Am Freitag, 10. Mai, veröffentlichte der DGB Sachsen die Meldung: „Nur 39 Prozent der Beschäftigten in Sachsen arbeiten in tarifgebundenen Firmen. Damit liegt Sachsen trotz günstiger Wirtschaftsstruktur derzeit weit hinter allen anderen Bundesländern. Das belegt die neue Studie ‚Tarifverträge und Tarifflucht in Sachsen‘.“ Die stellte der DGB gemeinsam mit dem Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung am Freitag in Dresden vor. Das war selbst dem Wirtschaftsminister einen Kommentar zum Niedriglohnland Sachsen wert.
„Die Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes zeigt es Schwarz auf Weiß: In Sachsen gibt es deutschlandweit die geringste Bindung an Tarifverträge. Gleichzeitig müssen die Sächsinnen und Sachsen mehr arbeiten und bekommen dazu noch weniger Geld als ihre westdeutschen Kolleginnen und Kollegen. Und das, obwohl Sachsen mit seiner Wirtschaftsstruktur und Branchenzusammensetzung eigentlich gute Voraussetzungen für eine höhere Tarifbindung hätte“, erklärte Martin Dulig, der auch Vorsitzender der SPD Sachsen ist, am Freitag.
Selbst in den anderen ostdeutschen Bundesländern liegt die Tarifbindung höher – von 43 Prozent in Thüringen bis 49 Prozent in Sachsen-Anhalt. In Sachsen sind augenscheinlich besonders viele Arbeitsplätze in Branchen und Unternehmen ohne Tarifbindung entstanden.
„Die SPD hat in der Regierung seit 2014 umgesteuert“, betont Dulig, der seitdem ja das Amt als Sächsischer Wirtschaftsminister bekleidet. „Weg von Niedriglöhnen hin zu guter Arbeit. Unser Ziel für die nächsten Jahre ist klar: Sachsen muss Tarifland und damit das Land der guten Löhne werden. Das ist aber nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. Wir stehen im Wettbewerb um die Arbeitskräfte der Zukunft, deshalb müssen auch in Sachsen gute Löhne gezahlt werden. Tarifverträge leisten dazu einen wichtigen Beitrag, aber auch wir als Staat müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Ein modernes Vergabegesetz mit einer Tarifklausel hilft nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sondern unterstützt auch die vielen Unternehmen, die schon heute ihre Mitarbeiter fair bezahlen.“
Das klingt, als hätte Sachsen schon so ein Vergabegesetz. Doch als die Fraktionen von Linken und Grünen so ein Vergabegesetz in den Landtag einbrachten, wurden sie regelrecht abgeschmettert.
Am 15. Februar begrüßte der Leipziger Landtagsabgeordnete Ronald Pohle, Handwerkspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, geradezu die klare Ablehnung der Vergabegesetzentwürfe der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen: „Wir haben über mehrere Legislaturperioden das beste, verständlichste und transparenteste Vergabegesetz der deutschen Bundesländer entwickelt und werden nicht ohne Weiteres zulassen, dass es plakativem oder ideologischem Zeitgeist geopfert wird. Unsere Wirtschaftspolitik richtet sich einzig allein an den Interessen derer aus, die zum wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes beitragen. Das sind in erster Linie Sachsens tausende, kleine und mittelständische Unternehmen und deren fleißige Beschäftigte.
Wieder einmal stimmte die SPD mit der CDU, obwohl sie eigentlich etwas ganz anderes will. Was dann Wochen nach dieser Abstimmung Henning Homann, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, in der neuerlichen Debatte zu einem Vergaberecht für Sachsen am 13. März zum Ausdruck brachte.
„Die Menschen in Sachsen arbeiten fast zwei Wochen mehr im Jahr als ihre westdeutschen Kollegen. Dabei verdienen sie im Schnitt aber rund 700 Euro weniger – pro Monat. Diese Unterschiede sind es, die bei den Sächsinnen und Sachsen ankommen und die sie – zu Recht – als ungerecht empfinden. Und diese Unterschiede machen deutlich, dass wir als Staat hier eingreifen müssen. Denn es geht um Gerechtigkeit“, sagte Henning Homann.
„Ich bin überzeugt, dass wir in Sachsen eine höhere Tarifbindung brauchen. Ein modernes Vergabegesetz ist dazu ein ganz wichtiger Baustein. Unternehmen, die nach Tarif zahlen, sollen bei öffentlichen Aufträgen bevorzugt werden. Wir brauchen in Sachsen gute Löhne, um für Fachkräfte in Zukunft attraktiv zu sein. Umso mehr bedauern wir es, dass die CDU unseren Vorschlägen für ein modernes und faires Vergabegesetz nicht gefolgt ist.“
Man könnte närrisch werden, denn CDU und SPD hatten 2014 in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass es in dieser Legislatur ein neues Vergabegesetz geben sollte. Und als die beiden Regierungsparteien im Herbst 2018 keines vorgelegt haben, sind Grüne und Linke vorgeprescht und haben jeder einen eigenen Entwurf vorgelegt – just jene Entwürfe, die dann im Februar einfach abgelehnt wurden.
Im Oktober hatte Klaus Tischendorf, gewerkschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, das Dilemma noch benannt: „Im Koalitionsvertrag haben CDU und SPD ein neues Vergabegesetz zugesagt, insbesondere zur Steigerung der Tarifbindung. Bis heute, ein Jahr vor der Wahl, ist davon nichts zu sehen. Die Anhörung zeigte, dass der Freistaat bei Standards der Vergabe öffentlicher Aufträge deutschlandweit die rote Laterne hat. Das Vergabegesetz ist so locker, dass Firmen, die anständigen Tariflohn zahlen, regelmäßig von Billiganbietern ausgestochen werden, die ihre Angestellten mit dem allgemeinen Mindestlohn abfrühstücken. Dazu kommt noch, dass eine riesige Zahl an öffentlichen Aufträgen (über 90 %) direkt vergeben wird, ohne fairen, transparenten Wettbewerb und ohne Kontrolle durch den Gesetzgeber. Die Vertreter der Wirtschaft in der Anhörung loben diese negative Entwicklung in Sachsen als Vorzüge eines ‚schlanken‘ Gesetzes.“
Nur dass damit tariftreue Unternehmen immer wieder ins Hintertreffen geraten. Gerade jene „kleinen und mittelständischen Unternehmen“, die Pohle beschwor, der auch noch „durchschaubare, nachvollziehbare und einhaltbare Regeln“ forderte. Nur weist das von ihm gepriesene Vergabegesetz diese Durchschaubarkeit einfach nicht auf.
Im Gegenteil: Er ist ein bürokratisches Monster, wie Gerd Lippold, der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, in einer Rede am 6. September erklärt hatte: „Der Gegenentwurf heißt zwar einerseits völlig freies Spiel der Kräfte auf Basis günstigster Angebote, andererseits aber ein Wust an Vorgaben, Regulierungen und Einschränkungen für die einzelnen Produkte oder Dienstleistungen zur Verhinderung zerstörerischer Fehlentwicklungen und Auswirkungen auf Gemeinwohlinteressen. Wer sich mal die Vorschriftenberge ansieht, mit denen sich heute Handwerkerinnen und Handwerker auseinandersetzen müssen, der weiß wovon ich da spreche. Als Gesellschaft können wir es uns nicht weiter leisten, gegenüber einer volkswirtschaftlichen Gesamtbetrachtung der Preiswahrheit weitgehend blind zu bleiben. Einfach deshalb, weil es uns selbst und unseren Kindern am Ende viel zu teuer kommt.“
Und dass die SPD durchaus genug Gründe gehabt hätte, einen der Entwürfe von Grünen oder Linken zu unterstützen, das machte Henning Homann deutlich, als er jetzt auflistete, was ein zeitgemäßes Vergabegesetz für Sachsen aus Sicht der SPD-Fraktion zwingend enthalten müsste:
„Erstens eine Tariftreueklausel. Unternehmen, die sich an Tarife halten, sollen bei öffentlichen Vergaben bevorzugt werden.
Zweitens einen Vergabemindestlohn. Nur, wer mindestens zwölf Euro pro Stunde zahlt, sollte von der öffentlichen Hand Aufträge bekommen.
Drittens sollen ökologische Kriterien mit in das Vergaberecht aufgenommen werden. Diese gehen von den Rohstoffen über die Herstellung und Nutzung eines Produktes bis hin zur Entsorgung und der Frage seiner Energiebilanz.“
Aber genau so ein Vergabegesetz hat die sächsische Regierung nicht vorgelegt. Wieder wurden fünf wertvolle Jahre vertan. Und die SPD setzt mit Martin Dulig ganz auf Hoffnung: „Mit einem klaren Bekenntnis für gute Arbeit und einem umfassenden Maßnahmenpaket wollen wir in Sachsen die Voraussetzungen für die baldige Ost-West-Angleichung bei den Einkommen schaffen. Gewerkschaften und Sozialdemokratie kämpfen gemeinsam für mehr Tarifverträge. Mit unserem Tarifland-Sachsen-Plan, den wir gemeinsam mit den Gewerkschaften erarbeitet haben, liegen unsere Vorschläge auf dem Tisch.“
Und der Blick in die Studie zeigt noch etwas anderes: In ganz Deutschland wird die Tarifbindung seit 1998 systematisch ausgehöhlt. In Sachsen hatte man die acht Jahre zuvor gerade dazu genutzt, die Tarifbindung schrittweise auf 75 Prozent zu erhöhen. Aber dann kamen die ganzen Reformen der Arbeitsmarktgesetze, die die Tarifbindung regelrecht torpedierten. Bundesweit sank die Tarifbindung von 81 Prozent im Jahr 1998 auf mittlerweile 57 Prozent, in Sachsen von 75 auf die nun genannten 39 Prozent. Die Zahl der Betriebe, die Tarifverträge bieten, ist sogar von 51 auf 15 Prozent gesunken. Das heißt: Der Status von Sachsen als Niedriglohnland hat sich geradezu verfestigt.
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