Seit drei Monaten beschรคftigt uns nun die Corona-Pandemie. Im Mรคrz mussten fast alle Betriebe ihre Geschรคfte herunterfahren โ zumindest รผberall dort, wo die wichtigsten Schutzregeln fรผr die Belegschaft nicht einzuhalten waren. Einige konnten weiterarbeiten โ wenn man an das Baugewerbe denkt โ oder mussten es sogar, wenn man etwa an Einzelhandel und Ernรคhrungsbranche denkt. Die Krise hat die Mitglieder der Industrie- und Handelskammern genauso getroffen wie die der Handwerkskammern aus Leipzig und Halle (Saale). Aber fรผr welchen Zeitraum gilt eigentlich die Aussage โCoronakrise stรผrzt mitteldeutsche Wirtschaft in Stimmungstiefโ?
Das ist gerade in der Coronazeit wichtig. Denn gerade die Wirtschaft hat ja frรผhzeitig darum gekรคmpft, dass die Allgemeinverfรผgungen wieder gelockert werden. An jedem Betrieb hรคngen Arbeitsplรคtze, Steuereinnahmen, Zukunft. Und mitten im Corona-Shutdown waren die รngste der befragten Unternehmen nur zu berechtigt. Jeder Unternehmer will wissen, womit er rechnen kann, wann er die Leute wieder zur Arbeit holen kann und auch wieder Auftrรคge reinkommen.
Die versammelten Kammern aus der Region Leipzig haben ihre gemeinsamen Befragungsergebnisse am Mittwoch, 17. Juni, in Halle bekannt gegeben.
โDie Auswirkungen der Corona-Eindรคmmungsmaรnahmen rufen in Mitteldeutschland eine branchenรผbergreifende Wirtschaftskrise hervorโ, schรคtzen sie die Zahlen ein, die sie gesammelt haben. Die Handwerkskammern sowie Industrie- und Handelskammern (IHK) aus Leipzig und Halle (Saale) prรคsentieren insgesamt 145.000 Unternehmen in der Region.
Thomas Keindorf, Prรคsident der Handwerkskammer Halle (Saale), und Kristian Kirpal, Prรคsident der IHK zu Leipzig, stellten die Ergebnisse am Mittwoch in Halle (Saale) vor und berichteten von einer Trendwende: Deutete sich schon vor der Pandemie eine gedรคmpftere, aber immer noch positive Konjunkturentwicklung an, hat der รผber Jahre hinweg anhaltende Wachstumsprozess des mitteldeutschen Wirtschaftsraumes nunmehr ein abruptes Ende gefunden.
Die Zahlen aus der Umfrage
Der Konjunkturklimaindex fรผr die mitteldeutsche Wirtschaft sinkt von sehr guten 83 Punkten im Frรผhjahr 2019 auf aktuell -20 Punkte, den niedrigsten Wert seit 2005. Die konjunkturelle Entwicklung vollzieht in allen Wirtschaftsbereichen eine deutliche Abwรคrtsbewegung. Wรคhrend die mitteldeutschen Unternehmen noch bis Februar 2020 eine freundliche Konjunktureinschรคtzung gaben, hat sich die Situation seitdem vรถllig verรคndert.
Alle Branchen โ mit Ausnahme der Bauwirtschaft โ melden nunmehr einen Lageindikator nahe der Nulllinie und stark einbrechende Geschรคftserwartungen. โWir erwarten fรผr 2020 sehr deutliche Umsatzeinbuรen, und in der Folge auch rรผcklรคufige Beschรคftigung in unseren Unternehmenโ, sagte Handwerkskammerprรคsident Thomas Keindorf.
IHK-Prรคsident Kristian Kirpal: โIm Sturzflug ist die Stimmung der regionalen Unternehmen sogar unter den Tiefststand der Wirtschafts- und Finanzkrise von vor elf Jahren zurรผckgefallen. Fรผr viele Unternehmen ist die Situation lรคngst existenzbedrohend. Eine schwere Rezession ist nicht mehr abzuwenden.โ
Die Kammerprรคsidenten verweisen auf die Langfristfolgen der weltweiten Coronakrise und fordern Hemmnisse und Erschwernisse fรผr Unternehmen auf den Prรผfstand zu stellen sowie weitere Kostenbelastungen unbedingt zu vermeiden.
โDie Politik sollte jetzt Konjunkturimpulse insbesondere im Investitionsbereich setzen, um schnell wieder aus der Rezession herauszufinden. Gleichzeitig mรผssen zusรคtzliche Steuer- und Abgabenlasten fรผr Unternehmen auf lange Sicht ausgeschlossen werden, um eine schnelle Erholung der Wirtschaft nicht abzuwรผrgenโ, betonte IHK-Prรคsident Kirpal. โEin deutliches Signal wรผrde zudem eine Deckelung der Steuerbelastung von Unternehmen bei 25 Prozent im Zuge einer groรen und รผberfรคlligen Unternehmenssteuerreform setzen.โ
Handwerkskammerprรคsident Keindorf forderte, der Berufsausbildung gerade in Krisenzeiten eine hohe Prioritรคt einzurรคumen. โDer Ausbildungsjahrgang 2020 darf nicht verloren gehen. Wir befรผrworten deshalb ausdrรผcklich die vorgesehenen finanziellen Hilfen fรผr ausbildende Betriebe. Eine baldige Rรผckkehr zur Normalitรคt bei Schulen und Ausbildung bleibt aber alternativlos.โ
Die mitteldeutschen Kammern unterstรผtzen die Landesregierungen in Sachsen und Sachsen-Anhalt bei allen Maรnahmen fรผr eine langfristig erfolgreiche Fachkrรคftestrategie fรผr den mitteldeutschen Wirtschaftsraum, erklรคrte Keindorf.
Die beiden Prรคsidenten mahnen die Gestaltung von wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen an, unter denen sich die Unternehmen in Mitteldeutschland weiterentwickeln kรถnnen und die Region fรผr Investoren attraktiv bleibt. Die Coronakrise dรผrfe den Blick jetzt nicht verengen. Die Belastungen aus der Energiewende mรผssten begrenzt und der Strukturwandel der mitteldeutschen Kohleregion vorangebracht werden.
Die Einschrรคnkung: Der Befragungszeitraum
Die Coronakrise ist keine gewรถhnliche Krise โ obwohl sie sehr wohl eine richtige Depression nach sich ziehen kann. Aber das verbindet sich eng mit der Frage, wie schnell die deutsche Wirtschaft aus dem Shutdown kommt und welche Branchen sich wieder stabilisieren.
Um die Umfrage einschรคtzen zu kรถnnen, braucht man zwingend den Befragungszeitraum: โAn der Umfrage beteiligten sich 1.606 Mitgliedsunternehmen der vier Kammern im krisenbedingt ausgeweiteten Befragungszeitraum von Ende Mรคrz bis Anfang Maiโ, liest man im Kleingedruckten.
Das heiรt: Die Umfrage bildet โ genauso wie die zuvor verรถffentlichte Frรผhjahrsumfrage der IHK, die Stimmung mitten im Shutdown ab, die Geschรคftsfรผhrer wurden genau in jenem Zeitraum befragt, in dem die strengsten Shutdown-Regeln galten, die Straรen fast leer waren und niemand wusste, ob Deutschland glimpflich aus der Pandemie auftauchen wรผrde, auch wenn die Zahlen aus dem April schon andeuteten, dass der Shutdown genau zum richtigen Zeitpunkt verhรคngt worden war, um die Epidemie in Griff zu bekommen.
Die Zahlen aus dem Sรคchsischen Landesamt fรผr Statistik deuten darauf hin, dass vor allem exportierende Unternehmen besonders heftig getroffen sind, dazu natรผrlich sรคmtliche Gastronomen, Kultur- und Messeveranstalter.
Das heiรt auch, dass viele Unternehmen ihr Geschรคftsmodell werden รคndern mรผssen. Denn die Coronakrise hat auch viele (Fehl-)Entwicklungen bloรgelegt, die vorher schon fรผr Verwerfungen sorgten. Auch im Handwerk, von dem man ja eigentlich annimmt, dass es immer gebraucht wird.
Aber auch einige Handwerksbranchen leiden unter den neuen Wildwest-Bedingungen eines unregulierten Online-Marktes, der in Corona-Zeiten zusรคtzlich Aufwind bekam: โAus den Handwerken fรผr persรถnlichen Bedarf, den Nahrungs- und Gesundheitshandwerken sowie den Kfz-Handwerken kommen fast nur negative Ausblicke. Geschรคftsschlieรungen, erwartete langfristige Konsumzurรผckhaltung und verรคnderte Kaufkanรคle (Internet) lassen viele Unternehmen skeptisch in die Zukunft blicken. Erwartet werden deutliche Umsatzrรผckgรคnge (Saldo der Erwartungen1 -43 Prozentpunkte) und auch Beschรคftigungsrรผckgรคnge (Saldo1 -19 Prozentpunkte)โ, kann man in der Auswertung lesen.
Aber wie gesagt: Das sind die Einschรคtzungen mitten aus dem Shutdown. Die zum Beispiel auch die drastischen Einschรคtzungen im Handel bedingen: โTrotz der differenzierten Lage sind die Geschรคftserwartungen der Branche durchweg รคuรerst skeptisch. Durch Kurzarbeit und drohende Arbeitslosigkeit sind Einkommenseinbuรen in den privaten Haushalten kaum zu verhindern.
Der Handel befรผrchtet aufgrund der sinkenden Kaufkraft eine steigende Kaufzurรผckhaltung der privaten Verbraucher. รber die Hรคlfte der Firmen geht von einer Verschlechterung ihrer Geschรคftslage aus, mehr als 60 Prozent rechnen in den kommenden Monaten mit sinkenden Umsรคtzen. Der Erwartungssaldo1 fรคllt dementsprechend drastisch um 53 auf -47 Prozentpunkte.โ
Wie die Konjunkturpakete greifen, die Bundes- und Landesregierungen geschnรผrt haben, war im April auf jeden Fall noch nicht abzusehen. Das wird erst die Herbstumfrage zeigen. Dann werden wir auch ein klareres Bild bekommen davon, wer relativ robust durch die Krise kommt und fรผr wen Corona der eine Schlag zu viel war, um das Geschรคft am Leben zu erhalten.
Im Mรคrz und April ging die Stimmung der Leipziger Wirtschaft durch die Corona-Krise erst einmal in den Keller
Hinweis der Redaktion in eigener Sache
Seit der โCoronakriseโ haben wir unser Archiv fรผr alle Leser geรถffnet. Es gibt also seither auch fรผr Nichtabonnenten unter anderem alle Artikel der LEIPZIGER ZEITUNG aus den letzten Jahren zusรคtzlich auf L-IZ.de รผber die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall zu entdecken.
Unterstรผtzen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tรคgliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikรคufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den tรคglichen, frei verfรผgbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit fรผr Sie.
Vielen Dank dafรผr.
Empfohlen auf LZ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher