Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) tat es, Bundesstaatssekretär Eckart von Klaeden (CDU) auch und nun ist der am 12. Dezember 2017 zurückgetretene Ex-Ministerpräsident Stanislaw Tillich dran. Während Koch 2011 fast nahtlos vom Ministerpräsidenten zum Vorstandsvorsitzenden des Baukonzerns „Bilfinger Berger“ wurde, wechselte von Klaeden derart schnell aus dem Bundeskanzleramt in die Funktion des Leiters der Abteilung Politik und Außenbeziehungen der Daimler AG, dass die Staatsanwaltschaft Berlin zumindest den Anfangsverdacht einer Vorteilsnahme sah und ein später eingestelltes Ermittlungsverfahren einleitete.

Auch bei Roland Koch hielten sich hartnäckige Gerüchte, der gut dotierte Posten hätte etwas mit der vorangegangenen Politik rings um den Bau der neuen Landebahn Nordwest und anderer Bauprojekte des Frankfurter Flughafens zu tun. Auch ohne justiziable Nachweise zwei Beispiele, in denen sich die vorhergehenden Positionen als kaum hinderlich für die späteren Arbeitsfelder nach dem Ausstieg aus der Politik erwiesen haben dürften.

In beiden Fällen dürften jedoch maßgebliche Arbeitsfelder in der Politik und die anschließenden Positionen kaum so eng verwoben sein wie bei dem Übergang Stanislaw Tillichs vom Ministerpräsidenten zum Aufsichtsratsvorsitz des Braunkohleunternehmens MIBRAG.

Tillich an der Drehtür

Als die CDU Sachsen bei der Bundestagswahl 2017 knapp hinter der sächsischen AfD landete, war guter Rat teuer. Im Prinzip brach das 3. Kabinett Tillichs im Dezember 2017 mit dem Übergang auf Michael Kretschmer regelrecht zusammen. Mit Innenminister Markus Ulbig und Finanzminister Georg Unland folgten ihm die tragenden Säulen seiner Amtszeit und Bildungsministerin Brunhild Kurth verabschiedete sich schon vorher.

Doch mit Tillich drohte die sächsische Braunkohlewirtschaft einen vehementen politischen Fürsprecher der vorangegangenen Jahre zu verlieren. Im Zentrum seiner Argumentationen standen stets die Arbeitsplätze in der Lausitz, Aspekte der zunehmend lauter werdenden Fragen des Umweltschutzes und abgebaggerter Dörfer traten für den Ingenieur für Konstruktion und Getriebetechnik dahinter zurück. Gleichzeitig wurde die Förderung erneuerbarer Energien in Sachsen auf nahe Null gefahren.

Während seiner gesamt neunjährigen Amtszeit hatte im Jahr 2012 Schwedens Regierung den Staatskonzern Vattenfall aufgefordert, sein Engagement in fossilen Energiesparten einzuschränken. 2013 verkaufte Vattenfall deshalb seinen Kraftwerksblock im Kohlekraftwerk Lippendorf. 2016 folgte dann der Verkauf der Lausitzer Kohlesparte an die tschechische EPH, die Mutterholding der MIBRAG.

Auch die von Vattenfall angesparten Rücklagen für die späteren Renaturierungskosten der Braunkohlegebiete in Höhe von 1,7 Milliarden wechselten unter den untätigen Augen der Landesregierung Sachsens den Besitzer. Seither bestehen deutliche Zweifel daran, dass dieses Geld noch vorhanden ist, die EPH mit Sitz in Prag ist kein staatliches Unternehmen, die MIBRAG GmbH nur die Tochter. Greenpeace klagt derzeit auf Einsicht in die Unterlagen des Rechnungshofes Sachsen dazu.

Kontinuitäten, Klagen, Kohlekommission

Im direkten Übergang zwischen dem Kabinett Tillich und Kretschmer zeigten sich dann bei allen sonstigen Unterschieden die Kontinuitäten im Handeln beider Ministerpräsidenten. Als die deutschen Kohlekraftwerksbetreiber bereits 2017 gegen die strengeren Quecksilber- und Stickoxidausstöße (NOx) der EU vor Gericht zogen, trat der neue Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) Anfang 2018 der Klage von MIBRAG und LEAG bei.

Ebenfalls eingebunden in die Klage waren der Chef der Staatskanzlei Oliver Schenk (CDU), das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft (SMUL) unter Thomas Schmidt (CDU) und das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA), also Martin Dulig (SPD).

Gemeinsam stritt man gegen die EU, die Klage ging verloren, nun erwarten die Kraftwerksbetreiber also neue Richtwerte für die Kohleverbrennung aus der Bundesregierung. Welche sie zu teuren Nachrüstungen zwingen werden. Quasi parallel wurden im gleichen Zeitraum den Kohleunternehmen Sachsens Zusagen gemacht, dass ihre Abbaugenehmigungen in der Braunkohle Sachsens teils bis 2042 gelten sollen. Zusagen, die die Unternehmen also vor dem Ergebnis der Kohlekommission in der Tasche hatten und sich bei nun kürzeren Fristen durchaus vergolden lassen könnten.

An der Spitze jener Kommission saß wiederum Stanislaw Tillich und stritt dort nicht auf Seiten der Kohlegegner. Zu seinem Wechsel gab er nun bekannt, „die Fortführung des Kerngeschäfts für die nächsten Jahre und andererseits die Suche und Ausrichtung auf neue Geschäftsfelder im Sinne einer kontinuierlichen Energieversorgung und Beschäftigung“ seien wichtig.

Eine Konsequenz des Wechsels in den Aufsichtsratsvorsitz der MIBRAG wird es nicht geben. Neue Regelungen für Karenzzeiten von Spitzenpolitikern im Übergang in die Privatwirtschaft hat Sachsens CDU stets erfolgreich abgewehrt. Zuletzt im Frühjahr 2019, als ein entsprechender Antrag der Grünen unter Unterstützung der Linken auf eine 36-monatige Übergangsfrist im Landtag scheiterte.

Und so bleibt der alten und neuen Opposition in Gestalt von Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, und Dr. Jana Pinka, stellv. Vorsitzende der Linken in Sachsen, anzumerken: „Dass der frühere sächsische Ministerpräsident Tillich, der in seiner Amtszeit ein gnadenloser Kohlelobbyist ohne Rücksicht auf Verluste bei Umwelt und Kultur war, nun sein Geld ausgerechnet mit einem Bergbauunternehmen verdient, hat schon mehr als nur ein Geschmäckle.“

Leipzig jedenfalls hat sich damit auf dem Weg, bis Ende 2022 aus der Braunkohle-Fernwärme aus Lippendorf auszusteigen, unverschuldet einen nicht zu unterschätzenden Lobbyisten aufseiten der MIBRAG eingehandelt.

Wenn ein Vorsitzender der Kohlekommission im Handumdrehen zum Aufsichtsratsvorsitzenden eines Kohlekonzerns wird

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