beiden noch nicht zukunftsfรคhigen Gruppen โTraditionalistenโ und โEinsteigerโ dienen.
Geht es wirklich nur um Digitalisierung?
Die Fokussierung auf die Digitalisierung aber kรถnnte ein Problem sein. Denn nicht alle Leserinnen und Leser mรถgen E-Books, die immerhin ein Teil dieser Digitalisierung sind.
Laut Statista erhรถhte sich der Umsatzanteil von E-Books in Deutschland von 2010 bis 2014 zwar deutlich von 0,5 auf 4,3 Prozent, verharrte aber bis 2019 dann eher bei 5 Prozent. Erst im ersten Halbjahr 2020 gab es einen neuen Sprung auf 7,5 Prozent, was sichtlich durch die Corana-Pandemie bedingt war: Viele Leser/-innen gingen nicht mehr in den Buchladen, sondern luden sich lieber ohne Auรenweltkontakt ein elektronisches Buch auf ihr Lesegerรคt.
Zur Digitalisierung gehรถren natรผrlich auch die Vertriebswege. Klรผgere Verlage bieten ihre Bรผcher auf der eigenen Homepage schon lange im Shop an und versenden sie auch selbst und รผberlassen das Geschรคft auch nicht dem alles verschlingenden Internet-Giganten Amazon.
Und das Marketing darf nicht vergessen werden. Aber spรคtestens an dieser Stelle geht es um die Frage: Wie viel Geld haben die kleinen Verlage dafรผr รผberhaupt noch in der Hinterhand, erst recht nach dem Ausfall der groรen Buchmessen und der wichtigen Lesereihen, auf denen sie sonst nicht nur Bรผcher und Autor/-innen promotet haben, sondern oft auch den Buchverkauf angekurbelt haben?
Denn entgegengesetzt zur Digitalisierung gibt es auch den Trend zu anderen, nicht-klassischen Leserkontakten und Vertriebsformaten, denn den Weg รผber die Standardsortimente der Buchhandlungen kรถnnen viele Kleinverlage schon lange nicht mehr gehen. Dort dominieren die groรen Verlage mit ihren Produktionen.
Zu wenige Antworten in der Corona-Zeit
Und es gibt noch ein Problem mit der Studie: Sie ist zu klein geraten. Auch durch Corona. Denn die meisten Kleinverlage haben รผberhaupt nicht geantwortet, weil die komplette Mannschaft bzw. Frauschaft im Homeoffice war.
Die Studie wurde kurz vor Beginn der COVID-19-Pandemie, im Frรผhjahr 2020, durchgefรผhrt, betont die HTWK. Rund 1.700 Kleinverlage wurden angeschrieben, aber nur 89 haben geantwortet. Davon waren 61 auswertbar, und 36 konnten zur Clusteranalyse herangezogen werden. Macht gerade einmal 3,5 Prozent Beteiligung.
Was dann die Schlussfolgerungen, die Figge zieht, eher als These erscheinen lรคsst.
Was bedingt die Digitalisierung tatsรคchlich an รnderungen?
โEine รnderung in der Strategie der Kleinverlage wird nur eintreten, wenn sie das Ausmaร der digitalen Revolution erkennen und darauf reagieren wollen โ und kรถnnen. Dabei kรถnnten die Strategien der drei kleineren genannten Gruppen als Vorbild dienen. Als erster Schritt zur Rettung betroffener Verlage muss daher eine dauerhafte und realistische Vermittlung der Marktsituation in Zeiten der Digitalisierung auf eine Weise sein, die fรผr Kleinverlage glaubwรผrdig und รผberzeugend istโ, meint Figge.
Und er vermutet: Um innovative Produkte und Geschรคftsmodelle zu entwickeln und um Produktion und Vertrieb digital zu gestalten, bedรผrfe es einer Zusammenarbeit der Verlage bei Standards sowie kooperativer Entwicklungen. Eine deutlichere Ausrichtung des Bรถrsenvereins โ eines eingetragenen Vereins mit Sitz in Frankfurt/Main, der die Interessen aller Handelsstufen im Buchhandel vertritt โ auf solche Kooperationen, zum Beispiel durch Verstรคrkung der jeweiligen Interessengemeinschaften, und eine gezielte Wissensvermittlung รผber erfolgreiche Digitalisierungsstrategien kรถnnte dies fรถrdern.
Erstaunlicherweise verweisen die Studienautoren und -autorinnen auf bereits bestehende Initiativen zur Verlagsfรถrderung, wie den neuen โDeutschen Verlagspreisโ (2019 erstmals verliehen), der das verlegerische Engagement der kleinen Verlage erstmals und eindrรผcklich wรผrdigt โ ohne Bezug auf Digitalisierung.
Der Verlagspreis entstand nach einem ziemlich langen Lernprozess, in dem auch dem zustรคndigen Bundesministerium so langsam klar wurde, wie unersetzlich die Kleinverlage bei Aufbau neuer, begabter Autor/-innen und bei der Besetzung von wichtigen Nischen sind, die von Groรverlagen gar nicht abgedeckt werden. In einem Buchmarkt, in dem seit Jahren gilt, dass die Groรen die Marktbedingungen allein bestimmen, haben solche unabhรคngigen Verlage (die sich oft auch bewusst so nennen) so gut wie keine Chance.
Sie brauchen andere und phantasievollere Vertriebswege. Da kรถnnte Digitalisierung eine groรe Rolle spielen.
Wohingegen viele das auch von der HTWK angepriesene Programm โDigital Jetztโ des Bundeswirtschaftsministeriums gar nicht nutzen kรถnnen, mit dem beispielsweise Investitionen in Technologien und Qualifizierung bezuschusst werden. Ihnen fehlt schlicht das eigene Investitionskapital, um diese Zuschรผsse zu beantragen.
โOptimal wรคre, wenn die Bundesregierung kรผnftig bei Fรถrderprogrammen einen Weg finden kรถnnte, den Eigenanteil dieser Investitionen der Kleinverlage teilweise zu รผbernehmenโ, regt Figge an.
Die Studie โZukunftskompetenzen von kleinen und mittelgroรen Verlagen (KMV) im digitalen Wandelโ, Mรผnchen: AVM, 2020. ISBN: 978-3-95477-119-6; ca. 75 Seiten โ erscheint voraussichtlich vor der Frankfurter Buchmesse (14.โ18.10.2020), die ja bekanntlich als โspecial editionโ veranstaltet wird: โIn diesem Jahr pandemiebedingt ohne klassische Hallenausstellung, dafรผr mit zahlreichen neuen digitalen Formaten, einem umfangreichen Liveprogramm auf der ARD-Buchmessenbรผhne in der Festhalle, rund 80 Veranstaltungen im Rahmen des BOOKFEST city in Frankfurt und einem illustren Line-up beim BOOKFEST digital.โ
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Da habe ich eher den Verdacht, dass die meisten Verlage andere Probleme haben, als ein โAnschreibenโ zu beantworten, das ihnen dann ihre โWettbewerbsunfรคhigkeitโ bescheinigt ^^
Ihr hattet mal, wie immer dankenswerterweise <3, auf die Landeszentrale fรผr politische Bildung Thรผringen (www.lzt-thueringen.de/index.php?article_id=3), mit ihren sehr interessanten und preiswerten Wissensbรผchern, aufmerksam gemacht:
https://www.l-iz.de/bildung/buecher/2019/10/Computer-in-der-DDR-Rene-Meyer-erzaehlt-die-durchaus-beeindruckende-Mikroelektronik-Geschichte-des-Ostens-297950
Da hatte ich mal angefragt, warum es die Bรผcher nicht als Download gibt.
Die Antwort: "dass es keinen Download gibt, hรคngt mit den Fotorechten zusammen. Die Onlinerechte mรผssen separat erworben werden, was nochmals Geld kostet."
Irgendwie geht es ja in diesem "neuen" Internet immer wieder um die "betrachterunfreundlichen" Urheberrechte. (In der Mediathek kann man so z.B. auch, bestimmte TV-Filme nicht live schauen trotz GEZ.)
Solange es kein digitales "Copy-Right-System" analog der analogen Welt gibt, bleiben E-Books mit Abbildungen einfach zu teuer. Von der Haptik und Haltbarkeit eines gedruckten Werkes hier mal abgesehen.