Es ist schon fatal genug, dass fast alle deutschen Wirtschaftsinstitute marktradikale Vorstellungen von Ökonomie vermitteln, und das, obwohl sie aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Aber das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat nicht einmal die minimale Distanz zur Deutschland AG. Da verblüfft es schon, wenn das „Handelsblatt“ die jüngste „Studie“ wieder behandelt, als hätte hier echte Forschung zu echten Erkenntnissen geführt.
„19 Regionen in Deutschland drohen den Anschluss zu verlieren“, titelte das „Handelsblatt“ am 8. August. „Für etliche deutsche Regionen hat das Institut der deutschen Wirtschaft gravierende Probleme bei Wirtschaft und Infrastruktur festgestellt. Längst nicht alle liegen in Ostdeutschland.“
Nur zur Erinnerung, direkt aus Wikipedia zitiert: „Das Institut vertritt wirtschaftsliberale Positionen. Das IW fungiert unter anderem als wissenschaftlicher Berater der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (einer Tochtergesellschaft des IW), des Roman Herzog Instituts München und der Politik.“
Wer also wissen will, woher das ganze Gerede von einer Vollversorgung mit leistungsstarkem Breitband und G5 kommt, hat hier die wichtigste Quelle. Man redet sich durch solche „Studien“ die Notwendigkeit immer neuer Milliardenförderung für scheinbar unabdingbare Großinvestitionen herbei. Obwohl selbst die Studie zeigt, dass diese Forderungen Quatsch sind.
Das Handelsblatt fasste einige der Schlussfolgerungen aus dem Papier so zusammen: „Bessere Bildungsangebote und Investitionen in die Infrastruktur halten die Experten für absolut notwendig, damit die benachteiligten Regionen nicht noch weiter abgehängt werden. ,Durch eine Verbesserung des Schienennetzes könnten mehr Gemeinden an die Metropolen angebunden werden‘, sagte Hüther. ,Darüber hinaus ist auch der Breitbandausbau essenziell. Denn der Zugang zu schnellem Internet ist nicht nur für Unternehmen unabdingbar, sondern zunehmend auch für private Haushalte.‘“
Private Haushalte brauchen Breitband in der Regel nur für immer mehr Ausrüstung mit moderner Unterhaltungs-Technik und online steuerbarer (und abhörbarer) Haushaltselektronik. Es geht hier um Produktabsatz. Warum Privathaushalte sonst noch einen Breitbandanschluss „unabdingbar“ brauchen würden, erklärt Hüther natürlich nicht.
Man stellt es eben einfach so fest.
Und wenig später im „Handelsblatt“: „Volkswirt Südekum empfiehlt daher einen flächendeckenden Ausbau mit dem superschnellen Mobilfunkstandard 5G. ,Ohne 5G wird es die vollautomatische Fabrik in der Provinz nicht geben‘, betonte er. Auch hier müsste vor allem Ostdeutschland stärker als bisher in den Fokus rücken: In Sachsen-Anhalt, in den Regionen Altmark, Magdeburg und Halle/Saale, steht die digitale Infrastruktur noch ganz am Anfang.“
Vollautomatische Fabriken in der Provinz? Welcher Unternehmer wird so wahnsinnig sein, eine vollautomatische Fabrik in die Provinz zu setzen, wo er weder die qualifizierten Wartungskräfte findet noch die nötigen Anschlüsse an Schiene und Straße?
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Und nicht nur das fand Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, an dieser „Studie“ arg bedenklich: „Hinter dem Hauptgrund für Strukturschwäche von Regionen bei uns, der ,Demographie‘, steckt ein schlichter Fakt: Die CDU hat mit ihrer Treuhand- und Niedriglohnpolitik eine halbe Generation junger Leute in den Westen vertrieben. Sie haben vielerorts in Sachsen schlicht keine Ausbildungs- und Arbeitsplätze gefunden, und wenn später doch, waren sie nicht selten so schlecht bezahlt, dass man davon nicht vernünftig leben kann. In Sachsen werden 61 Prozent der Beschäftigten nicht nach Tarif bezahlt – das ist bundesweit ein trauriger Spitzenwert. Vorstöße der Landtags-Linksfraktion und der Gewerkschaften, mit einem neuen Vergabegesetz dafür zu sorgen, dass wir Steuergelder nur noch für öffentliche Aufträge ausgeben, bei denen die Beschäftigten anständig bezahlt werden, hat die CDU/SPD-Koalition abgelehnt.“
Dass es im Osten so viele abgehängte Regionen gibt, ist also das Ergebnis politischer Entscheidungen und gewollt. Kein einziger verantwortlicher Bundespolitiker der frühen 1990er Jahre hat auch nur einen Gedanken daran verschwendet, im Osten mehr als nur drei, vier industrielle Kerne zu sichern. Man hat auf die Genialität des Freien Marktes gesetzt. Das Ergebnis war eine 90-prozentige Marktberäumung, die Millionen Arbeitskräfte im Osten freisetzte, über die sich westdeutsche Unternehmen natürlich freuten.
Die Rettungsprogramme, die dann aufgelegt wurden, schufen zwar neue riesige Infrastrukturen im Osten – aber auch den bis heute blind wuchernden Glauben, dass man mit Gewerbegebieten und Autobahnen „wirtschaftliche Entwicklung“ auch noch in die letzte Ecke bringen kann. Das Breitband-Denken kommt aus demselben Topf.
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„Es reicht nun auch nicht, ein paar Autobahnanschlüsse nachzureichen – damit wird die Jugend kaum in den genannten ost- und südsächsischen Gebieten zu halten sein. Eher schon mit flächendeckendem schnellem Internet, denn dann ließe sich viel gut bezahlte Arbeit auch am Rechner auf dem Dorf erledigen“, meint Gebhardt, der von diesem Denken sichtlich auch nicht ganz frei ist. „Wie schlecht es aber zurzeit noch mit der Breitbandversorgung in Sachsen aussieht, wissen viele von uns aus eigener leidvoller Erfahrung.“
Gefreut hat er sich freilich darüber, dass der Chef des unternehmerfreundlichen IW sagte: „Natürlich rechnet sich der öffentliche Personennahverkehr nicht, sonst würden es ja Private machen.“
„Genau das aber ist in Sachsen vom Staat unter CDU-Regie versucht worden – die Ergebnisse sind seit dem Städtebahn-Crash landesweit im Bewusstsein: Plötzlich fährt gar kein Zug mehr“, so Gebhardt. „Woanders fahren Züge, die zeitgemäßen Fahrgastansprüchen nicht genügen. Deshalb muss der Freistaat sowohl Nahverkehr als auch Breitband in die öffentliche Hand nehmen und selbst verantwortlich mit eigenen Landesgesellschaften steuern. Nur so lässt sich Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse überall garantieren. Wir werden für eine Politik sorgen, die nicht mehr zum Davonlaufen ist!“
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Aber diese „Gleichwertigkeit“ ist ein Trugschluss, den auch die „Studie“ des IW wieder bestärkt. Mit ihrer Philosophie der „abgehängten Regionen“ hämmert sie wieder das alte Wettbewerbsdenken in die Köpfe der Leser, als müssten alle Regionen hochproduktive Wirtschaftsstandorte sein. Das waren sie auch früher nicht. Auch im 19. und 20. Jahrhundert gab es gravierende Niveauunterschiede zwischen den „Werkstätten“ des Industrielandes Deutschland (Sachsen, Ruhrpott und Schlesien), die nicht zufällig genau dort entstanden, wo der Brennstoff Kohle leicht verfügbar war, und weiteren, rein landwirtschaftlich geprägten Regionen wie Niedersachsen, Mecklenburg oder selbst Bayern.
Die Lage änderte sich immer nur dann, wenn mit milliardenschwerem Förderaufwand neue industrielle Kerne hochgezogen wurden. Und zwar punktuell. Die Region um München ist dafür das beste Beispiel. Denn in diesen Kernen mit ihren dichten Infrastrukturen (zu denen auch die Hochschulen gehören) siedeln sich die neuen Unternehmen an. Die wählen ihren Standort nicht danach aus, ob das Land schön billig und überall viel Platz ist. Sie brauchen diese Kompaktheit geradezu, um ihre wichtigsten Grundbedürfnisse als Unternehmen zu erfüllen.
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Wenn das IW von erfolgreichen und abgehängten Regionen redet, verkehrt sie eine sich selbst verstärkende Entwicklung in etwas, das man meint, mit neuen Fördergeldern jetzt irgendwie ausgleichen zu müssen. Ohne die Rechnung mit dranzuhängen. Die Kosten solcher Unternehmensansiedlungen, die nötig wären, auch die ländlichen Regionen auf das Niveau Bayerns oder Baden-Württembergs zu hieven, berechnen die unternehmensnahen Studienautoren einfach nicht. Sie versprechen wieder Wundertütenergebnisse mit Breitband und G5. Und verwechseln gleichwertige Lebensverhältnisse mit gleichartigen.
Oder mal so formuliert: Die vorgeschlagenen neue Infrastrukturinvestitionen sind rausgeschmissenes Geld. Die ländlichen Räume brauchen völlig andere Förderungen und Entwicklungsperspektiven. Denn nichts deutet darauf hin, dass ihre Zukunft eine mit ratternden Fabriken sein könnte. Was nicht heißt, dass sie keine lebenswerten Regionen sein könnten. Aber gerade die Strukturen – da hat Gebhardt nämlich recht – die das Leben abseits der Metropolen lebenswert und planbar machen, die haben die CDU-Regierungen in ihrem Sparrausch allesamt gekappt, geschrumpft und ausgedünnt.
Dazu gehört nicht nur der ÖPNV samt dem einst dichten Eisenbahnnetz in Sachsen, dazu gehören auch die vielen geschlossenen Schulen, die Polizeistationen, Gemeindeämter, Ärztehäuser, Krankenhäuser, Dorfläden, Sparkassenfilialen und Postämter. „Rechnet sich nicht“, war der Tenor. Obwohl die politische Aufgabe gewesen wäre, all diese Strukturen zu bewahren und dafür auch andere, neue Ideen umzusetzen – wie zum Beispiel die Gemeinschaftsschule.
Und das nächste Thema ist der Umgang mit der Landwirtschaft, die auch deshalb kaum noch Arbeitsplätze bietet, weil fast nur noch riesige Agrarfabriken dominieren, ökologische Landwirtschaft aber genauso ausgebremst wird wie die Windenergie. Sämtliche Ansätze, in den ländlichen Regionen wieder Existenzgrundlagen zu schaffen, wurden torpediert. Bis hin zur EU-Agrarpolitik, die die Fördermilliarden vor allem in die Agrarfabriken pumpt, zu Leuten, die so viel Geld haben, dass sie aus der Westentasche ganze Landwirtschaftsbetriebe mitsamt ihren Äckern aufkaufen können.
Nur findet man dazu in der IW-„Studie“ kein Wort, als würden sich diese Leute überhaupt nicht für die tatsächlichen Wirtschaftsstrukturen der „abgehängten Regionen“ interessieren. Und so wird das Märchen weitergeschrieben und reihenweise werden Politiker jetzt wieder das Lied von G5 und Breitband singen und dabei (trotz 30 Jahren völlig anderer Erfahrungen) so tun, als müsste man jetzt auch nur noch diese tolle Technologie übers ganze Land legen, und dann wird das schon aufwärts gehen in Ostsachsen, Meck-Pomm oder Südbrandenburg.
Der „Handlungsbedarf“, den das IW Köln suggeriert, ist fiktiv und außerdem falsch. Er bietet die falsche Medizin für Regionen, die nicht zu den industriellen Metropolregionen gehören.
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