Deutschland ist ja so ein besonders zu großen Konzernen sehr freundliches Land. Da ist man zwar Teil der EU und unterschreibt auch wichtige Regularien, die die Umweltbelastung verringern und der Gesundheit der Menschen guttun sollen. Aber so richtig ernsthaft in die Pflicht will man die Konzerne nicht nehmen. Das Ergebnis ist bei Autoabgasen, fairer Produktion oder Nitratbrühe im Grundwasser überall dasselbe: Es passiert viel zu wenig. Die Themen werden ausgesessen.

Am Donnerstag, 9. Juli, veröffentlichten die Bundesministerien für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und für Ernährung und Landwirtschaft ihren gemeinsamen Nitratbericht 2020. Der Text klingt zwar seitenweise sehr entschuldigend und relativierend, etwa so wie auch in der Pressemeldung des Bundesumweltministeriums dazu: „An der Mehrzahl der Messstellen für die Fließgewässer zeigt sich in den Jahren 2016 bis 2018 im Vergleich zum ersten Erhebungszeitraum 1991 bis 1994 bei den Nitratkonzentrationen ebenfalls ein leicht abnehmender Trend.“

Und das Schwanken der Messwerte sei ja auch von der Witterung beeinflusst: „Die Bilanzen unterliegen, aufgrund von jährlichen und witterungsbedingten Ertragsschwankungen, hohen Schwankungen. Insgesamt zeigt sich trotz der vorliegenden Schwankungen seit dem Jahr 2009 ein leichter Anstieg des Bilanzsaldos.“

Aber in Wirklichkeit belegt der Bericht wieder einmal, dass sich die hohen Nitrat- und Phosphorbelastungen im Grundwasser, in Seen und Flüssen und den Küstengewässern nur senken lassen, wenn die industrielle Überdüngung aus der Landwirtschaft ein Ende findet.

Die hohe Nitratbelastung im Grundwasser ist auch deshalb ein Problem, weil viele Kommunen hier ihr Trinkwasser gewinnen und entsprechend teuer das gewonnene Grundwasser erst einmal reinigen müssen.

In Seen und Flüssen sorgen die hohen Nitratbelastungen für massives Algenwachstum, lassen manche Gewässer regelrecht umkippen.

Nitratbelastung im Grundwasser. Rote Punkte: Grenzwertüberschreitungen. Karte: BMU, Nitratbericht 2020
Nitratbelastung im Grundwasser. Rote Punkte: Grenzwertüberschreitungen. Karte: BMU, Nitratbericht 2020

Die entsprechenden Karten zur Wasserbelastung sind deshalb auch insbesondere dort mit roten Punkten gespickt, wo besonders intensiv Landwirtschaft im industriellen Maßstab betrieben wird.

Die Folge fürs Grundwasser: „Im aktuellen Berichtszeitraum 2016–2018 weisen 26,7 % der Grundwassermessstellen des EU-Nitratmessnetzes im Mittel Konzentrationen größer 50 mg/l Nitrat auf. Im vorherigen Berichtszeitraum (2012–2015) betrug dieser Anteil noch 28,2 %, sodass im Vergleich der gemeinsamen Messstellen eine geringfügige Verbesserung festzustellen ist.

Der Anteil der unbelasteten oder nur gering belasteten Messstellen bis 25 mg/l bleibt im aktuellen Zeitraum 2016 bis 2018 mit 49,6 % im Vergleich zum vorigen Berichtszeitraum (2012–2015) mit 49,0 % auf nahezu gleichem Niveau. Dies trifft auch für den Konzentrationsbereich von 25 bis 50 mg/l mit einem Anteil von 23,7 % im Vergleich zu 22,8 % im Zeitraum 2012–2015 zu .“

In der Deutschlandkarte taucht dann die Region Westsachsen mit einem ganzen Cluster roter Punkte für Messwerte von mehr als 50 mg/l Nitrat im Grundwasser auf.

Wenn zu viel Dünger auf die Felder kommt, fließt das Zeug aber nicht nur ins Grundwasser, sondern auch in die Bäche und Flüsse. Dort wird wesentlich lückenhafter gemessen. Und der Bericht geht fast entschuldigend darauf ein, dass Nitrat und Phosphor natürlich verdünnt werden, je mehr Wasser da fließt. Entsprechend schnell sinken die Werte.

Nitratbelastung im Grundwasser mit entsprechenden Quellen. Grafik: BMU, Nitratbericht 2020
Nitratbelastung im Grundwasser mit entsprechenden Quellen. Grafik: BMU, Nitratbericht 2020

Aber die beigegebene Karte zeigt, dass gerade die Flüsse in der Leipziger Region trotzdem massiv mit landwirtschaftlichen Düngerückständen belastet sind. Die Saale bringt schon aus Thüringen so viel Nitrat mit, dass sie bis Halle nie über die Güteklase III hinauskommt. Dasselbe gilt für die Weiße Elster. Parthe und Mulde werden in diesem Messnetz nicht ausgewiesen. Aber die sächsische Gewässerüberwachung zeigt auch für sie einen hochbelasteten Zustand.

Eigentlich ist seit Jahren klar, was passieren müsste. Angefangen von einem deutlichen Rückbau der Massentierhaltung, die all die Mengen überflüssiger Gülle produziert, über die Einführung einer ökologischen Landwirtschaft, die kleinteiliger und abwechslungsreicher produziert, bis zur Anlage von Gehölzen, Feldrainen und Wiesen, die die massive Erosion der Böden verhindern.

„Wir Bäuerinnen und Bauern sind bereit für mehr Grundwasserschutz“, sagte am Donnerstag Martin Schulz, Neuland-Schweinehalter und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V.. „Dass dieser dringend notwendig ist, zeigt abermals der heute veröffentlichte ,Nitratbericht 2020‘. Die Bundesregierung, insbesondere die zuständige Ministerien Julia Klöckner, muss hierfür nun endlich einen entsprechenden politischen Rahmen setzen, der die landwirtschaftliche Praxis mitdenkt. Die erst kürzlich beschlossene Düngeverordnung greift hierfür zu kurz und führt im Berufsstand zu Frust.

Damit wir die Ursachen der Nitratbelastung in den Griff bekommen, braucht es eine Abkehr von der auf Export und Import basierenden Weltmarktorientierung. Denn nicht zuletzt der massive Soja-, und damit auch Nährstoffimport, führt hierzulade zu Nährstoffüberschüssen. Alternativ brauchen wir endlich eine lokale Qualitätsproduktion, die für Bäuerinnen und Bauern Planungssicherheit und gerechte Preise bietet. Der Anbau heimischer Futterpflanzen und eine artgerechte und flächengebundene Tierhaltung sind gelebter Grundwasserschutz. Die gestern vom Bundeskabinett eingesetzte ,Zukunftskommission Landwirtschaft‘ muss dieses grundsätzliche Umsteuern in der Agrarpolitik nun anpacken und gestalten.“

Entwicklung der Güteklassen der deutschen Fließgewässer. Grafik: BMU, Nitratbericht 2020
Entwicklung der Güteklassen der deutschen Fließgewässer. Grafik: BMU, Nitratbericht 2020

Denn Hintergrund des Berichtes ist nun einmal das von der EU-Kommission 2017 gegen Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren „wegen mangelnder Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie“. Denn wo die beiden Ministerien eine leichte Verbesserung sehen wollen, konnte die EU 2016 nur feststellen, dass die Zielvorgaben 2016 nicht erreicht wurden. So sollten zum Beispiel sämtliche Fließgewässer mindestens die Gewässergüte II erreicht haben (nach Farben in der oben stehenden Grafik: ab Dunkelgrün).

Und wie das so ist in Deutschland, regten sich die Ministerien erst nach Einleitung des Verfahrens und überarbeiteten z. B. die Düngeverordnung (DüV), „um die Wirksamkeit zur Reduzierung der Gewässerbelastung und der Eutrophierungsgefährdung zu verbessern.“ Die trat im Mai in Kraft. Aber sie wird wieder nicht die Vorgaben erreichen, kritisiert die AbL.

Und auch Leipzig kann sich aus der Debatte nicht heraushalten. Denn der Stadtrat hat schon vor über zehn Jahren beschlossen, Landwirtschaftsflächen in städtischer Hand vorrangig in ökologische Bewirtschaftung zu vergeben. Das aber ist nicht passiert.

Was nicht heißt, dass nicht einige Landwirtschaftsbetriebe daran gearbeitet haben, die Düngermengen durch genaueres und digital gesteuertes Düngen zu verringern, was die Stoffeinträge von den Äckern messbar gesenkt hat. Aber eben nicht ausreichend. Und gerade in Westsachsen ist eine gemeinsame Bemühung, die Gewässer endlich sauberer zu bekommen, überfällig.

Antworten zu Nitratmessungen in Sachsen sind jetzt online

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