Während die Politiker sich selbst auf die Schultern klopften, demonstrierte draußen „Fridays for Future“. Nur wenige Stunden nach dem Deutschen Bundestag stimmte am Freitag, 3. Juli, der Bundesrat dem Kohleausstiegsgesetz und dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen zu. Somit sind die Rahmenbedingungen für den Ausstieg aus der Kohleverstromung geschaffen worden, freute sich Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig. Und liegt wohl ziemlich daneben.
Die Kritik bekam er quasi im Seitenumblättern vom Spiegel, wo Gerald Traufetter am Freitag den ostdeutschen Ministerpräsidenten indirekt falsche Panikmache vorwarf: „Schuld an der lauen Umsetzung haben vor allem die Ost-Ministerpräsidenten, die die Bundesregierung erpresst haben. Mit dem Vertrag zwischen Regierung und Kraftwerksbetreibern, der nun nach der Sommerpause vom Parlament ratifiziert werden soll, würden nach der jetzigen Regelung Milliardensummen fließen, die viel höher ausfallen als der Schaden, den die Konzerne eigentlich haben.“
Beide Gesetze bedingen einander, meldete das Sächsische Wirtschaftsministerium. „Um sie hat der Freistaat Sachsen zusammen mit den anderen Ländern mit dem Bund lange hart gerungen. Für Sachsen und für Deutschland ist heute ein wichtiger Tag auf dem Weg hin zu einem besseren Schutz des Klimas und gleichzeitig ein wichtiger Schritt, die wirtschaftliche Zukunft in den Revieren zu entwickeln.“
„Die heutige Zustimmung des Bundesrates zu beiden Gesetzen ist ein entscheidender Schritt und ein wichtiges Signal für die Menschen in den Revieren. Jetzt können wir dort bei der Strukturentwicklung endlich aus der Gesetzgebung in die Umsetzung kommen“, sagte der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig in seiner Rede vor dem Bundesrat.
„Der geplante Kohleausstieg bis spätestens 2038 ist eine politische Entscheidung, daher hat die Politik auch eine große Verantwortung für die davon betroffenen Menschen. Der Bund erkennt nicht nur den Unterstützungsbedarf der Reviere an, sondern stellt deren Förderung auch auf eine verbindliche und verlässliche Grundlage. Dennoch liegt noch viel Arbeit vor uns. Gemeinsam mit der kommunalen Familie, mit den Unternehmen der Regionen, dabei gerade auch mit den Unternehmen der Energiewirtschaft und insbesondere mit den Menschen vor Ort werden wir diese Aufgabe meistern.“
2038? Eine Katastrophe. Zuallererst fürs Klima
Wenn Deutschland auch nur daran denken will, seine Klimaziele zu erreichen, müssen sämtliche Kohlemeiler bis 2030 vom Netz gehen.
Das im April 2019 veröffentlichte Forderungspapier von Fridays for Future forderte deshalb auch den deutschen Kohleausstieg bis 2030, die Beendigung der Subventionen für fossile Energieträger sowie die Abschaltung von einem Viertel der Kohlekraftwerkskapazitäten bis Ende 2019.
„Ein Kohleausstieg 2038 ist ökonomisch und ökologisch ein Desaster, das sagen selbst die Regierungsberater/-innen. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes zeigt die Bundesregierung, dass Lobbyinteressen in Berlin den Ton angeben. Das ist eine Kampfansage an die Klimabewegung mit Hinblick auf die nächstes Jahr anstehende Bundestagswahl“, erklärte FFF-Aktivist Quang Paasch aus Berlin am Freitag.
Und auch das Sächsische Umweltministerium widersprach der Euphorie des Wirtschaftsministers.
„Das Gesetz zum Kohleausstieg spiegelt nicht den breiten gesellschaftlichen Konsens, der mit dem Kohlekompromiss gefunden war. Das gefährdet die Stabilität der Vereinbarungen über die aktuelle Legislatur hinaus und gefährdet zudem die Pariser Klimaschutzziele“, erklärte am Freitag, 3. Juli, Sachsens Umweltminister Wolfram Günther, der auch für die Energiewende in Sachsen zuständig ist.
„Gut ist, dass Sachsen mit dem Strukturstärkungsgesetz und den darin zugesagten zehn Milliarden Euro für den Freistaat einen kräftigen Impuls bekommt, um Dekarbonisierung und Strukturwandel in den sächsischen Braunkohlerevieren zu gestalten.“
Und ein paar wichtige Regelungen haben in den Gesetzestext wenigstens Eingang gefunden, so Günther: „Unter anderem auf unseren sächsischen Druck hin ist das Thema der Ewigkeitslasten im Bereich Wasser nun Gegenstand eines eigenen Entschließungsantrags im Bundestag geworden. Es wäre grob fahrlässig gewesen, die tickende Zeitbombe der zehn Milliarden Euro Wasser-Ewigkeitslasten jetzt nicht auf den Tisch zu holen. Denn Investitionen in die Industrie in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier sind auch davon abhängig, dass Investoren auf ein funktionierendes Wassermanagement setzen können. Zudem würde es kaum helfen, wenn für den Strukturwandel dringend erforderliche Mittel aus dem sächsischen Haushalt zur Beseitigung von Bergbaufolgen eingesetzt werden müssten.“
Offen ist immer noch, ob auch Dörfer wie Mühlrose stehen bleiben können. Dazu sagte Günther: „Mit dem Kohleverstromungsbeendigungsgesetz haben wir zusätzliche Sicherheit für unsere Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag: Pödelwitz bleibt. Und in der Lausitz werden keine Flächen mehr in Anspruch genommen oder abgesiedelt, die für den Betrieb der Kraftwerke nicht mehr wirklich benötigt werden. Genau das jedoch ist nun im Variantenvergleich auf Basis aller Fakten und der realen Entwicklungen am Energiemarkt zu prüfen.“
Seine Erwartung: „Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird viel privates Kapital mobilisieren und regionalen Anlagenbauern und Handwerk einen deutlichen Konjunkturschub bringen. Nur mit dem Ausbau der Erneuerbaren wird Sachsen Energieland bleiben und den Strukturwandel in den Regionen bewältigen können.“
Dabei ist der Ausstiegsplan für die Kohlekraftwerke nicht einmal ambitioniert. Im Gegenteil: Die Kohlekonzerne haben sich mit den ausgehandelten Summen neue Zeiträume erhandelt, obwohl sie ihre Meiler schon längst an der Rentabilitätsgrenze fahren.
Das betonte auch Traufetter: „Denn die Entwicklung auf den Energiemärkten hat längst dafür gesorgt, dass selbst Braunkohlekraftwerke kaum noch Gewinne, viele sogar Verluste erwirtschaften. Das liegt daran, dass erneuerbare Energien immer billiger und die Preise für Emissionszertifikate immer teurer werden. Viele Klimaökonomen weisen darauf hin, dass sich die Kohleverstromung unter diesem Trend ohnehin von selbst erledigt hätte. Im Kohleausstiegsgesetz und dem Entschädigungsvertrag wird dieser Entwicklung nicht Rechnung getragen.“
Und den Kohlekonzernen ist viel zu viel Geld zugesagt. Ganz so, als säßen sie immer noch am längeren Hebel. Darüber berichtete der „Spiegel“ am 1. Juli in Bezug auf eine noch unveröffentlichte Berechnung des Freiburger Öko-Instituts im Auftrag der Umweltorganisation Klima-Allianz. Auch etliche ostdeutsche Meiler müssten eigentlich schon in den nächsten Jahren aus Rentabilitätsgründen abgeschaltet werden.
Die zugesagten Milliardensummen wären als Investitionen in erneuerbare Energien deutlich sinnvoller angelegt.
Die Erneuerbaren wachsen sowieso. Das meldete Günthers Ministerium am 2. Juli selbst: „Der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz hat am Donnerstag (2.7.) das Ziel ausgegeben, bis 2032 den Stromverbrauch in seinem Netzgebiet und damit auch in Sachsen zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken. Nach Aussage des Unternehmens lag der Anteil 2019 im Jahresmittel bei rund 60 Prozent.“
Wenn aber der Stromverbrauch in Sachsen bis 2030 zu 100 Prozent aus Erneuerbaren kommen soll, ist für Kohlestrom einfach kein Platz mehr. Dann können (und müssten) die Meiler vom Netz
Und in gewisser Weise setzt Günther auch darauf, dass genau das passiert. Denn er ließ sich mit den Worten zitieren: „Wenn wir die derzeit noch bestehenden Bremsen lösen, dann treten wir in den nächsten Jahren private Investitionen in Milliardenhöhe in der Energiewirtschaft los. Das ist nicht nur ein Konjunkturpaket für Sachsen, das zudem ohne Steuergeld auskommt, sondern bringt uns auf die Überholspur einer zukunftsfähigen, sicheren Energieversorgung und ist damit eine stabile Basis für Ansiedlungen und wirtschaftlichen Erfolg.“
50Hertz ist Betreiber des Übertragungsnetzes in den Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg. Da deutet sich etwas ganz Anderes an als ein Ausstieg bis 2035 (in Lippendorf) oder 2038 ( in der Lausitz), nämlich ein Feilschen der Kohlekonzerne mit der Politik, ihre Kraftwerke früher vom Netz nehmen zu dürfen und dafür entschädigt zu werden.
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