Bis zu 5.000 Traktoren rollten am Dienstag, 26. November, durch Berlin, meldete der „Spiegel“. Es war der größte Bauernprotest, den die Bundeshauptstadt bis jetzt erlebt hat. Die Bauern sind wütend und sie sind zu Recht wütend, denn sie leiden seit Jahren unter der (falschen) Subventionspolitik der EU und der Billigpolitik für Agrarprodukte. Dass er aber überhaupt nicht begriffen hat, was da passiert, das machte am Dienstags Sachsens Noch-Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt (CDU) deutlich.
Er meldete sich zu Wort, als sei er in seinen fünf Jahren Verantwortung für die Landwirtschaft in Sachsen überhaupt nicht verantwortlich dafür, dass die Bauern nicht mehr ein noch aus wissen.
„Ich verstehe die Verärgerung der Landwirte gut. Man kann es auch Ohnmacht nennen, wenn man erlebt, wie pauschal auf diese Branche eingeprügelt wird“, diktierte der oberste Verantwortliche für die sächsische Landwirtschaft, als wäre er nur ein kleiner wütender Provinzpolitiker, der den Zorn der Bauern jetzt in eine lautstarke Forderung an „die Politik“ ummünzt. Schuld sind immer die anderen.
„Die Landwirtschaft ist leider zu einem politischen Kampfplatz verkommen: Mit immer neuen Verboten und Richtlinien soll den steigenden Anforderungen an Umweltschutz und Tierwohl nachgekommen werden, während der Handel nicht bereit ist, diesen Einsatz zu honorieren. Gleichzeitig werden die Landwirte an den Pranger gestellt und der gesamte Berufsstand für den Klimawandel und den Rückgang der Artenvielfalt fast allein verantwortlich gemacht.“
Die einzig Verantwortlichen sieht der CDU-Mann ausgerechnet in Berlin und Brüssel, wo seit Jahren konservative Parteien die Landwirtschaftspolitik bestimmen. Und dass immer wieder im Interesse der großen Lobbyverbände der Agrarwirtschaft, die die industriellen Großstrukturen bevorzugen und bei der Fördermittel-Verteilung auch bevorteilen.
An den Rand gedrängt werden die kleinen Bauern und Familienbetriebe, die diese Jagd nach billigster Landwirtschaftsproduktion einfach nicht durchhalten.
Auf ganz andere Weise bestätigt durch die Großdemonstration sieht sich die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Mitteldeutschland (AbL). Für sie fallen die Bauernproteste nicht vom Himmel. Viel zu lange hätten die Verantwortlichen in der Politik es versäumt, die notwendigen Veränderungen in der Landwirtschaft mit den Bäuerinnen und Bauern und mit anderen Teilen der Gesellschaft gemeinsam zu erarbeiten und dann gezielt umzusetzen.
Schmidt hat das zwar so behauptet für sein Ressort: „Unsere Politik in Sachsen ist auf Verbesserungen für die Umwelt auch durch die Landwirtschaft ausgerichtet. Aber wir agieren nicht gegen die Landwirte sondern mit ihnen, nicht mit Verboten und Gängelei sondern mit Innovationen und technischem Fortschritt. In Sachsen ist es gelebte Praxis …“
Aber die Wirklichkeit sieht anders aus
Über Kosmetik gehen auch die sächsischen Programme nicht hinaus. Sie ändern nichts am Grundproblem: Dass die Dumpingpreise, die die monopolistischen Einzelhandelsketten zahlen, nur mit all den negativen Folgen in der Landwirtschaft zu haben sind, die die EU-Regelungen versuchen irgendwie noch zu einzufangen. Solange sich an dieser Abhängigkeit nichts ändert, sind die Bauern, die sehr wohl gern ökologisch und als Landschaftsschützer wirken würden, machtlos.
„Es ist richtig, Frust und Wut über die schwierige Lage auf unseren Höfen und über die ungeklärten Fragen der Zukunft nicht herunterzuschlucken, sondern aufzustehen und mit oder ohne Trecker für den Erhalt und die Zukunft der Betriebe zu demonstrieren“, sagt Michael Grolm, Landesvorsitzender der AbL Mitteldeutschland dazu.
„Über Jahrzehnte gab es von Politik, Wissenschaft und Verbänden die Ansage, dass wir es richtig machen, wenn wir die internationale Kostenführerschaft mit billigen Preisen anstreben und dafür schnelle und große Wachstums- und Intensitätsschritte vollziehen. Dieses Agrarmodell der Rationalisierung stößt jetzt immer deutlicher an wirtschaftliche, ökologische, gesellschaftliche und politische Grenzen.“
Denn für diese Billigproduktion zahlen die Bauern mit dem Verlust ihrer Existenz.
Grolm: „Wir erzielen keine fairen Preise und kein ausreichendes Einkommen für unsere Arbeit, die Auswirkungen auf Umwelt und Natur werden stärker wahrgenommen und – was sehr bedenklich für uns ist – wir drohen bei einem Weiter-So die Unterstützung der Gesellschaft zu verlieren. Die Bundesregierung reagiert spät auf den öffentlichen Druck und will nun mit Gesetzen und Verboten gegensteuern. Das kann aber noch mehr Berufskollegen und Berufskolleginnen zur Aufgabe ihrer Höfe bringen. Das wollen wir nicht. Aus dieser Situation kommen wir nur heraus, wenn wir uns alle in die Pflicht und in die Verantwortung nehmen. Bäuerinnen und Bauern, Verbraucher- und Umweltbewegung, Lebensmitteleinzelhandel, Milch- und Fleischunternehmen und Politik sind jetzt gefordert aufeinander zuzugehen.“
Auch er sieht, dass viele Bäuerinnen und Bauern bereit sind, sich für Artenvielfalt und Klimaschutz praktisch einzusetzen.
„Das ist doch in unserem ureigenen Interesse“, sagt Grolm. „Es sind viele bereit, auf artgerechte Tierhaltung zu setzen und den Umbau der Tierhaltung anzugehen. Wir können das und sind dabei auch bereit, frühere Wachstums-Leitbilder infrage zu stellen und zu korrigieren. Ganz gleich, ob größere oder kleinere Betriebe, ganz gleich, ob konventionell oder biologische Wirtschaftsweise – wir alle sind in unserer bäuerlichen Arbeit von politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig.“
Die Bundesregierung müsse deshalb mit allen Beteiligten eine Nutztierstrategie, eine Ackerbau- und eine Grünlandstrategie vorlegen, aus der klar hervorgeht, welche Ziele angepackt und umgesetzt werden sollen, in welcher Zeit dies erfolgen soll, was das für unsere Höfe kostet und welche finanzielle Unterstützung dafür genutzt bzw. geschaffen wird.
„Es muss endlich darum gehen, nicht den Ausstieg aus der Landwirtschaft zu forcieren, sondern den noch vorhandenen Höfen eine wirtschaftliche Perspektive aufzuzeigen“, betont Grolm.
„Die Bundesregierung muss mit uns darüber verhandeln, wie sie eine Qualitätsstrategie umsetzen will, die unsere Erzeugnisse auf regionalen Märkten nach vorne bringt, anstatt unsere heimische Landwirtschaft den Exportinteressen mit Freihandelsabkommen wie Mercosur zu opfern. Die Bundesregierung muss erklären, wie sie das Spannungsfeld der notwendigen Veränderungen zusammenbringen will mit der praktischen Umsetzung für uns Bäuerinnen und Bauern und wie das bezahlt wird. Wir brauchen einen gemeinsamen Zukunftskonsens mit Politik und Gesellschaft darüber. Wir sind dazu bereit.“
Die AbL hat auch einen Vorschlag vorgelegt, wie es gehen kann.
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