Es war abzusehen, dass bei so einem Shutdown der Wirtschaft von der fast zehn Jahre lang anhaltenden Euphorie der sächsischen Wirtschaft nicht viel übrig bleiben würde. Zwei Monate haben genügt, um die Stimmung auf ein Niveau fallen zu lassen, wie es zuletzt in der Finanzkrise 2008/2009 verbucht wurde. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern im Freistaat Sachsen hat jetzt die Zahlen zur Konjunkturumfrage zum Frühjahr 2020 veröffentlicht.
Die weltweite Corona-Pandemie bestimmt gegenwärtig das Geschehen in der sächsischen Wirtschaft – mit dramatischen Auswirkungen auf die Unternehmen. Die Wirtschaft im Freistaat Sachsen ist in ihrer gesamten Breite schwer getroffen.
Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt die aktuelle Konjunkturumfrage der sächsischen Industrie- und Handelskammern, an der sich im Befragungszeitraum Ende April/Anfang Mai 1.120 Unternehmen aus Industrie, Baugewerbe, Einzel- und Großhandel, Dienstleistungen, Verkehr sowie Gast- und Tourismusgewerbe mit rund 70.000 Beschäftigten beteiligt haben.
Nach einer noch zu Jahresbeginn erkennbaren leichten Aufwärtsbewegung stürzt der IHK-Geschäftsklimaindex nunmehr von 120 auf 77 Punkte regelrecht ab. Er liegt damit zwei Punkte unter dem Tiefststand zu der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009. Die Verunsicherung der Unternehmen über die weitere Entwicklung ist aktuell ausgesprochen groß.
Die Beschränkung des Geschäftsbetriebes in vielen sächsischen Unternehmen hat eine drastische Verschlechterung der aktuellen Geschäftslage zur Folge. Nur noch 29 Prozent der Firmen beurteilen ihre derzeitige Geschäftslage als gut, aber 33 Prozent als schlecht. Der Saldo fällt gegenüber Jahresbeginn von 44 auf -4 Punkte, im besonders schwer getroffenen Gast- und Tourismusgewerbe sogar auf -92 Punkte.
Eine schwere Rezession als Folge der Coronakrise ist schon jetzt absehbar, auch weil eine schnelle wirtschaftliche Erholung angesichts andauernder Restriktionen momentan eher unwahrscheinlich ist. Dementsprechend pessimistisch beurteilen die sächsischen Unternehmen ihre Geschäftserwartungen. Der zu Jahresbeginn noch ausgeglichene Saldo aus positiven und negativen Geschäftsaussichten fällt nun auf minus 39 Punkte. Über die Hälfte der Firmen (51 Prozent) rechnet mit einer Verschlechterung der Geschäfte.
Investitionen gekürzt, Personalabbau unumgänglich
Aufgrund rückläufiger Aufträge bzw. Umsätze ist die Entwicklung der Inlandsnachfrage (62 Prozent) nunmehr der mit Abstand meistgenannte Risikofaktor der Betriebe, gefolgt von den Arbeitskosten (41 Prozent) und dem Fachkräftemangel (31 Prozent).
Angesichts der aktuellen Lage und unsicheren Prognosen korrigieren die sächsischen Unternehmen ihre Investitionsplanungen deutlich nach unten. Nur noch sieben statt zuletzt 21 Prozent der Firmen planen steigende Investitionsausgaben, ein Drittel wird ihre Investitionstätigkeit zurückfahren.
Auch die Auswirkungen der Coronakrise auf die Personalplanungen der Unternehmen sind immens. So haben im März und April über 46.000 sächsische Unternehmen Kurzarbeitergeld für mehr als 520.000 Mitarbeiter beantragen müssen. Ein Personalabbau wird sich indes auch durch das Instrument der Kurzarbeit nicht völlig verhindern lassen. So planen für die kommenden Monate 30 Prozent der Betriebe eine Reduzierung und nur noch sechs Prozent eine Aufstockung ihrer Mitarbeiterzahl. Die Beschäftigungsprognose fällt damit per saldo (-24 Punkte) schlechter aus als im Krisenjahr 2009.
Selbst innerhalb der Branchen sind die Auswirkungen sehr verschieden
Im Industriesektor hat sich die Lage vor allem durch zeitweise Betriebsschließungen und Auftragsrückgänge verschlechtert. Auch Störungen in den Lieferketten (national und international) führten zu Produktionsausfällen. Der Lage-Saldo fällt um 33 auf -8 Punkte. Aufgrund der weltweiten Rezession und damit verbundener Auftragsrückgänge sind auch die Geschäftsaussichten in der Industrie im Keller. Der Saldo stürzt von +31 auf -36 Punkte ab.
Trotz Stornierungen und rückläufiger Auftragseingänge profitiert das Baugewerbe momentan noch von seinem hohen Auftragsbestand. Der Saldo der Geschäftslage sinkt um 41 auf 35 Punkte, dem immer noch besten Wert aller befragten Wirtschaftsbereiche. Aufgrund massiver Produktions- bzw. Investitionskürzungen sehen auch die Unternehmen im Baugewerbe die Geschäftsaussichten äußerst kritisch (per saldo: -39 Punkte, Jahresbeginn noch +3).
Ein differenziertes Bild ist im Dienstleistungsgewerbe erkennbar. Hier sind besonders personennahe und veranstaltungsbezogene Dienstleister sowie die Kreativwirtschaft von den Auswirkungen der Coronakrise betroffen. Der Lagesaldo sinkt um 45 auf 11 Punkte. Die Erwartungen gehen per saldo von 9 auf -35 Punkte zurück.
Auch im Handel sind Unterschiede erkennbar. Während der Groß- und Versandhandel in den vergangenen Wochen tätig sein konnte, mussten große Teile des stationären Einzelhandels schließen. Im Ergebnis sinkt der Lagesaldo im Großhandel „nur“ um 20 auf 7 Punkte, im Einzelhandel jedoch um 62 auf -13 Punkte.
Der Erwartungssaldo liegt im Großhandel bei -24 Punkten. Der Einzelhandel ist noch pessimistischer. Die Branche befürchtet angesichts von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit eine starke Kaufzurückhaltung der privaten Verbraucher. Der Prognose-Saldo fällt um 38 auf -45 Punkte.
Im Verkehrsgewerbe ist die Betroffenheit ebenfalls unterschiedlich. Aufgrund von Ausgangs- bzw. Kontaktbeschränkungen sowie Reisebeschränkungen hat insbesondere der Personenverkehr mit starken Einschnitten zu kämpfen. Der Saldo der Geschäftslage verringert sich um 45 auf -10 Punkte. Aufgrund des Konjunktureinbruchs sinkt auch die Nachfrage nach Transportkapazitäten deutlich. Entsprechend skeptisch beurteilt das Verkehrsgewerbe seine Geschäftsaussichten. Der entsprechende Saldo sinkt um 24 auf -33 Punkte.
Am stärksten betroffen ist jedoch das Gast- und Tourismusgewerbe. Hier führten die Maßnahmen zu einer nahezu völligen Einstellung der Geschäftstätigkeit. Entsprechend melden über 90 Prozent der Betriebe eine schlechte Geschäftslage. Der Saldo von -92 Punkten erreicht einen bisher nie erzielten Negativwert. Auch die Aussichten sind mit großem Abstand (Saldo: -78) die pessimistischsten unter allen Wirtschaftszweigen.
Auswirkungen der Coronakrise auf die sächsische Wirtschaft
Für das Gesamtjahr 2020 rechnen mehr als 70 Prozent der Unternehmen mit Umsatzeinbrüchen, im Gast- und Tourismusgewerbe sogar 93 Prozent. Jedes achte Unternehmen rechnet in diesem Jahr mit einem Umsatzrückgang von mehr als 50 Prozent. Im Gast- und Tourismusgewerbe gehen sogar 62 Prozent der Betriebe mindestens von einer Halbierung ihrer Umsätze aus. Insgesamt 14 Prozent der Unternehmen erwarten keine Umsatzveränderung und nur drei Prozent eine Umsatzsteigerung.
Die Unternehmen bekommen die Auswirkungen der Coronakrise mehrfach zu spüren. In fast der Hälfte der Betriebe fallen Mitarbeiter aufgrund fehlender Kinderbetreuungsangebote aus. Jeweils über 40 Prozent beklagen die Stornierung von Aufträgen und Dienstleistungen sowie ausbleibende Kunden.
In 37 Prozent der Betriebe wirken sich die Reiseverbote und Reisebeschränkungen negativ auf die Geschäftstätigkeit aus. Jeweils ein Viertel der Unternehmen berichtet von Produktionsrückgängen bzw. -ausfällen sowie von fehlenden Waren und Zulieferprodukten.
Die Liquidität der Unternehmen sinkt aufgrund fehlender oder geringerer Einnahmen deutlich. So melden bereits 27 Prozent der Firmen Liquiditätsengpässe. Infolge der starken finanziellen Belastungen und der unsicheren Perspektiven sehen sich aktuell 7 Prozent der Unternehmen in ihrer Existenz gefährdet.
Im Gast- und Tourismusgewerbe liegt dieser Anteil sogar bei 40 Prozent. Dies zeigt die ganze Dramatik der Krise. 17 Prozent der Betriebe berichten darüber hinaus von Logistik- und Transportproblemen. In 14 Prozent kommt es zu Beeinträchtigungen bei der betrieblichen Ausbildung.
Die massiven Auswirkungen unterstreichen die Notwendigkeit staatlicher Hilfsmaßnahmen. Für die Unternehmen die mit Abstand höchste Relevanz hat das Kurzarbeitergeld, das von 61 Prozent der Betriebe genutzt wird. Jedes vierte Unternehmen beantragt Steuerstundungen bzw. die Herabsetzung von Steuervorauszahlungen. Aufgrund der Förderbestimmungen nutzt nur etwa jede fünfte Firma Soforthilfen in Form von Zuschüssen.
In der anspruchsberechtigten Gruppe der Unternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten steigt dieser Anteil auf fast die Hälfte. Darlehen ziehen aufgrund des Verschuldungsrisikos nur 15 Prozent („Sachsen hilft sofort“), 11 Prozent (KfW-Darlehen) bzw. 8 Prozent (Kredite der Hausbank) der Betriebe in Betracht. Immerhin fast 28 Prozent der Unternehmen kommen ohne staatliche Unterstützung aus.
Seit dem 20. April werden die Beschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie im Freistaat schrittweise zurückgenommen. Diese Vorgehensweise wird vom Großteil der sächsischen Unternehmen (55 Prozent) mitgetragen. Mehr als jede dritte Firma (37 Prozent) bewertet die Lockerungsmaßnahmen als zu zögerlich. Vor allem im besonders betroffenen Gast- und Tourismusgewerbe sowie im Großhandel ist der Anteil der Betriebe, die sich eine zügige Rückkehr zur Normalität wünschen, mit jeweils 48 Prozent am höchsten.
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